
Von Mitte Februar bis Mitte November 2024 stand der Kopf der umstrittenen Gemeinschaft "Go&Change", die in Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt) ein ehemaliges Kloster bewohnt, vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft Schweinfurt warf dem 42-Jährigen, der unter seinen Anhängerinnen und Anhängern den Status eines Gurus genießt, vor, im Mai 2023 eine Frau geschlagen, vergewaltigt und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt zu haben. K. habe der Frau damit angebliche Dämonen austreiben wollen. Letztlich wurde er zu einer Haftstrafe verurteilt, außerdem muss er einen Drogenentzug machen.
So lief der Prozess:
19. Februar 2024, Prozesstag 1: Vor dem Landgericht Schweinfurt muss sich Kai K. wegen mehrfacher Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung verantworten. Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft Schweinfurt wollte er so der betroffenen 30-jährigen Frau ihre Dämonen austreiben. Zum Prozessbeginn schweigt K., in früheren Vernehmungen hat er die ihm vorgeworfenen Taten bestritten.
20. Februar 2024, Prozesstag 2: Am zweiten Tag im Prozess gegen Kai K. spielt ein "Dossier" über die Frau eine Rolle, die der Kopf von "Go&Change" vergewaltigt haben soll. Das Schriftstück haben Mitglieder der Gemeinschaft verfasst und der Justiz geschickt - möglicherweise, um Kai K. zu entlasten. Über die Frau heißt es darin unter anderem, sie sei in einem satanistischen Kreis und habe den Auftrag, K. zu ermorden.
1. März 2024, Prozesstag 3: Die Anwälte von Kai K. erheben schwere Vorwürfe gegen Pflegekräfte der psychiatrischen Einrichtung, in der ihr Mandant seit Oktober 2023 untergebracht ist. Sie fordern, dass er verlegt wird.
18. März 2024, Prozesstag 4: Wegen Zahnschmerzen ist Kai K. laut seinen Anwälten nicht verhandlungsfähig. Er wird von der Polizei zu einer Ärztin gefahren, der Prozesstag ist nach einer Stunde beendet.
25. März 2024, Prozesstag 5: Am fünften Prozesstag sagt die 30-Jährige aus, die von Kai K. vergewaltigt worden sein soll. Sie berichtet von "Todesangst". Vor ihr seien schon andere Frauen innerhalb der Gemeinschaft vergewaltigt worden. Kai K. müsse gestoppt werden, sonst würde er weitermachen.
26. März 2024, Prozesstag 6: Vor Gericht sagt der Psychologe des mutmaßlichen Opfers aus. Alles, was ihm die 30-Jährige über "Go&Change" erzählt habe, "ist - bei aller Skurrilität - nach meiner Erfahrung mit vergleichbaren Gemeinschaften wahr", sagt er. "Go&Change" bezeichnet er als "Psychokult".
4. April 2024, Prozesstag 7: Drei Polizeibeamte, die an jenem Tag im Mai 2023 zur Uniklinik Würzburg gerufen wurden, berichten von der Erstvernehmung der Frau. Sie habe erschöpft, aber "gefasst" und "sehr authentisch" gewirkt, sagt einer der Beamten. "Ich habe in keiner Sekunde an irgendeiner Aussage gezweifelt."
5. April 2024, Prozesstag 8: Der Leiter der Ermittlungen sagt im Zeugenstand aus. Er berichtet von der ersten Vernehmung des Angeklagten nach dessen Festnahme. Dabei habe der sich nicht mehr an die ihm vorgeworfenen Gewalttaten erinnern können. Ein anderer Polizist berichtet von einer weiteren verletzten Frau aus dem "Go&Change"-Umfeld.
12. April 2024, Prozesstag 9: Weil ein Gutachter verhindert ist, können nicht alle geladenen Zeugen aussagen. Ein Mann berichtet aber von teils unfreiwilligem Drogenkonsum bei "Go&Change" und versucht sich an einer Erklärung, warum Kai K. so anziehend auf Frauen wirkt.

22. April 2024, Prozesstag 10: Eine Frau, die mit Kai K. ein Kind hat, erzählt, dass sie von ihm und der 30-jährigen Nebenklägerin geschlagen worden sei. Dennoch steht sie fest zu K., den sie als empathisch und feinfühlig beschreibt.
23. April 2024, Prozesstag 11: Ein Schreiben des "Weißen Rings" an das Gericht sorgt für Aufregung, weil nicht alle Prozessbeteiligten vor dem Prozesstag Kenntnis davon hatten. Mehrere Zeuginnen und Zeugen aus der Gemeinschaft zeichnen ein düsteres Bild der Geschädigten und sagen aus, die Frau würde oft lügen.
29. April 2024, Prozesstag 12: Die Aussage von Felix Krolle muss erneut verschoben werden. Er will ohne seine Anwältin nicht aussagen. Diese teilt in einer Nachricht mit, für sie käme der Verhandlungstermin zu kurzfristig. Zwei weitere Zeuginnen sagen vor Gericht über die Nebenklägerin und das Leben in der Gemeinschaft aus.
10. Mai 2024, Prozesstag 13: Technische Probleme im Schweinfurter Gerichtssaal verhindern, dass ein Video ordnungsgemäß abgespielt werden kann. Der Film hätte die polizeiliche Vernehmung der Frau zeigen sollen, die kurz nach der angeklagten Tat durchgeführt wurde.
17. Mai 2024, Prozesstag 14: Diesmal spielt die Technik mit: Das Gericht zeigt Videos von Vernehmungen der Frau, die von Kai K. misshandelt worden sein soll. In einem der Filme, der kurz nach der mutmaßlichen Tat aufgenommen worden ist, werden ihre Verletzungen im Gesicht sichtbar. Für einen Gerichtsmediziner passen die festgestellten Verletzungen der Frau zu deren Schilderungen. Aus seiner Sicht bestand Lebensgefahr.

21. Mai 2024, Prozesstag 15: Etliche Nachfragen gibt es zum Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Dieser hält den Angeklagten für teilweise schuldunfähig. Seine Diagnose lautet: drogeninduzierte Psychose und Substanz-Konsum-Störung. Der Gutachter geht davon aus, dass Kai K. sich ab einem bestimmten Zeitpunkt im "Wahn" befunden haben muss. Die Frage ist, wann dieser begonnen hat.
23. Mai 2024, Prozesstag 16: Auf Antrag der Verteidigung muss die 30-Jährige, die von Kai K. misshandelt worden sein soll, abermals vor Gericht. Es habe sich "die Notwendigkeit einer ergänzenden Befragung ergeben", hieß es von den Anwälten. Am Ende der Vernehmung entschuldigt sich K. bei der Frau: "Mir tut das schrecklich leid, wie das eskaliert ist. Aber wir hatten auch schöne Zeiten."
24. Mai 2024, Prozesstag 17: Im vierten Anlauf klappt es mit der Aussage von Felix Krolle. Die Nummer zwei bei "Go&Change" erklärt: "Ich kann mir bis heute nicht vorstellen, dass es satanische Zirkel gibt." Gleichzeitig könne er sich aber auch nicht erklären, warum sich das jemand nur ausdenken sollte. Dass Kai K. die 30-Jährige vergewaltigt haben soll, hält er für "absurd".
3. Juni 2024, Prozesstag 18: Ein Sachverständiger stellt sein DNA-Gutachten vor: Es konnten sowohl an der Kleidung von Kai K. als auch an der Wand im Schlafzimmer Blutspuren der 30-Jährigen nachgewiesen werden. Außerdem kündigen die Anwälte des 42-Jährigen neue Beweisanträge an.

19. Juni 2024, Prozesstag 19: Kurz vor dem geplanten Ende des Prozesses gegen Kai K. haben seine Verteidiger acht neue Beweisanträge gestellt. Unter anderem fordern sie die Freilassung des Angeklagten, bezweifeln die Qualität des psychiatrischen Gutachtens und beantragen einen neuen Sachverständigen. Ein Urteil rückt damit in weite Ferne.
25. Juni 2024, Prozesstag 20: Die Verteidigung stellt weitere Beweisanträge und forderte die Auswechslung der Staatsanwältin Melanie Roth. Das Gericht lehnt die Anträge zu weiteren Ermittlungen und Gutachten ab, entscheidet aber nicht über die Freilassung des Angeklagten.
27. Juni 2024, Prozesstag 21: Die Verteidigung hält die Kammer um die Vorsitzende Richterin Claudia Guba für befangen. Gleichzeitig kündigen die Anwälte an, dass sich Kai K. zu sich und den Vorwürfen äußern will. Ein möglicher Termin für das Urteil verschiebt sich dadurch erneut: Das Gericht sucht Verhandlungstermine bis in den August.
2. Juli 2024, Prozesstag 22: Kai K. bricht sein Schweigen. Allerdings sagt der Kopf der Gemeinschaft "Go&Change" hinter verschlossenen Türen aus: Das Gericht schließt auf Antrag der Verteidigung die Öffentlichkeit aus.
5. Juli 2024, Prozesstag 23: Das Gericht lehnt Anträge der Verteidigung, Handydaten der 30-jährigen Nebenklägerin auszuwerten, um so weitere Erkenntnisse über ihr Sexualleben zu bekommen, ab. Die Entscheidung über den Antrag, die Kammer um die Vorsitzende Guba für befangen zu erklären, ist derweil noch offen. Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Landgerichtsärztin an Verhandlungstagen bereitzustellen, um zu vermeiden, dass es aufgrund gesundheitlicher Befindlichkeiten von Kai K. erneut zu Verzögerungen kommt.
26. Juli 2024, Prozesstag 24: Kai K. setzt seine Aussage fort, erneut unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Verteidigung fordert indes erneut die Verlegung des 42-Jährigen in eine andere Klinik wegen unzureichender Therapiebedingungen.
2. August, Prozesstag 25: Kai K. setzt seine Aussage in nicht öffentlicher Sitzung fort.
16. August, Prozesstag 26: Kai K. beendet seine Aussage. Über den Inhalt dringt offiziell nichts an die Öffentlichkeit. Aber: Der psychiatrische Sachverständige bleibt bei seiner Einschätzung - er hält den Angeklagten für teilweise schuldfähig.
2. September, Prozesstag 27: Das Gericht lässt Sprachnachrichten abspielen, die sich Kai K. und die Nebenklägerin in den Tagen geschickt haben, an denen es zu den mutmaßlichen Taten gekommen sein soll. "Nichts Neues", befindet Richterin Guba.
16. September, Prozesstag 28: Das Gericht lässt erneut Sprachnachrichten abspielen. Außerdem werden neue Handydaten, USB-Sticks, Mappen und Protokolle thematisiert, an die die Verteidigung gekommen sein will. Das Material soll Kai K. entlasten.
19. September, Prozesstag 29: Die Anwälte von Kai K. stellen erneut mehrere Beweisanträge. Nach längerer Beratung setzte das Gericht vier weitere Verhandlungstage fest. Ein Urteil würde demnach nun am 4. November fallen - dem 33. Prozesstag.
30. September, Prozesstag 30: Die Verteidigung hält die Nebenklägerin für psychisch krank, scheitert aber mit einem Antrag, die Frau ein drittes Mal vorzuladen. Für Richterin Guba ist die Beweisaufnahme abgeschlossen, den Verteidigern bleibt aber eine Frist bis zum nächsten Verhandlungstag, um neue Beweisanträge zu stellen.
17. Oktober, Prozesstag 31: Fünf weitere Beweisanträge legt die Verteidigung dem Gericht vor. Anwalt Hubertus Werner will unter anderem Aufklärung darüber, ob die Nebenklägerin Audiodateien von ihrem Handy gelöscht hat. Die Tonaufnahmen könnten auch Aufschluss darüber geben, was im mutmaßlichen Tatzeitraum im Schlafzimmer gesprochen wurde.
4. November, Prozesstag 32: Obwohl die Kammer Verhandlungstermine bis Mitte Dezember festgesetzt hat, schließt Richterin Guba die Beweisaufnahme. Damit starten die Plädoyers, allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten ohne Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, die Nebenklage eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Die Plädoyers der Wahlverteidiger stehen noch aus.
12. November, Prozesstag 33: Die Wahlverteidiger fordern einen Freispruch für Kai K. Doch so kommt es nicht. Das Gericht verurteilt Kai K. wegen Vergewaltigung, eines sexuellen Übergriffs und Körperverletzungen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Zudem hat die Kammer die Unterbringung des 42-Jährigen in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
14. November 2024: Die Anwälte von Kai K. legen Revision gegen das Urteil ein.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.