
Die zierliche Frau spricht von Todesangst. Von Drogen- und Gewaltexzessen. Von Schlafentzug. Davon, wie sie versucht zu verstehen, wie sie in den Sog der Gemeinschaft "Go&Change" geriet, die sie heute nur noch als "Kult" oder "Sekte" bezeichnet. Am fünften Prozesstag gegen Kai K., den Kopf von "Go&Change", steht die 30-Jährige im Zeugenstand, die K. mehrfach vergewaltigt, geschlagen und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt haben soll - laut Anklage, um ihr Dämonen auszutreiben. Ihr Bericht ist schockierend.
Der stämmige Mann, der sie so brutal misshandelt haben soll und den seine Anhängerinnen und Anhänger als "Guru" sehen, sitzt im Schweinfurter Gericht nur wenige Schritte entfernt. Während die 30-Jährige spricht, macht sich Kai K. viele Notizen. Immer wieder legt der Angeklagte ungläubig die Stirn in Falten. Dass der 42-Jährige und die Frau einmal ein Liebespaar gewesen, gar zweimal verlobt waren, ist nur schwer vorstellbar.
In der Bibliothek des ehemaligen Klosters geschlagen
Doch was ist schon leicht vorstellbar, wenn es um die bizarren Vorstellungen geht, die bei "Go&Change" laut bisherigen Zeugenaussagen existieren? Anfangs, erzählt die 30-Jährige an diesem Montag, sei in der Gemeinschaft vor allem von "Schatten" die Rede gewesen, negative Eigenschaften, die jeder in sich trage. Später sei es um "Stimmen" gegangen, dann um "eingepflanzte Parasiten" und schließlich um "Dämonen, die uns besitzen". Und "je näher eine Frau Kai stand, umso mehr Dämonen hat er ihr angedichtet", sagt die 30-Jährige.
So habe ihr K. in den Tagen vor der Tat vorgeworfen, sie habe sich mit Satanisten verbündet und sei geschickt worden, um ihn, den "Lichtbringer" umzubringen. Um den 10. Mai 2023 habe ihr Kai K. "Geständnisse entlocken" wollen. Dass sie ihm fremdgegangen sei, dass sie Menschen gefoltert habe und eine Satanistin sei. Dazu habe sie mit K. und zwei weiteren Personen in die Bibliothek des ehemaligen Klosters in Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt), das "Go&Change" bewohnt, gehen müssen. Dort angekommen, habe K. die Medizinstudentin bedroht und geschlagen. Schließlich sei sie vor die Wahl gestellt worden, die "Wahrheit" zu sagen, oder das "Kloster" zu verlassen. Die Frau ging.
In ihrer Wohnung in Gerolzhofen, die der Gemeinschaft gehöre, angekommen, sei "Go&Change"-Geschäftsführer Felix Krolle aufgetaucht. "Wir wissen jetzt, was du getan hast", soll er ihr gesagt haben. Wenn sie mit der Gemeinschaft "im Kloster glücklich sein" wolle, müsse sie mitkommen. Die Frau ging mit.
Er wollte in ein Haus im Wald, um besessene Frauen zu vergewaltigen
Wie solle man verstehen, dass sie immer wieder zu "Go&Change" zurückgekehrt ist? Diese Frage treibt auch die 30-Jährige um. "Dort läuft eine krasse psychische Manipulation, ich hätte nie gedacht, dass sowas funktioniert", sagt sie vor Gericht.
Als sie in Lülsfeld ankamen, sei ihr eröffnet worden, "ich sei ein Dämon und hier, um Kai zu töten", fährt die Frau fort. "Im Kloster sei ich, um die Welt vor mir zu schützen." Anschließend sei ihr "ein Übergangszimmer" zugewiesen worden, in dem am nächsten Morgen - der 13. Mai - plötzlich Kai K. gestanden habe.
Sie und drei andere Frauen seien besessen, habe er gesagt und angekündigt, er wolle "mit uns in ein Haus im Wald fahren" und "uns dort so lange vergewaltigen und foltern, bis der Dämon ausgetrieben ist", erzählt die Nebenklägerin. Was danach von ihr "übrig ist", habe K. gesagt, "wird mir dankbar dafür sein".
Anschließend habe K. mit ihr Sex haben wollen, wobei sie ihre "Boshaftigkeit zeigen" sollte, berichtet die Frau weiter. "Ich habe ihm dann einen Dämon vorgespielt, so wie ich mir eben einen Dämon vorstelle", erzählt sie.
Dabei habe K. sie mehrfach geschlagen. Nur aus Angst, die Situation könnte eskalieren, habe sie den Geschlechtsverkehr zugelassen. "Ich habe Sex der Gewalt vorgezogen und dabei nicht verstanden, dass das eine Vergewaltigung ist", sagt sie heute. Bei der ersten Gelegenheit floh sie barfuß aus dem früheren Kloster.
Hat Kai K. eine weitere Frau im Mai 2023 misshandelt?
Doch schon am 15. Mai habe sie sich wieder mit K. in der Gerolzhöfer Wohnung getroffen, so die 30-Jährige. Man habe Drogen genommen, unter anderem Speed und Kokain. Schließlich sei es zu zunächst einvernehmlichem Sex gekommen. Doch währenddessen habe K. ihre Beine so überdehnt, dass sie Schmerzen bekam und ein vereinbartes Codewort - "Blue Moon" - gesagt habe. "Er hat aber nicht aufgehört."
"Irgendwann haben wir auch wieder über Dämonen gesprochen", fährt die 30-Jährige fort. K. habe behauptet, sie und seine Ex-Partnerin hätten ein lesbisches Verhältnis. Man habe die Ex-Partnerin daraufhin in die Wohnung eingeladen. Dort habe Kai "Geständnisse aus ihr rausgeprügelt", erzählt die Nebenklägerin. Unter anderem habe die Ex bestätigt, ein "Kind zur Folter organisiert" zu haben. Angezeigt hat diese Frau Kai K. wegen der angeblichen Schläge nicht, wie die Staatsanwaltschaft Schweinfurt auf Anfrage bestätigt.
In der Nacht auf den 17. Mai sei sie mit K. "ins Kloster gefahren", berichtet die 30-Jährige weiter. Dort soll die Situation noch einmal eskaliert sein. "Kai wollte von mir weitere Geständnisse", sagt sie. "Er wurde immer wütender" und habe immer "gewaltvollere Geschichten" gefordert. Immer wieder habe er sie mit der flachen Hand und der Faust geschlagen.
Zeugin: Auch andere sind schon vergewaltigt worden
"Ich hatte wirklich Angst, dass ich das nicht überlebe", sagt die 30-Jährige mit brüchiger Stimme vor Gericht. Erneut sei es zu sexuellen Handlungen gekommen. "Ich hatte die Hoffnung, dass ich dann gehen kann." Stattdessen habe K. sie dreimal gewürgt. "Ich war jedes Mal weggetreten, dann hat er mich geohrfeigt" und geschrien "Komm wieder zurück!". Als sie um Hilfe gerufen und versucht habe, zu fliehen, habe K. sie geschlagen und mehrfach gebissen. Nach mehreren Stunden konnte sie gehen. Der Lattenrost des Bettes sei inzwischen kaputt gewesen.
Die 30-Jährige erzählt das alles meist mit fester Stimme. "Der Hauptgrund, warum ich hier sitze, ist", dass andere auf die gleiche Weise vergewaltigt worden seien. "Wenn Kai nicht gestoppt wird, wird er weitermachen." Sie sagt sogar: "Er ist verantwortlich dafür, dass Menschen gestorben sind."
Die Vernehmung der Frau dauert fast den ganzen Tag. Dabei kommt die Verteidigung auch auf Videos mit "sexualbezogenen Inhalten" zu sprechen, die die 30-Jährige zeigen sollen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit vom Gericht bereits in Augenschein genommen wurden. Die Verteidigung hatte das Material am ersten Prozesstag vorgelegt und als "verstörend" bezeichnet. Die Anwälte gehen davon aus, dass die Aufnahmen ihren Mandanten entlasten.
Frau zusammengeschlagen - auf Anweisung von Kai K.
Wie es sein könne, dass sie nicht einmal wisse, wie viele Aufnahmen es von ihr gebe, wenn sie doch bei einer Vielzahl von ihnen in die Kamera blicke, fragt einer der Verteidiger die Frau. Ihre Antwort: "Haben Sie schon einmal etwas von Trauma gehört?" Sie habe sich in einem dissoziativen Zustand befunden aufgrund der Drogen.
Ob sie anderen Personen Gewalt zugefügt habe, fragt der Anwalt weiter. Die Frau gesteht, mehrmals andere Frauen und auch einmal Kai K. geschlagen zu haben - aber immer auf Anweisung von K. Die Verteidigung spricht von "Regie-Anweisungen".
Einmal, sagt sie unter Tränen, habe sie mit einem anderen Mitglied eine Frau zusammengeschlagen. "Das war das Schlimmste, das ich in der Klostergeschichte getan habe." Außerdem sei sie bei einer anderen Vergewaltigung dabei gewesen. Auf die Frage nach dem Warum sagt die Frau immer wieder: Wenn sie es nicht gemacht hätte, hätte sie alles verloren.
Der Prozess wird am Dienstag, 26. März, fortgesetzt.
Am Ende geht es um ganz andere Fragen. Ich erinnere in dem Zusammenhang an den mit noch größerem medialen Interesse verbundenen Prozess gegen den Inspekteur der Polizei Baden-Württemberg, der vom Landgericht Stuttgart vergangenes Jahr freigesprochen wurde. Trotz aller „schockierenden“ Details und einem Tatvideo, bzw. wegen einem Tatvideo….
Die Bewohner müssten sich doch mit dem Vorwurf "Begünstigung einer Straftat" konfrontiert sehen, entweder als Mitwisser oder dem Bericht nach womöglich als Augenzeugen.
Außerdem steht der Vorwurf des Konsums harter Drogen im Raum.
Wird denn gegen die von Seiten der Staatsanwaltschaft gar nicht ermittelt, oder ist das ein Resultat der Berichterstattung?
Überblickt man ja nicht die Details, aber gerade bei harten Drogen, da bin ich sicher, da werden doch Blutproben genommen und Ermittlungsverfahren eröffnet.
Neben der Absicht, die Konsumenten abzustrafen, muss doch auch geklärt werden, wo das Zeug hergekommen ist. Der- oder diejenige, die das innerhalb der Gemeinschaft weitergegeben hat, ist entweder selbst ein Dealer oder macht sich der Körperverletzung schuldig.
Außerdem will man ja an den ursprünglichen Verkäufer ran. Da wird ein Verfahren gegen "unbekannt" eröffnet und die Konsumenten als Zeugen geladen. Wieso denn nicht hier?