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Schweinfurt
"Mental gehindert": Guru-Anwälte wollen im "Go&Change"-Prozess kurz vor Ende Staatsanwältin austauschen lassen
Die Verteidigung des 42-Jährigen scheiterte vor dem Landgericht Schweinfurt am Dienstag mit fast allen Anträgen. Über eine zentrale Forderung aber wurde nicht entschieden.
Anklägerin im Prozess gegen Kai K. am Landgericht Schweinfurt: 'Aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit' wollte die Verteidigung die Schweinfurter Staatsanwältin Melanie Roth ersetzen lassen.
Foto: René Ruprecht | Anklägerin im Prozess gegen Kai K. am Landgericht Schweinfurt: "Aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit" wollte die Verteidigung die Schweinfurter Staatsanwältin Melanie Roth ersetzen lassen.
Christine Jeske
 und  Jonas Keck
 |  aktualisiert: 01.07.2024 02:37 Uhr

Jubilierend empfangen Mitglieder von "Go&Change" vor dem Landgericht Schweinfurt Hubertus Werner, Anwalt von Kai K., als er nach einer Mittagspause ins Gebäude zurückkehrt. Doch die Freude weicht an diesem Dienstag schnell der Ernüchterung.

Das Verfahren gegen den 42-jährigen Kopf der Gemeinschaft erstreckt sich bereits über 20 Verhandlungstage. Der Vorwurf: Vergewaltigung in vier Fällen, gefährliche Körperverletzung in drei Fällen und vorsätzliche Körperverletzung in 33 Fällen.

Fast eine Stunde dauert am Dienstagvormittag der Monolog der Verteidigung, die ihre neuen Beweisanträge begründen soll. Am Nachmittag reagiert das Gericht – nicht nur auf die bereits in der vergangenen Woche gestellten Anträge, sondern auch auf weitere. 

Verteidigung sieht Staatsanwältin "mental gehindert" und will Wechsel

So beantragt die Verteidigung von Kai K. am Dienstag bei der Staatsanwaltschaft Schweinfurt, die Staatsanwältin Melanie Roth "aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit" gegen einen anderen Vertreter austauschen zu lassen. Die Staatsanwältin habe es unterlassen, die Ermittlungen gegen die mutmaßlich Geschädigte erneut aufzunehmen, obwohl sich während des Prozesses gezeigt habe, dass die Frau im Mai 2023 unter Einfluss von Drogen Auto gefahren sei.

Die Staatsanwältin sei "mental gehindert", in Erwägung zu ziehen, dass der Angeklagte nicht der Täter sein müsse, argumentiert Anwalt Werner. Vor Gericht beantragte die Verteidigung deshalb, das Verfahren erst fortzusetzen, wenn die Staatsanwaltschaft über eine etwaige Neubesetzung entschieden hat.

Erneut kritisiert Verteidigung das Gutachten des Sachverständigen

Werner ging außerdem auf einen Antrag ein, den die Verteidigung in der vergangenen Woche eingebracht hatte: Sie fordert, ein weiteres psychiatrisches Gutachten über die Schuldfähigkeit von Kai K. zu erstellen, der in der Gemeinschaft den Status eines Gurus innehat. Bei dem bereits vorliegenden Gutachten seien "Mindeststandards nicht eingehalten" worden.

Anwalt Hubertus Werner (links) und der Angeklagte Kai. K. im Gerichtssaal in Schweinfurt
Foto: René Ruprecht | Anwalt Hubertus Werner (links) und der Angeklagte Kai. K. im Gerichtssaal in Schweinfurt

Es sei dem Gutachten nicht zu entnehmen, ob der Sachverständige den Angeklagten zu seiner sexuellen Orientierung, zum Pornografiekonsum und etwaiger Gewalterfahrungen im Jugendalter befragt hat. Der Sachverständige sei "schlicht ungeeignet" und müsse wegen "Besorgnis der Befangenheit" abgelehnt werden, so der Anwalt. 

Zudem stellte die Verteidigung am Dienstag weitere Anträge zu weiterführenden Ermittlungen. Etwa über Kontakte der Geschädigten auf einer Online-Erotik-Plattform.

Aus Sicht der Verteidigung ist auch ein psychiatrisches Gutachten über die Geschädigte notwendig, die im Prozess auch Nebenklägerin ist. Es habe sich im Laufe des Verfahrens gezeigt, dass die Frau "selbstschädigendes Verhalten" zeige, "paranoide Vorstellungen" habe und eine "Störung ihrer Sexualpräferenz" vorliege, sagt Werner. Folglich könne das Gericht die Glaubwürdigkeit der 30-Jährigen nicht beurteilen.

Offen bleibt: Wird der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt?

Das Gericht lehnt fast alle Anträge der Verteidiger ab und das Verfahren wird nicht unterbrochen. Dies hatte die Verteidigung gewünscht, bis die Frage nach der Befangenheit der Staatsanwältin geklärt ist. Die Kammer habe darüber keine Entscheidungsbefugnisse, erklärt die Vorsitzende Richterin. Darüber müsse der zuständige Oberstaatsanwalt entscheiden.

Hinsichtlich des psychiatrischen Gutachtens über Kai K. seien "keine Fragen offen geblieben". Das Gericht habe auch "keine Zweifel am Sachverstand des Gutachters", Anzeichen von Subjektivität seien nicht erkennbar gewesen. Dass die Geschädigte an psychischen Störungen leide, sei eine "Behauptung ins Blaue hinein", sagt Guba.

Offen lässt die Vorsitzende Richterin Claudia Guba die Entscheidung über die Frage, ob der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt werden soll. Das müsse nicht öffentlich verhandelt werden, sagt Guba.

Landgericht Schweinfurt hat "keine Zweifel am Sachverstand des Gutachters"

Kopfschütteln und ungläubiges Schnauben macht sich unter den Mitgliedern der Gemeinschaft aus Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt) im Zuschauerraum breit, als die Anträge nach und nach abgeschmettert werden. Anwalt Werner kündigt unterdessen einen weiteren Antrag an, den er dem Gericht bis Mittwochmittag zukommen lassen will.

Richterin Guba lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Prozess bald ein Ende finden soll. Die Anwälte und die Staatsanwaltschaft müssten von nun an damit rechnen, jederzeit Plädoyers halten zu müssen. Sie appelliert an die Prozessbeteiligten: "Seien Sie vorbereitet!" 

Die Verhandlung wird am Donnerstag, 27. Juni, fortgesetzt.

 
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  • Hubertus Kiesel
    Ich frage mich, wenn ich solche Berichte lese, ob man als Verteidiger sein Gewissen an- und ausschalten kann. Oder ob man gewissenlos sein muss.
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  • Walter Stöckl-Manger
    Wes Brot ich ess', des Lied ich sing.
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