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Schweinfurt
Prozess gegen den "Go&Change"-Guru in Schweinfurt: Wer ist eigentlich der Angeklagte Kai K.?
Am Freitag sagte Kai K. den vierten Verhandlungstag über sein Leben aus – erneut hinter verschlossenen Gerichtstüren. Was dennoch über ihn bekannt ist.
Seit Februar steht der 42-jährige Kopf der Gemeinschaft 'Go&Change' vor Gericht. Bekannt ist über den Mann wenig.
Foto: René Ruprecht | Seit Februar steht der 42-jährige Kopf der Gemeinschaft "Go&Change" vor Gericht. Bekannt ist über den Mann wenig.
Benjamin Stahl
,  Christine Jeske
,  Jonas Keck
 und  Lisa Marie Waschbusch
 |  aktualisiert: 22.08.2024 02:42 Uhr

Wenn Kai K. mit dem Polizeiwagen morgens von einem psychiatrischen Krankenhaus, in das er wenige Monate nach seiner Festnahme im Mai 2023 verlegt wurde, zum Schweinfurter Landgericht gefahren wird, dann warten seine Anhängerinnen und Anhänger längst auf ihn. Sie winken, jubeln, als würde ein Pop-Star hinter der verdunkelten Scheibe sitzen.

Und in gewisser Weise dürfte es auch Parallelen geben: Kai K. ist jemand, zu dem sie aufschauen, den sie anhimmeln, zu dem sie eine besondere Verbindung haben. Jemand, bei dem man es nicht glauben mag, wenn andere den Vorwurf erheben, er habe etwas Schlimmes getan.

Wer ist dieser Mann, dem eine 31-Jährige vorwirft, sie mehrmals vergewaltigt, geschlagen und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt zu haben? Dem seit Mitte Februar der Prozess vor dem Landgericht Schweinfurt gemacht wird - wegen mutmaßlicher Taten, an die er sich in polizeilichen Vernehmungen nicht erinnern konnte? Der von Anhängerinnen und Anhängern seiner Gemeinschaft "Go&Change" vergöttert wird, dem sie heilerische Fähigkeit zuschreiben?

Wer ist dieser Kai K., der vor Gericht in öffentlicher Verhandlung zu den Vorwürfen ebenso schweigt wie zu den Lobeshymnen, die einige Anhängerinnen und Anhänger im Zeugenstand anstimmten?

Es gibt kaum öffentliche Bilder von ihm

Zu Gesicht bekommen haben den 42-Jährigen in seiner Funktion als eigentlicher Kopf von "Go&Change" außerhalb von alternativen Lebensgemeinschaften die wenigsten. Auf öffentlichen Bildern taucht er kaum auf. Felix Krolle, Mitbegründer von "Go&Change", ist das Gesicht nach außen, der offizielle Leiter der Gemeinschaft.

Selbst als "Go&Change" vor einigen Jahren die Weltanschauungsbeauftragten Bayerns ins ehemalige Kloster in Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt) einlud, um sich vorzustellen, fehlte einer: Kai K.

Anhänger protokollieren im Gericht mit

Seit dem 19. Februar 2024 ist Kai K. nicht mehr im Hintergrund: An dem kalten Morgen betritt er zum ersten Mal den Sitzungssaal 6 im Landgericht Schweinfurt. Alle Blicke sind auf ihn gerichtet. Er wirkt zurückhaltend und seriös, trägt Anzug und Krawatte, wie er es auch in den kommenden Monaten tun wird. Wenn die Wachtmeister ihm die Handschellen abnehmen, bedankt er sich freundlich.

Großer Andrang beim Prozessauftakt im Februar vor dem Landgericht Schweinfurt.
Foto: Josef Lamber | Großer Andrang beim Prozessauftakt im Februar vor dem Landgericht Schweinfurt.

Während K.s Gesicht an den ersten Verhandlungstagen eher ausdruckslos bleibt, wirkt er im Verlauf des Verfahrens gelöster. Er lacht mit seinen Verteidigern oder grinst ins Publikum, wo seine Anhängerinnen und Anhänger zahlreich sitzen und Wort für Wort mitschreiben.

Wenn der 42-Jährige spricht – was selten vorkommt – spricht er ruhig. Etwa dann, wenn es um seine gesundheitlichen Befindlichkeiten geht. Sonst überlässt er das Reden seinen angriffslustigen Verteidigern.

Psychiatrischer Gutachter hält K. nicht für komplett schuldunfähig

Doch K. soll seinen großen Auftritt haben. Es ist mittlerweile Anfang Juli, der 22. Verhandlungstag. Der Angeklagte wolle selbst über seine Kindheit und Jugend erzählen, hatten seine Anwälte groß angekündigt. Wolle berichten, wie er "Go&Change" gegründet hat – und vor allem, was sich aus seiner Sicht wirklich im Mai 2023 zwischen ihm und der 31-Jährigen abgespielt haben soll.

Doch sein Auftritt, der schließlich vier Verhandlungstage in Anspruch nehmen wird, findet nicht vor aller Augen statt: Die Öffentlichkeit wird für die Dauer der sogenannten Einlassung ausgeschlossen. Auch an diesem Freitag, als Kai K. seine Aussage beendet. Zu deren Inhalt dringt nichts an die Öffentlichkeit. Nur so viel: Der psychiatrische Sachverständige Prof. Hans-Peter Volz bleibt auch nach den Äußerungen des Angeklagten bei seiner Einschätzung, hält K. nur für teilweise schuldunfähig. Die Verteidigung hatte das Gutachten schon mehrmals heftig kritisiert.

In den Hauptverhandlungen ergibt sich dennoch nach und nach ein Bild von Kai K.: Hinweise des Gerichts, Zeugenaussagen, das psychiatrische Gutachten des Prof. Volz, das sich mit der Lebensgeschichte des zweifachen Vaters Kai K. vor "Go&Change" befasst, aus dem aber nicht detailliert berichtet werden darf.

"Lichtgestalt", "Heiler", "Lehrer", "Bruder"

Von einer schwierigen Kindheit im Ruhrgebiet ist vor Gericht die Rede, von traumatischen Erfahrungen. Sie sind auch der Grund, warum Kai K. hinter verschlossenen Türen aussagt. Eine Ausbildung, so heißt es schon zu Prozessbeginn, hat er nie abgeschlossen. Einen Beruf hatte er zuletzt auch nicht.

In einer schwierigen Lebensphase habe er sich in verschiedenen Bewusstseinstechniken weitergebildet, berichtet Gutachter Volz. 2016 hat Kai K. mit Felix Krolle "Go&Change" im nordrhein-westfälischen Witten gegründet.

"Der Mann ist die wandelnde Heilung. Wenn wir hier sitzen, heilen wir."
Ein "Go&Change"-Anhänger vor Gericht über Kai K.

Krolle bezeichnet K. vor Gericht als "Chief Transformation Officer", als einen, der auf die "Geschicke der Gemeinschaft" geschaut hat. Ein Guru wolle K. nicht sein, sagen andere Zeugen, er habe im Gegenteil immer mehr Verantwortung abgegeben. Dennoch beschreiben "Go&Change"-Anhängerinnen und -Anhänger K. vor Gericht als "Lichtgestalt", "Heiler", "Lehrer" oder "Bruder". Frauen haben ihn begehrt. Männer haben zu ihm aufgeschaut, wollten sein wie er.

Einer sagt im Zeugenstand: "An meinem zweiten Tag im Kloster hat er mir 500 Millisekunden in die Augen geschaut und sämtliche Anteile meiner Persönlichkeit in Liebe aufgefangen". Er habe K. "ausnahmslos" – das Wort betont er deutlich – konstruktiv, liebevoll und barmherzig erlebt. "Der Mann ist die wandelnde Heilung. Wenn wir hier sitzen, heilen wir", sagt der Zeuge im Gericht.

Lichtkrieger von kosmischer Herkunft

In Dokumenten von Anhängerinnen und Anhängern, die diese Redaktion eingesehen hat, beschreiben sie K. als "Lichtkrieger", der von sich aus leuchten könne. Jemand, der ihnen wie Jesus vorgekommen sei. Er habe sich als Wesen mit Flügeln beschrieben, sei von kosmischer Herkunft. In seiner Gegenwart sollen unerklärliche Phänomene geschehen sein.

Blick auf das ehemalige Kloster 'Maria Schnee' am Ortsrand von Lülsfeld zwischen Volkach und Gerolzhofen . Seit dem Auszug der Nonnen wird das Gebäude von einer Gruppe bewohnt, die sich 'Go & Change - Entwicklungsgemeinschaft für Lebensqualität' nennt.
Foto: Daniel Peter | Blick auf das ehemalige Kloster "Maria Schnee" am Ortsrand von Lülsfeld zwischen Volkach und Gerolzhofen . Seit dem Auszug der Nonnen wird das Gebäude von einer Gruppe bewohnt, die sich "Go & Change - ...

Und dann gibt es die Gegenseite: Nicht nur Frauen, auch Männer, die einst zu "Go&Change" gehörten, beschreiben K. vor Gericht als Spinne im Netz, als einen, der die Fäden zog. Als einen Machtmenschen und Narzissten. Eine Frau sagte, er habe viele Drogen genommen und sich dann vor den Spiegel gestellt "und die Muskeln spielen lassen". Dass K. Drogenprobleme habe, räumen die Anwälte im Verlauf des Prozesses ein. 

Wenn Zeuginnen und Zeugen vor Gericht negatives Verhalten seinerseits schildern und von Dämonen und Satanisten sprechen, dann zieht Kai K. öfter die Augenbrauen hoch. So, als würde er all das zum ersten Mal hören, als wäre all das aus einer anderen Welt, mit der er nie zu tun hatte.

Der Prozess wird am 2. September fortgesetzt.

 
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