zurück
Schweinfurt
Prozess gegen "Go&Change"-Guru in Schweinfurt: Aussteigerin berichtet von Macht, Gewalt und Sex in früherem Kloster
Zu Beginn des Prozesses gegen den 42-jährigen Kopf der Gemeinschaft sagen drei Zeuginnen aus. Vor allem die Erlebnisse einer 29-Jährigen in Lülsfeld erschüttern.
Auf der Weg in den Gerichtssaal: Der 42-jährige Angeklagte, Kopf der Gemeinschaft 'Go&Change', wird am Montagmorgen am Landgericht Schweinfurt in Hand- und Fußfesseln vorgeführt.  
Foto: Heiko Becker, dpa | Auf der Weg in den Gerichtssaal: Der 42-jährige Angeklagte, Kopf der Gemeinschaft "Go&Change", wird am Montagmorgen am Landgericht Schweinfurt in Hand- und Fußfesseln vorgeführt.  
Benjamin Stahl
,  Christine Jeske
 und  Lisa Marie Waschbusch
 |  aktualisiert: 25.02.2024 03:32 Uhr

Die Zeugin berichtet von Schlafentzug, Drogenkonsum und sogenannten "Prozessen". Überhaupt, alles sei ein "Prozess", sagt die 29-Jährige, "es geht immer darum, die Schatten zu überwinden". Die Schatten, damit meint sie die schlechten Eigenschaften, vermeintliches Fehlverhalten, an denen die Mitglieder der Gemeinschaft "Go&Change" stetig arbeiten sollten. Seit 2019 ist die junge Frau im Zeugenstand nicht mehr Teil der Gemeinschaft. Aber ihre Aussage an diesem Montag am Landgericht Schweinfurt zeichnet das Bild eines Konstruktes aus Macht, Gewalt und Sex. Und über allem – so beschreiben es gleich mehrere Zeugen – steht der Angeklagte: Kai K..

Dem 42-Jährigen, Kopf der Gemeinschaft "Go&Change" aus Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt), wird seit Montag der Prozess gemacht. Die Staatsanwaltschaft Schweinfurt wirft ihm vierfache Vergewaltigung, drei Fälle von gefährlicher und 33 Fälle vorsätzlicher Körperverletzung vor. Im Mai 2023 soll Kai K. eine junge Frau vergewaltigt, geschlagen und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt haben, um "Dämonen" aus ihr auszutreiben. Laut Staatsanwaltschaft bestand Lebensgefahr. 

Zeugin: K. hat bestimmt, wer von wem geschlagen werden solle

Im Zentrum des ersten Prozesstages vor dem Schweinfurter Landgericht steht die Aussage der 29-jährigen Aussteigerin, die sich im vergangenen Jahr an die Staatsanwaltschaft Schweinfurt wandte. Sie wollte mit ihren eigenen Erfahrungen bei der Aufklärung mutmaßlicher Straftaten im früheren Kloster in Lülsfeld, das die Gemeinschaft bewohnt, mithelfen.

Was die junge Frau erzählt, erschüttert: Kai K. habe bestimmt, wer mit wem Sex habe, wer von wem geschlagen werden solle. Sie berichtet von mehreren Vorfällen sexueller Handlungen, die der Angeklagte von ihr verlangt habe, bei denen sie sich geekelt, die sie nicht gewollt habe. "Man spielt mit", sagt die Zeugin vor Gericht. "Ich wollte ja, dass es mir besser geht."

Wenn K. bei einem der regelmäßigen Drogen-"Prozesse" LSD oder den Ecstasy-Wirkstoff MDMA genommen habe, dann habe er sich vor den Spiegel gestellt, "die Muskeln spielen lassen". Er habe, so beschreibt es die Zeugin, das Bild vermitteln wollen, er habe "uns gerufen" und "wir sind seine Gefolgschaft".

Zum Prozessbeginn schweigt Kai K. Vielmehr lässt der 42-Jährige seine vier Anwälte zahlreiche Anträge stellen, die die Glaubwürdigkeit der 30-jährigen Frau, die ihn angezeigt hatte, mindern sollen. Und die den Fortgang der Verhandlung verzögern. Es sollen Zeuginnen und Zeugen geladen werden, die belegen sollen, wie "manipulativ" die Frau sei, welch "destruktive Verhaltensweisen" sie an den Tag gelegt habe. Sie sollen bezeugen, dass die Frau Vergewaltigungsfantasien gehabt habe, diese habe ausleben wollen und dabei "keinerlei Grenzen" gekannt habe. Und sie sollen berichten, wie sie Kai K. habe "brechen" wollen.

Verteidigung fordert Glaubwürdigkeitsgutachten zu der Frau

Und überhaupt solle ein forensisch-psychiatrisches Glaubwürdigkeitsgutachten zu ihr erstellt werden, so die Verteidigung. Erst dann solle man ihre Aussage hören. Dafür müsse man das Verfahren aussetzen. Das Gericht lehnt die Aussetzung ab; über die anderen Anträgen will es zu einem späteren Zeitpunkt entscheiden. Dennoch soll die junge Frau am Montag noch nicht – wie ursprünglich geplant – aussagen. 

Stattdessen sagt eine 73-Jährige aus, die die Frau nach der mutmaßlich letzten Tat kontaktiert haben soll: Es war nach 22 Uhr an jenem Mittwochabend im Mai 2023, als die 30-Jährige anrief und von Schlägen berichtete. Die Zeugin bot an, dass die junge Frau zu ihr kommen könne. Sie hatte mehrere Verletzungen im Gesicht, am Hals, am Oberkörper. "Ich habe versucht, sie zu überzeugen, ins Krankenhaus zu gehen", sagt die Zeugin. "Und, dass sie das zur Anzeige bringt."

Zeugin bestätigt Gespräch über "Dämonen" bei "Go&Change"

Am ersten Verhandlungstag berichtet auch eine 42-jährige Frau aus der Schweiz von ihren Erlebnissen in Lülsfeld. Sie erzählt von Drogenkonsum: "Die Drogen wurden angeboten" – es sei jedoch immer klar gewesen, dass man dieses "Angebot" nicht ablehnen sollte. Auch diese Zeugin bestätigt, dass innerhalb der Gemeinschaft von "Dämonen" gesprochen wurde, von denen Menschen besessen sein könnten.

Und die 42-Jährige berichtet von einem früheren Vorfall, bei dem die Geschädigte einen sogenannten "Prozess" über sich ergehen lassen musste. Kai K. soll sie dabei geschlagen und eine Bestrafung "angeleitet" haben, bei der es zu einem sexuellen Übergriff gekommen sein soll.

Der Prozess wird an diesem Dienstag mit weiteren Zeugenaussagen fortgesetzt.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Schweinfurt
Lülsfeld
Gerolzhofen
Benjamin Stahl
Christine Jeske
Lisa Marie Waschbusch
Frauen
Go&Change
Körperverletzung und Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit
Landgericht Schweinfurt
Staatsanwaltschaft Schweinfurt
Zeugen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • Peter Koch
    Leider verstößt der Kommentar gegen die Kommentarregeln auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Klaus Fiederling
    ich frage mich immer bei Bildern mit Verbrechern: warum werden diese Gesichter nicht gezeigt, aber alle anderen unschuldigen, wie hier der Polizist? Wer hat den "Dreck am Stecken"?
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Thomas Hemmerich
    Gute Frage. Wurde oder muss nicht auch der Polizeibeamte vorab befragt werden, ob er fotografiert bzw sein Bild in der Zeitung abgebildet wird.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Helga Scherendorn
    Polizei ist öffentlich und verbeamtet, deswegen darf man sie immer ablichten.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Martin Deeg
    Nein, Frau Scherendorn, so ist das ganz sicher nicht!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Helga Scherendorn
    @Martin, ich habe auf der Polizeischule gelernt, dass von Steuergeldern finanziertes Personal öffentlich ist und deshalb auch immer abgelichtet werden darf. So will es das Gesetz, da müssen sie sich nochmal informieren!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Martin Deeg
    Welches Gesetz?

    Es geht insgesamt weniger um die "Ablichtung" als um die Veröffentlichung.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Thomas Hemmerich
    Sie müssten es ja wissen.
    Wäre aber schön, wenn sich die Redaktion der Mainpost Mal dazu äußern würde.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Susanne Orf
    Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Tätigkeit im öffentlichen Dienst bzw. der Beamtenstatus etwas damit zu tun hat. Ich gebe schließlich mein Recht am eigenen Bild nicht automatisch auf, wenn ich Beamter werde.

    Ist zwar schon ein eher alter Artikel, aber hier äußert sich A. Sahlender zu einer ähnlich gelagerten Frage:

    https://www.mainpost.de/ueberregional/meinung/leseranwalt/warum-polizeibeamte-von-der-redaktion-unkenntlich-gemacht-wurden-art-8765555

    Vlt. kann jemand von der Redaktion sich dazu äußern, wie und warum es aktuell so gehandhabt wird.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Claudia Schuhmann
    Hallo Herr Fiederling, so lange ein Mensch noch nicht rechtskräftig verurteilt ist, gilt für ihn die Unschuldsvermutung. Deshalb wird verzichten wir in der Regel darauf, Angeklagte mit ihrem vollen Namen zu nennen und ihr Gesicht zu zeigen. Bei Polizisten und anderen beim Prozess anwesenden Personen ist die Rechtslage etwas anders: Ihnen wird ja kein Vorwurf gemacht. Da derartige Gerichtsprozesse von öffentlichem Interesse sind, sogenannte zeitgeschichtliche Ereignisse, ist die Abbildung solcher Personen zulässig.
    Mit freundlichen Grüßen
    Claudia Schuhmann (Main-Post), Redakteurin für Presserechtsfragen
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Martin Deeg
    Zulässig ja, allerdings nur solange niemand eine Anonymisierung verlangt, da es ja bei dem "zeitgeschichtlichen" Ereignis ja nicht um die Person (!) des Polizeibeamten geht.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten