Trockenheit, Dürre und Wasserknappheit auf der einen Seite, Hochwasser, Starkregen und Überschwemmungen auf der anderen Seite: Der Klimawandel macht sich in Bayern und vor allem im trockenen Unterfranken immer mehr in Form einer "Wasserkrise" bemerkbar.
Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema:
Wird es in Deutschland künftig Wassermangel geben?
Die Klimakrise ist primär eine Wasserkrise. Drei von vier Naturkatastrophen hängen laut UN-Generalsekretär António Guterres mit dem Wasser zusammen. Deutschland hat zwar noch genügend Wasservorräte. Doch diese sind ungleich verteilt. Seit 2003 haben wir in ganz Bayern ein mittleres jährliches Defizit von 16 Prozent bei der Grundwasserneubildung.
Nach den häufigen Trockenjahren – 2015, 2018, 2019, 2020 und 2022 – kann dieses Defizit nicht mehr durch einzelne regenreiche Monate ausgeglichen werden, sagt Jörg Neumann, Leiter des Grundwasser-Monitorings am Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU). Der 52-jährige Diplom-Hydrogeologe hat den Überblick über alle Grundwasser-Messstellen in Bayern.
Erstmals beobachte man im Frühjahr 2023 nach einem milden Winter auch in Südbayern ungewöhnlich niedrige Grundwasserstände. "Wir bräuchten vermutlich mehrere überdurchschnittlich nasse Winterhalbjahre, um die Grundwasser-Vorräte wieder nachhaltig aufzufüllen", sagt Neumann.
Im Klimawandel nehmen die Winterniederschläge zu – Problem gelöst?
Es klingt paradox: Die meisten Klimaforscherinnen und -forscher gehen davon aus, dass die Winterniederschläge im Klimawandel zunehmen. Löst sich somit das Problem der sinkenden Grundwasserstände von alleine? Mitnichten, sagt Professor Markus Disse vom Lehrstuhl für Hydrologie an der Technischen Universität in München. Dadurch, dass sich der Jetstream durch die menschengemachte globale Erwärmung verlangsame, würden sich Hoch- und Tiefdruckgebiete immer häufiger festsetzen.
Die Folge seien immer längere Trockenperioden mit höheren Temperaturen, Dürren und Wassermangel auf der einen Seite, und längere intensive Starkregen auf der anderen Seite. Je extremer Niederschläge ausfallen, desto schneller kommt es zu Überflutungen und Hochwasser. Und umso weniger Wasser kann langsam im Boden versickern und kommt unten im Grundwasser an.
Dass sich die Niederschläge im Klimawandel immer ungleicher verteilen, sei das Hauptproblem der Wasserkrise. "Hochwasser und Trockenheit sind zwei Seiten der gleichen Medaille", sagt Disse.
Was sind die Gründe für Wassermangel in Bayern und Unterfranken?
"Wir haben Flüsse begradigt, Flächen versiegelt, den Boden verdichtet, die Landschaft entwaldet und drainiert: Das sind Veränderungen, die den Wasserhaushalt hausgemacht verändern. Der Klimawandel verstärkt das Ganze noch", sagt Martin Popp vom Bayerischen Umweltministerium. Die Auswirkungen spüre mittlerweile jede und jeder in Bayern.
Von Professor Karl Auerswald von der Technischen Universität in München stammt der Begriff des "landnutzungsgetriebenen Klimawandels", was so viel heißt wie: Viele unserer Wasser-Probleme sind hausgemacht, lassen sich aber vor Ort auch lösen.
Professor Markus Disse nennt Beispiele: In versiegelten Städten fließe zu viel Regenwasser ungenutzt über Kanäle ab. Das dichte Forstwegenetz in Bayerns Wäldern werde bei Starkregen regelrecht zu einer Wasser-Rennautobahn. Äcker mit zu wenig Mulchsaat trocknen schneller aus und erodieren bei Starkregen stärker. "Je homogener die Landschaft, desto geringer die Resilienz gegenüber Dürre, aber auch Starkregen", sagt Disse.
Warum ist Unterfranken so trocken?
"Seit 2003 hatten wir kein echtes nasses Jahr mehr", sagt Axel Bauer, Sachgebietsleiter Wasserwirtschaft bei der Regierung von Unterfranken. Die Grundwasserneubildung liege seit 20 Jahren unter dem Durchschnitt des Referenzzeitraums 1971 bis 2000. Sie summiere sich heute auf ein Defizit von etwa 400 Litern pro Quadratmeter im Mittel über ganz Unterfranken. "Das sind etwa vier Jahre, die uns an Grundwasserneubildung fehlen", erklärt Bauer.
Immer wieder werden an einzelnen Grundwassermessstellen neue Tiefststände gemessen. So bezeichnet man die tiefsten Wasserstände seit Aufzeichungsbeginn. An einer Messstelle in Mömlingen im Landkreis Miltenberg fiel der Grundwasserstand sogar innerhalb von 20 Jahren um 20 Meter.
Im Extremjahr 2019 bewegten sich laut dem Wasserwirtschaftsexperten der Regierung von Unterfranken 90 Prozent aller oberflächennahen Grundwasserleiter auf niedrigem oder sehr niedrigem Niveau. Da Trinkwasser in der Region fast nur aus Grundwasser gewonnen wird, drängt sich die Frage auf: Wie lange reicht das Trinkwasser in Unterfranken noch?
Kann in Unterfranken das Wasser ausgehen?
Etwa 83 Millionen Kubikmeter Trinkwasser werden pro Jahr in Unterfranken verbraucht. Dem gegenüber steht ein "Wasserdargebot" von etwa 120 Millionen Kubikmeter, sagt Axel Bauer, Sachgebietsleiter Wasserwirtschaft bei der Regierung von Unterfranken. Das ist die Wassermenge, die theoretisch in allen Trinkwasserschutzgebieten Unterfrankens gewonnen werden könnte. Bis zum Jahr 2035 werde sich die Wasserreserve von 31 auf 27 Prozent verringern, haben Experten errechnet.
An heißen Sommertagen noch viel mehr, weil dann mehr Menschen mehr Wasser verbrauchen. Der Tagesspitzenbedarf ist es auch, der vielen Expertinnen und Experten Sorge bereitet. An heißen Tagen schrumpfe die Wasserreserve in Unterfranken bis 2035 von aktuell 22 auf sieben Prozent, sagt Bauer. Am bayerischen Untermain sogar auf ein Minus von zwei Prozent. Und an einzelnen Orten in Unterfranken, deren Wasserversorger nur eine Quelle oder einen Brunnen haben, könnte das Trinkwasser dann zeitweise tatsächlich nicht mehr reichen.
Was ist der Unterschied zwischen Trockenheit und Dürre?
Dauert die Trockenheit länger an, geht sie mit einer Hitzeperiode einher und verstärkt sich der Wassermangel immer dramatischer, spricht man von Dürre. Die Pflanzen vertrocknen und der Boden kann erodieren. Der Klimawandel-Dienst Copernicus hat errechnet: Der Sommer 2022 war der wärmste je gemessene Sommer in Europa.
Ganz Nordbayern war so trocken wie seit 62 Jahren nicht. Fast drei Monate lang fiel kaum ein Tropfen Regen. "Der August 2022 gehört in vielen Teilen Unterfrankens zu einem der niederschlagsärmsten seit Vorliegen flächendeckender Aufzeichnungen im Jahr 1881", bestätigt Lothar Bock vom Regionalen Klimabüro des Deutschen Wetterdienstes (DWD) in München.
Die Dürre in Nordbayern hatte im Sommer 2022 verheerende Folgen: Vielerorts in Unterfranken herrschte höchste Waldbrandgefahr. In Stockstadt am Main im Landkreis Aschaffenburg gab es Ende Juni den verheerendsten Waldbrand seit über zehn Jahren in Unterfranken. 25.000 Quadratmeter Wald standen in Flammen.
Im August waren in Unterfranken drei Dutzend Bachabschnitte ausgetrocknet. Im Main floss zu einem Viertel Wasser aus dem Brombachsee und dem Rothsee in Mittelfranken. Erste Engpässe bei der öffentlichen Trinkwasserversorgung gab es in Bad Königshofen im Landkreis Rhön-Grabfeld. Die Regierung von Unterfranken rief alle Bürgerinnen und Bürger zum Wassersparen und zum Verzicht auf Rasensprengen auf. 40 Prozent aller Grundwassermessstellen in Unterfranken hatten nur noch sehr niedrige Wasserstände.
Landwirtinnen und Landwirte hatten in diesem Jahr extreme Ernteeinbußen. Im September meißelten Bauern in Lülsfeld im Landkreis Schweinfurt ihre Zuckerrüben mit einem Akkubohrer aus dem knochentrockenen Boden.
Ist es erlaubt, Grundwasser abzupumpen oder Wasser aus einem Bach zu entnehmen?
Grundwasser aus dem eigenen Gartenbrunnen zu entnehmen oder Wasser per Hand mit der Gießkanne aus einem Gewässer schöpfen, ist erlaubnisfrei. Sobald technische Geräte verwendet werden, wenn etwa eine Pumpe in den Main gehängt oder ein Brunnen gebohrt wird, braucht man dafür eine wasserrechtliche Erlaubnis des zuständigen Landratsamtes oder der Stadt.
Für Weizen, der auf der meisten landwirtschaftlichen Fläche in Unterfranken angebaut wird, gibt es in Unterfranken keine Genehmigung für Wasserentnahmen, sagt Michael Hofmann, der Leiter des Bereichs Wasserrecht im Umweltamt des Landratsamtes Schweinfurt. Dafür habe man in der trockenen Region nicht genügend Wasser. Auch für Energiemais gibt es in Unterfranken kein Wasser.
Wie viele genehmigte Entnahmen gibt es in Unterfranken?
Insgesamt gibt es in Unterfranken mehr als 2000 Erlaubnisse oder Bewilligungen, Wasser aus Flüssen, Bächen, Seen, Quellen und dem Grundwasser zu entnehmen. Ohne die Trinkwasserversorger sind es noch knapp 1900. Das ist das Ergebnis einer gemeinsamen Recherche von Main-Post und Bayerischem Rundfunk.
Erschreckend: Bei fast 70 Prozent aller Mainwasser-Rechte und 52 Prozent aller Grundwasser-Rechte wissen die Ämter in Unterfranken den Angaben zufolge nicht, wie viel Wasser im Jahr 2021 tatsächlich entnommen worden ist. Ob sich in diesen Fällen Landwirte, Winzer, Industriebetriebe, Kommunen, Vereine und Fischwirte an ihre erlaubten Wassermengen gehalten haben, weiß offenbar niemand. Für die Jahre 2018, 2019 und 2020 sind die Datenlücken noch größer.
Bezieht man in die Datenanalyse auch alle Quellen, Bäche und Seen in Unterfranken mit ein, fällt die Bilanz von 2018 bis 2021 noch düsterer aus: Bei fast 60 Prozent aller Entnahme-Genehmigungen wissen die Landratsämter in keinem einzigen der vier Jahre, wie viel Wasser tatsächlich aus der Natur gepumpt wurde.
Was bedeutet Wasserspar-Anordnung?
Bad Königshofen im Landkreis Rhön-Grabfeld war im Jahr 2022 die erste Stadt in Unterfranken, in der die Trinkwasserversorgung akut gefährdet war. Weil es hier so wenig regnet, dass sich die Grundwasservorräte auch über den Winter nicht mehr füllen. Die Stadt war 2019, 2020 (nach Schwarzach am Main im Lkr. Kitzingen) und 2021 laut Deutschem Wetterdienst die trockenste Stadt in Bayern.
Wer in Bad Königshofen und den umliegenden Gemeinden den Hahn aufdreht, muss sich auch jetzt, im Frühjahr 2023 noch überlegen, wofür. "Momentan ist Leitungswasser nur zum Trinken, Kochen, Duschen da. Dann kommt erstmal lange nichts", sagt Bürgermeister Thomas Helbling (CSU). Das Auto waschen, den Rasen gießen, die Sport- und Spielplätze bewässern, die Terrasse abstrahlen oder die Garten-Zisterne füllen - das alles ist immer noch per Anordnung untersagt.
Was bedeutet Wasserentnahmeverbot?
Im August 2022, als sich die anhaltende Dürre in Nordbayern immer weiter zuspitzte, wurden auch in Unterfranken vielerorts Wasserentnahmen von den Landratsämtern oder kreisfreien Städten verboten. Die Stadt Würzburg beispielsweise erließ am 12. August eine Allgemeinverfügung, die an allen Nebengewässern des Mains sowohl "den Gemeingebrauch als auch den Eigentümer- und Anliegergebrauch" für die Entnahme von Wasser aus Oberflächengewässern (also Bäche und Seen) im Stadtgebiet Würzburg untersagte.
Damit war jede Wasserentnahme aus oberirdischen Gewässern, außer die ausdrücklich mit Bescheid unter Auflagen erlaubten, verboten. Ausgennommen blieben Löschwasserentnahmen durch die Feuerwehr im Brandfall.
In welcher Klimazukunft werden wir leben?
Extreme Dürre 2018, Hitzerekorde 2019 und Starkregenfälle 2021: Das Klima verändert sich und beeinflusst unsere Lebensqualität. Was kommt auf Unterfranken zu, wenn die Erwärmung ungebremst weitergeht und was ließe sich noch verhindern? Um diese Fragen zu beantworten, hat ein Team aus Klimaforschern um Professor Heiko Paeth von der Universität Würzburg in zwei Treibhausgas-Szenarien und mehreren Klimamodellen errechnet, wie sich Lufttemperatur und Niederschlag bis zum Ende des 21. Jahrhunderts in Unterfranken entwickeln: einmal mit Klimaschutzmaßnahmen und das andere Mal, wenn wir so weitermachen wie bisher.
"Fatalismus macht keinen Sinn", sagt der Würzburger Klimaforscher Heiko Paeth. "Jedes Zehntelgrad, um das sich die Erde nicht erwärmt, ist gut. Denn es mache einen Unterschied, ob sich Unterfranken bis zum Ende des Jahrhunderts (2070 bis 2099) in der Jahresmitteltemperatur gegenüber dem Referenzzeitraum (1970 bis 1999) um 2,2 oder um 3,8 Grad erwärmt."
Der Unterschied von 1,6 Grad hätte extreme Folgen für die Region, so Paeth: Hitzetage, an denen das Thermometer über die 30-Grad-Marke klettert, würden sich pro Jahr - je nach Klimamodell - versiebenfachen. Sommertage mit Temperaturen über 25 Grad Celsius würden bis zu 140 Prozent häufiger auftreten und Tropennächte, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad Celsius fällt, würden sich in der gesamten Region Unterfranken etablieren.
Das nenne ich Journalismus!