Was der junge Mann vor Gericht erzählt, klingt wie aus einer Parallelwelt. Er spricht von Dämonen, von Satanismus, von Kai K. als "Gegenspieler" Satans. Und er betont gleichzeitig, dass all das eben keinesfalls eine Parallelwelt sei.
Der 38-Jährige ist am zweiten Tag des Prozesses gegen den Kopf der Gemeinschaft "Go&Change" vor dem Landgericht Schweinfurt geladen; ein Zeuge der Verteidigung. Er will verdeutlichen, was der Angeklagte Kai K. für ein Mensch ist und warum die Anschuldigungen gegen den 42-Jährigen, aus Sicht des Zeugen, "so absurd und an den Haaren herbeigezogen" seien.
Er wäre heute nicht der Mann, der er ist, hätte er Kai K. nicht getroffen, sagt der 38-Jährige. Drei Jahre lang hat er selbst im ehemaligen Kloster "Maria Schnee" in Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt) gelebt. K. habe ihn an seinem zweiten Tag dort "500 Millisekunden in die Augen geschaut und sämtliche Anteile meiner Persönlichkeit in Liebe aufgefangen". Er habe K. "ausnahmslos" – das Wort betont er deutlich – konstruktiv, liebevoll und barmherzig erlebt. "Der Mann ist die wandelnde Heilung. Wenn wir hier sitzen, heilen wir." Ein Seufzen geht durch den Saal.
Kai K. habe sich vor Sex-Angeboten von Anhängerinnen bei "Go&Change" kaum retten können
Glaubt man der Aussage des Zeugen am Dienstagvormittag, dann waren es meist Frauen, die seiner Ansicht nach Probleme machten bei "Go&Change" im ehemaligen Kloster in Lülsfeld. Viele frühere Bewohnerinnen seien "manipulativ" und "destruktiv" – allen voran diejenige Frau, die Kai K. vorwirft, sie im Mai 2023 mehrmals vergewaltigt, geschlagen und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt zu haben.
Dafür, dass es immer wieder zu regelrechten Sexorgien zwischen Kai K. und mehreren Frauen im Kloster gekommen sei, nennt der Zeuge zwei Gründe. Einerseits habe K. "am laufenden Band" Avancen von Frauen bekommen, die mit ihm schlafen wollten. "Der hatte vor dem Frühstück schon drei Angebote", will der junge Mann wissen. "Und er muss seine Zeit ja effizient nutzen." Gleichzeitig habe K. durch die Anwesenheit anderer Personen sicherstellen wollen, dass ihm im Nachhinein keine Vergewaltigung vorgeworfen werden könne.
"Blue moon": Bei "Go&Change" gab es während sexueller Handlungen ein Codewort
Als ein Bewohner des Klosters einmal ohne Einverständnis nachts den Arm um eine Frau legte, sei dieser "achtkantig" aus dem Kloster geschmissen worden, erzählt der Zeuge im Gerichtssaal in Schweinfurt. Das sei beinahe ein sexueller Übergriff gewesen, "das ging gar nicht für Kai".
Und wenn während sexueller Handlungen das Codewort "blue moon" genannt worden sei, sei die Handlung sofort abgebrochen worden. Warum ein Nein nicht genügt habe, will Richterin Claudia Guba wissen. Weil ein Nein auch "nur gespielt" sein könne, so der Zeuge, und ein Teil der Betroffenen doch weitermachen wollen könnte.
In der Anklageschrift heißt es dagegen, Kai K. habe, obwohl sie das Codewort "blue moon" gesagt habe, mit sexuellen Handlungen weitergemacht bei der 30-Jährigen, die Nebenklägerin in dem Verfahren ist.
Als der Zeuge von dem Vorfall erfahren habe, habe er sich Anfang Juni 2023 selbst bei der Polizei gemeldet, berichtet er. Für ihn habe der Vorwurf "so gut ins Bild gepasst, um Kai in die Scheiße zu reiten". Für ihn klinge es plausibler, dass sich die junge Frau nach einvernehmlichem Sex mit K. von anderen habe verprügeln lassen und dann eine Vergewaltigung konstruiert habe.
Nebenklägerin ist zum ersten Mal selbst im Gerichtssaal in Schweinfurt
Die Nebenklägerin selbst ist am zweiten Prozesstag erstmals selbst im Sitzungssaal 6 in Schweinfurt, hört, was der junge Mann über sie sagt. "Sie brauchen heute gute Nerven", hat sie Richterin Guba zuvor gewarnt.
Nach der Mittagspause ist die junge Frau wieder weg. Da schildert eine 33-Jährige im Zeugenstand, was in der Nacht vor der mutmaßlichen Vergewaltigung geschehen sein soll. Demnach hat die Nebenklägerin behauptet, "darauf ausgerichtet worden zu sein, Kai zu ermorden". Außerdem habe sie erzählt, seit ihrer Jugend einem "satanischen Kreis" angehört und Kinder bei Ritualen misshandelt zu haben. Nun habe sie jedoch die Seite gewechselt, schildert die Zeugin die Erzählung. Kai K. habe "Todesangst" gehabt und die Behauptungen "als ernsthafte Möglichkeit" in Erwägung gezogen.
Selbst die Verteidigung von Kai K. findet, dass die Aussage der Zeugin "surreal" klingt
Außerdem wird die 33-Jährige intensiv zu einem "Dossier" befragt, das "Go&Change" kurz nach er Festnahme von Kai K. über die Nebenklägerin verfasst hat. Das Schriftstück liegt der Redaktion vor. Darin enthalten sind angebliche Aussagen der Nebenklägerin: Auch hier heißt es, sie sei in einem satanistischen Kreis und habe den Auftrag, Kai K. zu ermorden.
Zudem soll die Nebenklägerin demnach ein belastetes Verhältnis zu ihrer Familie haben, ihre Mutter übergriffig gewesen sein und sie in den Missbrauch getrieben haben. In der Familie soll sie als Sexobjekt herumgereicht worden sein.
Die Zeugin, ein "Go&Change"-Gründungsmitglied, zeichnet insgesamt ein wenig sympathisches Bild der jungen Frau. Sie habe sich selbst oft als Opfer zelebriert, sei untreu, habe oft Geschichten erfunden und sei ausgerastet, wenn man ihr gesagt habe: Das könne nicht stimmen.
Ein Verteidiger von Kai K. meint, das sei "ja spektakulär", was sie berichtet. Doch selbst ihm kommt die Frage über die Lippen, ob das nicht "surreal" klinge. Die Zeugin antwortet: Das sei authentisch.
Hat die Gemeinschaft ein "Dossier" über mutmaßliche Geschädigte, um Guru zu entlasten?
Staatsanwältin Melanie Roth will es genauer wissen: Sie fragt, warum dieses "Pamphlet" überhaupt angefertigt worden sei. Die Zeugin spricht von einem "gemeinsamen Erinnern". Doch das nimmt ihr Roth nicht ab und konfrontiert sie mit dem letzten Satz des Schriftstücks: "Wer diese Aussagen von" der mutmaßlich Geschädigten "nicht glauben mag, kann sich fragen, warum er gleichzeitig ihrer Behauptung einer Vergewaltigung Glauben schenkt", heißt es da.
"Für mich klingt das so", als ob Kai K. "damit entlastet werden sollte", seine Anhängerschaft das "Dossier" zu diesem Zweck angefertigt und letztlich "Go&Change" das Schreiben an die Ermittlungsbehörden geschickt habe. Die Zeugin räumt daraufhin ein, dass es "diese Überlegung" gegeben habe.
Weltanschauungsbeauftragter sieht sich in Einschätzung von "Go&Change" bestätigt
Jürgen Lohmayer, Weltanschauungsbeauftragter der Diözese Würzburg, hat die ersten beiden Prozesstage beobachtet. Er sieht sich in seiner früheren Einschätzung von "Go&Change" als "einer Psychogruppe mit hohem Konfliktpotential" bestätigt, sagt er gegenüber dieser Redaktion. Auch sei an beiden Tagen "ein verstörendes Frauenbild gezeichnet worden".
Lohmayer sagt weiter: "Neu waren für mich das Reden von Dämonen und Satanismus. Der Zeuge hat dies als Erklärungsmuster für die zunehmende Gewalt in der Gemeinschaft herangezogen." Dieser Rückgriff auf Dämonen als selbstständige Wesenheiten, von denen man besessen sein könne, habe ihn sehr verwundert. "Ich würde ihn eher als vormodern qualifizieren."
Mit Spannung wurde unterdessen unter Prozessbeobachtern die für Dienstag geplante Zeugenaussage von Felix Krolle erwartet, der hinter K. die Nummer zwei bei "Go&Change" ist. Doch die Befragung wird nach wenigen Minuten abgebrochen: Auf die Frage des Gerichts, ob Kai K. Drogen genommen habe, will Krolle nicht antworten. Die Verteidigung von Kai K. interveniert, fordert einen anwaltlichen Zeugenbeistand für Krolle. Der 37-Jährige nimmt den Ball auf, will sich einen Anwalt suchen. Die Vernehmung ist für diesen Tag beendet, Krolle wird nun neu geladen.
Der Prozess wird am 1. März fortgesetzt.