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Schweinfurt
"Haben nicht mehr gewusst, wer gut, wer böse ist": Gemeinschaft "Go&Change" befürchtete Entführung eines Mitglieds
Im vierten Anlauf sagte am Freitag die Nummer Zwei von "Go&Change" aus. Dass Kai K. eine 30-Jährige vergewaltigt haben könnte, kann er sich nicht vorstellen.
Die Gemeinschaft 'Go&Change' bewohnt das ehemalige Kloster 'Maria Schnee' am Ortsrand von Lülsfeld im Landkreis Schweinfurt.
Foto: Daniel Peter | Die Gemeinschaft "Go&Change" bewohnt das ehemalige Kloster "Maria Schnee" am Ortsrand von Lülsfeld im Landkreis Schweinfurt.
Benjamin Stahl
,  Christine Jeske
 und  Lisa Marie Waschbusch
 |  aktualisiert: 30.05.2024 03:02 Uhr

Im Prozess gegen Kai K. kam es am Freitag zur lange erwarteten Aussage eines führenden Mitglieds der Gemeinschaft "Go&Change". Felix Krolle, die Nummer Zwei hinter K., schilderte dabei, wie er die Tage Mitte Mai 2023 erlebt hat, in denen der 42-jährige Angeklagte eine 30-Jährige geschlagen, gewürgt und vergewaltigt haben soll. Auch nach bereits 16 absolvierten Verhandlungstagen kamen dabei neue Details ans Licht.

Es ist bereits der vierte Versuch, Krolle zu befragen. Die erste Vernehmung des 37-Jährigen endete nach wenigen Minuten, weil er Fragen zum Drogenkonsum bei "Go&Change" nicht ohne Zeugenbeistand beantworten wollte. Ein zweiter Termin platzte, weil Kai K. wegen Zahnschmerzen vom Gerichtssaal zu einem Arzt gebracht wurde. Über den dritten Termin hatte Krolle seine Anwältin nicht informiert und war ohne sie erschienen - das Gericht verschob seine Aussage daraufhin erneut und verzichtete auf ein Ordnungsgeld oder gar Beugehaft, um "nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen".

Doppelagentin für das Gute und das Böse

Er habe sich "intensiv vorbereitet", beginnt Krolle nun am Freitag seine Aussage. Vor ihm liegt ein Stapel Papier. Relativ frei berichtet er dann, wie er am 10. Mai 2023 von einer Reise ins ehemalige Kloster nach Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt) zurückgekommen sei. Damals sei gerade ein Polizeieinsatz im Gange gewesen, weil ein weibliches Mitglied der Gemeinschaft vermeintlich verschwunden war.

Kurz zuvor sei auch die 30-Jährige nach Lülsfeld gekommen: Man habe sich mit der Verbindung zwischen ihr und Kai K. "auseinandergesetzt", so Krolle. Die Nebenklägerin habe nämlich immer wieder "fantastische Geschichten" über angebliche satanische Zirkel, Dämonen und Folterrituale erzählt - und wie sie K. brechen wolle. Sie habe erzählt, sie sei "eine Art Doppelagentin", die im Auftrag dunkler Mächte Kai K. töten solle, aber "für das Gute gearbeitet und das Schlimmste verhindert" habe.

Zeuge spricht lediglich von "Handgemenge"

"Ich kann mir bis heute nicht vorstellen, dass es satanische Zirkel gibt", sagt Krolle. Warum sich das jemand nur ausdenken sollte "und eine ganze Gemeinschaft mit reinzieht", könne er sich aber auch nicht erklären.

Um zu erfahren, "welche Geschichten wahr sind", sei Krolle mit Kai K., der jungen Frau und einer weiteren Bewohnerin in die Bibliothek des Klosters gegangen. Während in der Anklageschrift die Rede davon ist, dass K. die Frau dort als Bestrafung für etwaige Lügen mehrmals ins Gesicht geschlagen haben soll - so stark, dass sie von einem Hocker fiel -, spricht Krolle lediglich von einem "Handgemenge" zwischen den beiden.

Erneuter Polizeieinsatz in Lülsfeld

Auch an jenem Abend sei die Polizei bei "Go&Change" gewesen - wegen eines ehemaligen Bewohners, der des Gebäudes verwiesen werden sollte. Noch während des Einsatzes habe die junge Frau "angepisst" das Kloster verlassen. Kai K. habe daraufhin erklärt, er habe "Todesangst". "Es stand im Raum, dass es Leute gibt, die uns nach dem Leben trachten", so Krolle. "Ich möchte mir nicht ausmalen, was das emotional mit Kai gemacht hat."

"Sie waren ein Herz und eine Seele."
Felix Krolle über Kai K. und die 30-Jährige

Am 12. Mai sei Krolle zu der Frau in ihre Wohnung gefahren, um endlich "herauszufinden, was wahr ist". Anschließend seien beide zurück nach Lülsfeld. Zu den Ereignissen der folgenden Tage, in denen K. laut Anklage die 30-Jährige erstmals vergewaltigt und erneut geschlagen haben soll, kann Krolle nichts sagen.

Vor Festnahme von Kai K. nach vermisst geglaubtem "Go&Change"-Mitglied gesucht

Erst in den frühen Morgenstunden des 17. Mai sieht Krolle die beiden wieder. "Sie waren ein Herz und eine Seele", so der 37-Jährige. Er habe das nicht verstanden, aber auch nicht angesprochen und sich schlafen gelegt. Als er gegen 18 Uhr aufgewacht sei, habe er aus dem Zimmer nebenan - K.s Schlafzimmer - "Gespräche" und "Sexgeräusche" gehört. Er sei dann zum Abendessen gegangen. Etwa im selben Zeitraum soll K. die Frau laut Anklage vergewaltigt und dreimal bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt haben. Während die 30-Jährige in Aussagen angab, um Hilfe gerufen zu haben, habe Krolle "kein Geschrei" gehört.

Erst am späten Abend sei Kai K. - ohne die junge Frau - in den Gemeinschaftsraum gekommen. Der 42-Jährige sei "fix und fertig" gewesen, habe erzählt, die Frau sei ausgerastet, habe ihn geschlagen und auch sich selbst. K. habe dann zurückgeschlagen. Im Laufe des Prozesses hatte ein Gerichtsmediziner bereits erklärt, dass es unwahrscheinlich sei, dass sich die Frau die festgestellten Verletzungen selbst beigebracht hat.

"Wir haben nicht mehr gewusst, wer gut, wer böse ist", fährt Krolle fort und spricht von einem "absoluten Ausnahmezustand". Zudem habe die 30-Jährige erzählt, die vermeintlich verschwundene Bewohnerin sei entführt worden. Einige Mitglieder der Gemeinschaft hätten plötzlich das Bild eines abseits gelegenen Hauses vor Augen gehabt. Daraufhin sei Krolle mit Kai K. und anderen Bewohnern losgefahren, um nach "den Leuten" zu suchen. Irgendwann habe die Polizei angerufen und gesagt, man wolle Kai K. festnehmen. Dann seien sie zur Dienststelle in Gerolzhofen gefahren. Eine Entführung hat es indes nie gegeben.

Verteidiger geht erneut Staatsanwältin an

Für Krolle ist es "so absurd", dass K. die 30-Jährige vergewaltigt haben soll. Nach seiner Überzeugung hat die Frau die Polizei auf den 42-Jährigen "gehetzt".

Während Krolles Zeugenaussage ist die Stimmung im Gericht erneut aufgeheizt. Wie schon am Donnerstag nimmt Verteidiger Hubertus Werner Staatsanwältin Melanie Roth ins Visier. "Seien Sie still", poltert er etwa, als sie Fragen der Verteidigung an den Zeugen als Wiederholungen bemängelt. Richterin Claudia Guba kritisiert er, sie sei dafür verantwortlich, dass die Staatsanwaltschaft "den Betrieb nicht stört". Die Vorsitzende ermahnt erneut alle Prozessbeteiligten, auf ihren Ton zu achten.

Weitere Ermittlungen gegen "Go&Change"-Anhänger

Als der Verhandlungstag fast schon zu Ende ist, gelangt noch eine weitere Neuigkeit an die Öffentlichkeit. Im Falle des Sohnes von Kai K., der zwischenzeitlich vom Jugendamt in Obhut genommen werden sollte und nicht auffindbar war, läuft nicht nur gegen die Mutter ein Verfahren: Auch Felix Krolle legt die Staatsanwaltschaft zur Last, "das Kind dem (behördlichen) Vormund entzogen zu haben", wie die Behörde auf Nachfrage mitteilt.

Der Prozess wird am Montag, 3. Juni, fortgesetzt.

 
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  • Cornelius Beyer
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  • Cornelius Beyer
    Und zu den Drogen ist er demnach anscheinend nicht befragt worden?
    Wie merkwürdig.
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  • Benjamin Stahl
    Hallo Herr Beyer,
    doch, eine Frage dazu gab es. Herrn Krolles Antwort brachte aber keinen großen Erkenntnisgewinn: Er gab an, dass er „nicht ausschließen“ könne, dass Mitglieder der Gemeinschaft Drogen konsumierten. Zum Drogenkonsum von Kai K. sagte er lediglich: Mit der 30-jährigen Nebenklägerin habe K. seine erste Zigarette geraucht. Dass in der Gemeinschaft Drogenkonsum regelmäßig stattgefunden haben soll, haben inzwischen mehrere Zeugen ausgesagt. Dass Kai K. ein „Drogenproblem“ hat, haben dessen Anwälte und Gutachter bestätigt.
    Viele Grüße,
    Benjamin Stahl
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