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Schweinfurt/Lülsfeld
Dämonen und Aliens: Anklage gegen "Go&Change"-Guru gibt Einblick in bizarre Gedankenwelt der Gemeinschaft
Der Kopf der umstrittenen Gemeinschaft "Go&Change" aus Lülsfeld in Schweinfurt muss sich jetzt vor Gericht verantworten. Der 42-Jährige soll eine Frau vergewaltigt haben.
Im Fokus der Kameras: Zum Auftakt des Prozesses gegen den 'Guru' der Gemeinschaft 'Go&Change' am Landgericht Schweinfurt war das Medieninteresse am Montagmorgen groß.
Foto: Josef Lamber | Im Fokus der Kameras: Zum Auftakt des Prozesses gegen den "Guru" der Gemeinschaft "Go&Change" am Landgericht Schweinfurt war das Medieninteresse am Montagmorgen groß.
Benjamin Stahl
,  Christine Jeske
 und  Lisa Marie Waschbusch
 |  aktualisiert: 25.02.2024 03:32 Uhr

Sie waren früh angereist: Eine Stunde, bevor an diesem Montagmorgen der Vergewaltigungsprozess gegen den Kopf der umstrittenen Gemeinschaft "Go&Change" beginnt, warten rund 50 Menschen vor dem Schweinfurter Landgericht. Sie wollen das Verfahren vor Ort verfolgen. Viele von ihnen, mutmaßlich Anhängerinnen und Anhänger von Kai K., haben Campingstühle mitgebracht. Aus einem Kofferraum wird Verpflegung geholt.

Längst nicht alle finden dann Platz in Sitzungssaal 6. Sie verpassen, wie der Mann, der die Öffentlichkeit scheut, von zwei Polizisten vorgeführt wird. Der Angeklagte trägt schwarzen Anzug, bordeauxrote Krawatte - und Hand- und Fußfesseln. Bis zu zehn Sicherheitskräfte werden den ganzen Verhandlungstag über im Gerichtssaal positioniert sein.

Bizarre Gedankenwelt hinter früheren Klostermauern

Dort verliest Staatsanwältin Melanie Roth am Morgen die Anklage gegen den 42-Jährigen, der in der Gemeinschaft "Go&Change" aus Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt) den Status eines Gurus genießt – Roth spricht von der "Stellung eines geistigen Führers". Die Staatsanwaltschaft Schweinfurt wirft ihm vier Fälle von Vergewaltigung, drei Fälle von gefährlicher Körperverletzungen und 33 vorsätzliche Körperverletzungen vor.

Dutzende Menschen warteten am Montagfrüh vor dem Gerichtsgebäude und wollten den Prozess vor Ort verfolgen.
Foto: Josef Lamber | Dutzende Menschen warteten am Montagfrüh vor dem Gerichtsgebäude und wollten den Prozess vor Ort verfolgen.

Diese Anklageschrift klingt wie die Vorlage eines Drehbuchs für einen Horrorfilm. Und sie ist mehr als ein juristischer Schriftsatz: Sie ist – bei aller Unschuldsvermutung für den Angeklagten – ein Blick in die bizarre Gedankenwelt bei "Go&Change", der Gemeinschaft, die sich im früheren Kloster "Maria Schnee" wohl eine Art Paralleluniversum geschaffen hat.

Anhänger bei "Go&Change" zeichnen von Kai K. ein Bild wie von einem Messias

Als "Heiler" oder "Lichtwesen" werde K. unter "Go&Change"-Mitgliedern angesehen, so die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage. Ihm werde "die Fähigkeit zugesagt, negative Persönlichkeitsanteile – genannt 'Dämonen', 'Parasiten', 'Schatten' oder 'Arsch-Teile' – in anderen Personen zu erkennen" und bei sogenannten Prozessen zu beseitigen.

Dabei, so die Anklage weiter, werde mit Drogen wie Amphetamin, LSD und Kokain sowie Schlafentzug gearbeitet. Zu den Methoden des 42-jährigen Angeklagten zählten "auch körperliche Züchtigung" und vor allem bei Frauen "die Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen". Und zwar durch Kai K. selbst oder auf dessen Anweisung hin "mit Dritten".

Der Angeklagte wurde am Montagmorgen an Händen und Füßen gefesselt zum Gerichtssaal am Landgericht Schweinfurt gebracht.
Foto: Heiko Becker, dpa | Der Angeklagte wurde am Montagmorgen an Händen und Füßen gefesselt zum Gerichtssaal am Landgericht Schweinfurt gebracht.

Was die Staatsanwaltschaft beim Auftakt des Prozesses gegen Kai K. vorträgt, deckt sich mit früheren Aussagen aus dem Umfeld von "Go&Change" gegenüber dieser Redaktion. Anhängerinnen und Anhänger zeichnen ein geradezu messiashaftes, übermenschliches Bild von Kai K.: ein Mann, der selbst körperliche Gebrechen heilen kann und dessen Hände in der Dunkelheit leuchten.

Martyrium einer "Go&Change"-Aussteigerin zog sich wohl über mehrere Tage

Menschen, die sich von "Go&Change" gelöst haben, können es sich im Nachhinein nur schwer erklären, warum sie das alles geglaubt haben. Warum sie so fasziniert von Kai K. waren, sich so vereinnahmen ließen.

So auch zwei Zeuginnen, die einst bei "Go&Change" lebten und an diesem Montag aussagen. "Für uns war klar, dass Kai mehr sieht, mehr versteht", sagt eine. Deshalb habe man ihn nie infrage gestellt, obwohl auch sie Übergriffe und sexualisierte Gewalt beobachtet oder erlebt hätten. 

Glaubt man den Zeuginnen, ist das, was sich laut Ermittlungen der Staatsanwaltschaft im Mai 2023 zwischen Kai K. und einer jungen Frau im früheren Kloster in Lülsfeld abgespielt hat, eine Eskalation früherer Vorfälle. Das Martyrium der Frau, die laut Anklage seit 2019 Mitglied bei "Go&Change" war und zweimal mit K. verlobt gewesen sein soll, dauerte wohl mehrere Tage.

Angeklagter soll von "Vision" gesprochen haben: als Aliens außerhalb der Erde gelebt

Am 2. Mai, so die Staatsanwaltschaft, hat Kai K. die Frau zu einer Party nach Lülsfeld eingeladen. Bei der fünf Tage dauernden Feier sollen laut Anklage "wiederum Drogen konsumiert" worden sein.

Dabei soll K. der Gemeinschaft von einer "Vision" erzählt haben: Ihm sei offenbart worden, dass "jeder Mensch einen echten Dämon in sich trage, der noch aus der Zeit stamme, als die Menschheit als Aliens außerhalb der Erde gelebt hätte", heißt es in der Anklage. Und weiter: "Hierbei behauptete der Angeschuldigte, dass es sich bei der Geschädigten um eine 'Dämonen-Assassine' handeln könnte, die auf die Welt geschickt worden sei, um ihn zu vernichten."

Dennoch sei die Frau einige Tage nach der Party "erneut auf Einladung" von K. ins Kloster gekommen. K. habe ihr Hoffnung gemacht, wieder eine Beziehung mit ihm führen zu können. Die Bedingung: ein "Prozess". Die Frau ließ sich darauf ein.

Frau sollte bei sogenanntem "Prozess" satanische Handlungen gestehen

Was dann laut Staatsanwaltschaft geschah, klingt unglaublich: "Die Geschädigte musste sich sodann mit dem Angeschuldigten und zwei weiteren Mitgliedern der Gemeinschaft" in ein Zimmer begeben und "sich auf einen Hocker setzen". Dort sollte sie unter anderem zugeben, dass sie "satanistische Sachen gemacht habe und andere Personen gefoltert habe".

Die Frau habe versucht, K. mit "erfundenen Geschichten" zufriedenzustellen. Doch das misslang: Laut Anklage schlug K. die Frau mindestens dreimal "mit der flachen Hand ins Gesicht", sodass sie vom Hocker fiel. Die Frau konnte daraufhin das ehemalige Kloster verlassen.

Am Abend des 12. Mai fuhr laut Anklage ein Mitglied der Gemeinschaft zur Wohnung der Frau. Mit ihm sei sie erneut zurück nach Lülsfeld gegangen. Dort sei ihr vorgeworfen worden, "mit weiteren weiblichen Mitgliedern der Gemeinschaft satanistische Rituale und Folteraktionen betrieben" zu haben, "weswegen sie nun im Kloster bleiben müsse, weil die Welt vor ihr geschützt werden müsse".

Opfer kam immer wieder ins frühere Kloster zu "Go&Change" zurück

Am nächsten Morgen sei K. in das Zimmer der Frau gekommen und habe ihr erklärt, es sei notwendig, ihren "Dämon auszutreiben". Dabei habe er gedroht, er müsse mit ihr in den Wald gehen, "sie dort so lange quälen, foltern" und mit ihr Sex haben, "bis die Dämonen ausgetrieben seien, wobei dies auch ihren Tod bedeuten könne".

Anschließend soll K. mit der Frau Geschlechtsverkehr gehabt haben, wobei sie "ihren Dämon" zeigen sollte. Laut Staatsanwaltschaft schlug K. die Frau während des sich "mehrere Stunden hinziehenden Geschehens" mindestens fünfmal ins Gesicht. Am Nachmittag habe die Frau "fluchtartig das Kloster" verlassen – nur um sich am 15. Mai erneut mit K. zu treffen.

In einer Wohnung der Gemeinschaft in Gerolzhofen nahmen die beiden laut den Ermittlungen Drogen. Obwohl K. die Frau auch dort wieder misshandelt haben soll, ging sie mit ihm am 17. Mai erneut ins ehemalige Kloster nach Lülsfeld.

Anklage: Die Frau dreimal bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt

Dort soll K. von der Frau verlangt haben, "zuzugeben, dass sie auch Kinder gefoltert und getötet habe". Anschließend, so die Staatsanwaltschaft, soll K. die Frau mindestens 20 Mal ins Gesicht geschlagen, gebissen und vergewaltigt haben.

"Fluchtversuche der Geschädigten verhinderte der Angeschuldigte damit, dass er die Geschädigte jeweils festhielt", heißt es in der Anklage. Außerdem soll K. die Frau dreimal gewürgt haben, bis sie "jeweils das Bewusstsein verlor". Jedes Mal habe Lebensgefahr bestanden, so die Staatsanwaltschaft.

Kai K. hat die Vorwürfe nach seiner Festnahme bestritten. Auch zu Prozessbeginn an diesem Montag schwieg der 42-Jährige zu den Vorwürfen.

 
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Kommentare
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  • Andreas Kempf
    Sehr geehrte Mainpost, vielen Dank für die umfangreiche Berichterstattung. Gerne hätten Sie auch noch kritischer darüber berichten können, dass lediglich 11 "normale" Zuschauer eingelassen wurden, obwohl man sich seitens des Gerichts hätte denken können, dass mehr interessierte Bürgerinnen und Bürger kommen würden.
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  • Peter Koch
    Von diesem Guru können sogar die Exorzisten der alleinseligmachenden Kirche in Sachen Dämonen einiges lernen.
    Es ist mir unverständlich warum unser Staat solche Leute, weitgehend ungestraft, ihren schmutzigen Geschäften nachgehen lässt. Eindeutige Hinweise gab es doch schon seit Jahren bzw. Jahrhunderten.
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