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Schweinfurt
Prozess gegen "Go&Change"-Guru: Zeuginnen versetzen das Gericht, Eltern des Opfers berichten von "Aufpassern"
Zwei Frauen tauchten immer wieder vor dem Gericht in Schweinfurt auf. Als sie aussagen sollten, kamen sie nicht. Ein Experte erklärte "Go&Change" zum "Psychokult".
Richterin Claudia Guba ärgerte sich am Dienstag über das Fernbleiben zweier Zeuginnen im Prozess gegen Kai K., den Kopf von 'Go&Change'.
Foto: Thomas Obermeier | Richterin Claudia Guba ärgerte sich am Dienstag über das Fernbleiben zweier Zeuginnen im Prozess gegen Kai K., den Kopf von "Go&Change".
Benjamin Stahl
,  Christine Jeske
 und  Lisa Marie Waschbusch
 |  aktualisiert: 30.03.2024 02:42 Uhr

Eigentlich sollten am Dienstag im Prozess gegen den Kopf der Gemeinschaft "Go&Change" zwei junge Frauen als Zeuginnen befragt werden. Schweizerinnen, die zugunsten von Kai K. aussagen sollten. Doch die beiden Frauen sagten ihr Kommen über eine Anwältin kurzfristig ab. Sie befänden sich gerade in der Schweiz, so die Begründung.

Bei der Vorsitzenden Richterin Claudia Guba sorgt der Vorgang für verärgertes Kopfschütteln. Da die beiden Frauen ihren Wohnsitz in der Schweiz haben, kann die Kammer deren Fernbleiben zwar nicht mit einem Ordnungsgeld ahnden. Gubas Anmerkung dazu ist dennoch deutlich: Sie stelle fest, dass sich gerade die Zeugen der Verteidigung "sperrig" verhielten, sagt die Richterin.

Schweizerinnen hielten sich an früheren Verhandlungstagen in Schweinfurt auf

Dass ausgerechnet die beiden Schweizerinnen das Gericht versetzen, sei besonders irritierend, da sie sich an früheren Verhandlungstagen mit anderen Anhängerinnen und Anhängern von "Go&Change" vor dem Gerichtsgebäude in Schweinfurt aufgehalten hätten, fährt Guba fort. Nach Informationen der Redaktion leben die beiden Frauen zudem die meiste Zeit in dem ehemaligen Kloster in Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt), das die Gemeinschaft bewohnt.

"Alles, was sie mir erzählt hat, ist - bei aller Skurrilität - nach meiner Erfahrung mit vergleichbaren Gemeinschaften wahr."
Der Psychologe der 30-Jährigen über die Schilderungen seiner Patientin

Stattdessen geht es am sechsten Verhandlungstag abermals um die 30-jährige Nebenklägerin, die im Mai 2023 von Kai K. vergewaltigt worden sein soll. Einen Einblick in die Verfassung der jungen Frau gibt am Vormittag ihr Psychologe. Einer, der sich, wie er sagt, ausschließlich mit Kult- und Sektenaussteigern beschäftigt, darunter mehrere der Gemeinschaft "Go&Change". Die junge Frau habe ihn im Juni 2023 kontaktiert, einen Monat, nachdem sie "Go&Change" – die Gemeinschaft bezeichnet er als "Psychokult" – verlassen hatte. 

Sie habe sich in der Phase des "freien Falls" befunden, sagt der Psychologe. "Die alte Wertewelt besteht nicht mehr, die neue ist noch nicht greifbar." Die junge Frau habe noch keine Begriffe für das Erlebte gehabt. Menschen, die in Sekten oder Kulten lebten, befänden sich in einer Parallelwelt, erklärt der Zeuge. "Wenn man hinausgeht, fragt man sich: Ist das wirklich passiert?"

Psychologe: "Märchenstunde mit Verschwörungserzählungen"

In seinen Schilderungen bezeichnet der Psychologe die Glaubenswelt im ehemaligen Kloster, in der unter anderem Dämonen und satanische Kulte eine Rolle spielten, immer wieder als "Märchenstunde mit Verschwörungserzählungen". Sowohl die junge Frau, als auch Kai K. hätten diesen Narrativen seiner Einschätzung nach Glauben geschenkt, sagt er. Heute sei die 30-Jährige "sehr klar". Ihr Schamgefühl sei groß und sie frage sich: Wie konnte es so weit kommen?

Auf die Frage, ob er ihr das, was sie aus dem Kloster erzählte, geglaubt habe, antwortet der Psychologe deutlich: Alles, was die 30-Jährige "mir erzählt hat, ist - bei aller Skurrilität - nach meiner Erfahrung mit vergleichbaren Gemeinschaften wahr". Er habe "phasenweise Angst um sie" gehabt, erklärt der Zeuge. Dass es ihr heute besser gehe, sei auch auf den guten Kontakt zu ihrer Familie zurückzuführen – insbesondere zu ihren Eltern.

30-Jährige besuchte Eltern nur mit "Aufpassern" von "Go&Change"

Die sagten bereits am Montagabend vor Gericht aus. Den Prozess, in dem sich ihre Tochter immer mehr von ihnen entfernt habe, beschrieb die Mutter als schleichend. In ihrer Anfangszeit bei "Go&Change" sei die 30-Jährige begeistert gewesen, habe erzählt, dass sie sich verliebt habe. Die Mutter sei mit dem Vater ins ehemalige Kloster gefahren und auch sonst immer mal zu Besuch gewesen. "Wir konnten nichts Negatives feststellen", sagt die Frau vor Gericht. Der Vater ergänzt, er habe "einen guten Eindruck" von K. gehabt.

Bei einem der späteren Besuche, fährt die Mutter fort, habe sie dann gemerkt, "dass es autoritäre Strukturen" gebe, dass man sich irgendwann auch nicht mehr auf die Tochter verlassen könne, dass das Verhältnis immer distanzierter wurde. Irgendwann, erinnerte sich die Mutter, habe die Tochter sie immer nur in Begleitung von "zwei Aufpassern" – damit meint sie andere Mitglieder der Gemeinschaft – besucht.

Nachdem sie von Kai K. im Januar 2023 per Sprachnachricht informiert worden sei, dass es ihrer Tochter schlecht gehe, sei die Mutter nach Lülsfeld gefahren. Zu einem Kontakt zur Tochter kam es jedoch nicht. Stattdessen habe K. erneut eine Nachricht geschickt: Sie solle sich schämen, was sie denn für eine schlechte Mutter sei. Danach: Funkstille. Bis die Tochter im Mai 2023 schließlich aus dem Kloster zieht und Vergewaltigungsvorwürfe gegen Kai K. erhebt. "Ich habe erst gegen Ende mitgekriegt, wie schrecklich es da ist", sagte die Mutter.

Schlimme Dinge über Eltern erfunden

Richterin Guba ging auch auf ein "Dossier" ein, das "Go&Change"-Mitglieder über die 30-Jährige verfasst haben. Darin enthalten sind angebliche Aussagen der jungen Frau, darunter schwere Vorwürfe gegen ihre Eltern. Unter anderem heißt es darin, die 30-Jährige habe erzählt, ihr Vater habe sie in die Prostitution getrieben und sie sei in ihrer Familie als Sexobjekt herumgereicht worden. "Ich kenne die Behauptung", erklärte der Vater. Auf die Frage, ob an den Geschichten etwas dran ist, antwortet er mit einem deutlichen "Nein". Für die Mutter sind die Vorwürfe haltlos.

Die junge Frau hatte zuvor zugegeben, solche Aussagen im Kloster getätigt zu haben. "Ich habe das über meine Eltern erfunden", sagte sie. Warum? Wenn man über Stunden von der Gruppe "wie in einem Verhör" befragt werde, erklärte sie, und dann "seine Eltern verrät" oder "etwas Schlimmes" über sie erzählt, "dann ist das eine Erleichterung". Dann stehe man in der Gemeinschaft besser da.

Der Prozess wird am 4. April fortgesetzt.

 
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  • Cornelius Beyer
    Ich habe zunehmend Schwierigkeiten, das Handeln des Gerichtes nachzuvollziehen:

    Ein deutsches Gericht kann einen Bußgeldbescheid ausstellen. Dieser wird auch in der Schweiz zugestellt. Ob der dann dort vollstreckt wird, ist aus Sicht ger deutschen Gerichtsbarkeit völlig unerheblich.
    Überdies gibt es eine neue Gesetzeslage, das Gesetz wurde im Dezember angenommen und ermöglicht die Vollstreckung in der Schweiz durch die Schweizer Behörden.
    https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw42-de-deutsch-schweizerische-zusammenarbeit-971434

    Auch verstehe ich die Zeugenladung der Eltern nicht.
    Hier wird doch ein konkreter Missbrauchsversuch verhandelt. Welche Relevanz beitzt die Aussage der Eltern?

    Und abschließend, die Behauptung der Nebenklägerin, der eigene Vater habe sie zur Prostitution gezwungen und sie sei herumgereicht worden, ist für mich durch nichts außer einer akut lebensbedrohlichen Situation zu rechtfertigen. Ganz sicher nicht dadurch, dass man dann "besser da" steht.
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  • Roland Albert
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  • Cornelius Beyer
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