
Seit mehr als vier Jahren berichtet diese Redaktion immer wieder über die Vorgänge rund um die alternative Lebensgemeinschaft "Go&Change", die in Lülsfeld im Landkreis Schweinfurt ein ehemaliges Kloster bewohnt. Was bisher geschehen und bekannt ist:
26. Februar 2015: Die Würzburger Erlöserschwestern verlassen das Kloster "Maria Schnee" in Lülsfeld: Zeitweise wird es von Geflüchteten bewohnt.
Februar 2017: Der damalige Bürgermeister von Lülsfeld, Wolfgang Anger, gibt bekannt, dass das frühere Kloster von den Erlöserschwestern verkauft wurde. Zuvor wurde es auf einer Immobilienplattform im Internet für 399.000 Euro angeboten. Käuferin ist die Gemeinschaft "Go&Change".
März 2017: Vertreter der Gemeinschaft "Go&Change", deren Ursprung eine Wohngemeinschaft in Halle an der Saale ist, stellen dem Gemeinderat ihre Pläne vor. Man wolle "ein Teil des Dorfes werden", kündigen sie an.
4. August 2017: "Go&Change" wird als gemeinnützige Unternehmergesellschaft (gUG) beim Amtsgericht Schweinfurt eingetragen. Schon Monate zuvor hat der Verein "Gemeinschaft(s)formen e.V.", der hinter "Go&Change" steht, seinen Sitz nach Lülsfeld verlegt
2017/2018: Die neuen Klosterbewohnerinnen und -bewohner integrieren sich scheinbar ins Dorfleben. Bürgermeister Anger spricht von Helfereinsätzen bei Aktionen von Vereinen, außerdem hätten "Go&Change"-Mitglieder die Musikkapelle verstärkt. Auch beim Faschingszug ist "Go&Change" aktiv.
Februar 2019: Ein Säugling aus dem Umfeld von "Go&Change" stirbt bei einem Spaziergang in der Nacht. Laut Staatsanwaltschaft lag "eine natürliche Todesursache" vor, die Ermittlungen wurden eingestellt. Das Kind soll während eines "Besinnungsspaziergang" gestorben sein, zu dem der Kopf von "Go&Change" die Gruppe nachts nach draußen geschickt haben soll.
März 2019: Weltanschauungsbeauftragte, darunter der Würzburger Jürgen Lohmayer, besuchen auf Einladung "Go&Change". Den Kopf der Gemeinschaft, Kai K., bekommen sie jedoch nicht zu Gesicht. Die Experten sehen die Gemeinschaft nach ihrem Besuch "sehr kritisch" und bezeichnen sie als "konfliktträchtige Psychogruppe mit erheblichen Risiken und Nebenwirkungen".
4. März 2019: Ein einjähriger Junge ertrinkt in einem Löschteich in der Nähe des ehemaligen Klosters. Das Kind war zu Besuch bei "Go&Change" und wurde von Mitgliedern der Gemeinschaft beaufsichtigt. Gegen drei Personen wird wegen fahrlässiger Tötung ermittelt. Gegen sie werden Geldstrafen verhängt.
März 2020: Bei der Kommunalwahl stehen auf der Wahlliste von Thomas Heinrichs, der zum Bürgermeister gewählt wird, zwei "Go&Change"-Mitglieder.
22. Mai 2020: Nach monatelanger Recherche berichtet die Redaktion erstmals über die mutmaßlichen Vorgänge bei "Go&Change". Aussteigerinnen und Aussteiger berichten von "Psychoterror", sexualisierter Gewalt als "Therapie", Drogenmissbrauch und alles kontrollierenden Anführern.
30. September 2020:"Go&Change" eröffnet einen Naturwarenladen mit integriertem Café in der Altstadt von Gerolzhofen (Lkr. Schweinfurt).
3. Februar 2021: Bei einer Razzia durchsucht die Polizei mit einem Großaufgebot das ehemalige Kloster in Lülsfeld. Hintergrund seien "Ermittlungen wegen des Verdachts von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz durch Bewohner", teilt die Staatsanwaltschaft mit. Bei der Durchsuchung wurden unter anderem rund 50 Gramm Marihuana sichergestellt.
22. Juni 2021: Die Ermittlungen gegen "Go&Change" werden nach mehr als einem Jahr eingestellt. Die bei der Razzia gefundenen Drogen konnten keiner konkreten Person zugeordnet werden, heißt es. Als "Persilschein" für "Go&Change" will die Staatsanwaltschaft das Ende der Ermittlungen jedoch nicht verstanden wissen. Zeugenvernehmungen hätten etwa Vorwürfe bestätigt, dass "ein gewisser psychischer Druck aufgebaut worden sei". Aber: "Solche Einwirkungen sind strafrechtlich nicht relevant."
23. Februar 2022: In Schweinfurt wird ein früheres Mitglied der Gemeinschaft zu zwei Jahren Haft auf Bewährung wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes und des Besitzes kinderpornografischer Schriften verurteilt. Die Tat ereignete sich im Oktober 2018 in dem ehemaligen Kloster.
11. August 2022: Ein Spaziergänger findet in Aschaffenburg die Leiche einer jungen Frau. Es ist Sophie, 32, die sich wenige Monate vor ihrem Tod "Go&Change" angeschlossen hat. Sophies Mutter erhebt gegenüber der Redaktion schwere Vorwürfe gegen die Gemeinschaft: Hätte sich Sophie "Go&Change" nicht angeschlossen, würde sie noch leben, ist sie überzeugt.
15. Oktober 2022: Im früheren Kloster stirbt ein 56-Jähriger. Die Todesursache des "Go&Change"-Mitgliedes ist zunächst unklar.
18. Mai 2023: Ein Einsatzkommando der Polizei stürmt das ehemalige Kloster und beschlagnahmt mehrere Gegenstände. Schnell ist auch von einer Festnahme die Rede.
19. Mai 2023: Die Staatsanwaltschaft Schweinfurt und das Polizeipräsidium Unterfranken bestätigen in einer gemeinsamen Erklärung eine Festnahme in Zusammenhang mit Ermittlungen nach einem mutmaßlichen Sexualdelikt. Eine junge Frau sei mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert worden und habe einen Mann beschuldigt, der im ehemaligen Kloster gemeldet sei. Nach Informationen der Redaktion handelt es sich bei dem Festgenommenen um Kai K., den Kopf von "Go&Change".
22. Mai 2023: Die Polizei sucht ein Kind, das bei "Go&Change" gelebt hat. Als das Jugendamt es in Obhut nehmen wollte, waren jedoch keine Kinder im ehemaligen Kloster. Wo sie sind, ist unklar.
15. Juni 2023: Diese Redaktion berichtet über den Todesfall vom Oktober 2022. Kurz zuvor erklärte die Staatsanwaltschaft Schweinfurt, dass im Blut des 56-Jährigen der Ecstasy-Wirkstoff MDMA und Ketamin gefunden wurde. Das Narkosemittel machten die Rechtsmediziner mitverantwortlich für den Tod des Mannes.
28. Juni 2023: Die Polizei durchsucht erneut das Kloster in Lülsfeld, weil das gesuchte Kind weiter verschwunden ist. Auch drei Wohnungen im Raum Gerolzhofen werden durchsucht. Die Beamten stellen Beweise sicher, darunter auch Handys. Der Junge wird nicht gefunden.
20. Juli 2023: Die Staatsanwaltschaft Schweinfurt bestätigt, dass sich "Go&Change" genehmigungsfreie Waffen angeschafft hat. Konkret handelt es sich vor allem um Softairwaffen. Vorher hatten Aussteigerinnen und Aussteiger der Redaktion berichtet, dass sich die Gemeinschaft "bewaffnet" habe. Auf Anfrage erklärte "Go&Change", man habe sich "Selbstverteidigungswaffen" angeschafft, da man Opfer von Vandalismus geworden sei.
7. August 2023: Auf Anfrage der Redaktion äußert sich Lülsfelds Bürgermeister öffentlich zu den Vorgängen in seinem Dorf. Ihm ist der gute Ruf Lülsfelds als funktionierende Gemeinde wichtig, sagt Thomas Heinrichs. Die Einwohnerinnen und Einwohner Lülsfelds müssten mit den Schlagzeilen im Zusammenhang mit "Go&Change" und ihrem Ort leben und sich "immer wieder rechtfertigen und von den Geschehnissen distanzieren". "Go&Change" ist nicht Lülsfeld, betont Heinrichs.
25. Oktober 2023: Die Staatsanwaltschaft Schweinfurt erhebt Anklage gegen "Go&Change"-Guru Kai K. Sie wirft ihm mehrere Fälle von Vergewaltigung sowie gefährliche und vorsätzliche Körperverletzung vor.
14. Dezember 2023: Eine junge Frau, die der Gemeinschaft 170.000 Euro für den Kauf des Klosters geliehen hatte, will ihr Geld zurück. Wiederholt hatte "Go&Change" vereinbarte Raten nicht gezahlt. Rund 73.000 Euro waren noch offen. Vor dem Amtsgericht Schweinfurt einigten sich die Parteien, dass die Gemeinschaft im Januar 2024 einmalig 20.000 Euro zurückzahlen muss, anschließend monatliche Raten über 1600 Euro.
19. Februar 2024: Vor dem Landgericht Schweinfurt muss sich Kai K. wegen mehrfacher Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung verantworten. Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft Schweinfurt wollte er so der betroffenen Frau ihre Dämonen austreiben.
Mitte Mai 2024: Das Jugendamt Schweinfurt erklärt auf Nachfrage der Redaktion, dass es "aufgrund einer Entscheidung des Familiengerichts nicht mehr Vormund des Kindes" ist, das seit Mai 2023 in Lülsfeld gesucht worden war. Die Hintergründe sind unklar, gleichzeitig ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die Mutter des Kindes, weil sie es zwischenzeitlich "der Behördenfürsorge entzogen" habe. Im Prozess gegen Kai K. war deutlich geworden, dass es sich bei dem Kind um den Sohn des 42-Jährigen handelt.
12. November 2024: Nach 33 Verhandlungstagen endet in Schweinfurt der Prozess gegen Kai K. Das Gericht verurteilt Kai K. wegen Vergewaltigung, eines sexuellen Übergriffs und Körperverletzungen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Zudem hat die Kammer die Unterbringung des 42-Jährigen in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
14. November 2024: Die Anwälte von Kai K. legen Revision gegen das Urteil ein.