
Die anhaltende Hitze und Trockenheit in Unterfranken strapazieren den Main. Seit Ende Juni gilt zwischen Würzburg und Kahl am Main (Lkr. Aschaffenburg) immer wieder die behördeninterne "Vorwarnung". Am Montag sprach die Regierung von Unterfranken dann die "Warnung" aus. Ab sofort ist alles zu unterlassen, was die Ökologie des Flusses zusätzlich belasten könnte.
Noch ist die Situation nicht ganz so kritisch wie im Hitzejahr 2018, als zum ersten Mal in zehn Jahren "Alarm", also Warnstufe rot, ausgerufen wurde. Doch das könnte sich schnell ändern, wenn Trockenheit und Hitze anhalten. Täglich werden jetzt Pegelstand, Wassertemperatur und Sauerstoffgehalt an den automatischen Messstationen in Erlabrunn (Lkr. Würzburg), Kahl am Main (Lkr. Aschaffenburg) und Trunstadt (Lkr. Bamberg) überprüft. Die Expertinnen und Experten der Wasserwirtschaftsämter Aschaffenburg und Bad Kissingen und der Regierung von Unterfranken sind wachsam.
Wie das schlimmste Szenario aussehen könnte
Denn eine Übernutzung des Mains könnte verheerende ökologische Folgen haben. Und der schlimmste Fall würde dann in etwa so aussehen: Am Ufer des Main stinkt es bestialisch. Im Wasser treiben Tonnen toter Fische mit dem Bauch nach oben. Bagger füllen Tausende Tierkadaver in riesige Container. Die Schifffahrt ist eingestellt. Ebenso die Fischerei. Die großen Unternehmen dürfen kein Kühlwasser mehr aus dem Main entnehmen. Fabriken stehen still. An Naherholung, Schwimmen und Sport im und am Wasser ist nicht zu denken. Die Müllabfuhr der Landkreise ist rund um die Uhr im Einsatz.
Dies ist ein Szenario, das die Experten und Expertinnen der Wasserwirtschaft in Unterfranken unbedingt verhindern wollen. Ein Szenario, das eintreten könnte, wenn die Wassertemperatur des größten Flusses in Unterfranken im Zuge des Klimawandels im Sommer immer weiter steigt - bis die Kleinlebewesen und Fische infolge des Sauerstoffmangels im Wasser ersticken.
Den "Alarmplan Main" gibt es seit zehn Jahren
Um das zu verhindern wurde vor zehn Jahren der "Alarmplan Main Gewässerökologie", kurz AMÖ, ins Leben gerufen - 2012 ein bundesweit einzigartiges Projekt. Kann der Alarmplan auch 2022 das große Fischsterben im Main verhindern? Das sagt Eva-Barbara Meidl, Biologin des Sachgebiets Wasserwirtschaft an der Regierung von Unterfranken, dazu:

Eva-Barbara Meidl: Die Wassertemperatur hat am Sonntag und Montag den kritischen Wert von 27 Grad länger als drei Stunden überschritten. Der Sauerstoffgehalt an der Messstation in Kahl ist am Montag kurzfristig unter fünf Milligramm pro Liter Wasser gesunken. Der Abfluss des Mains an der Messstation in Trunstadt ist sehr niedrig, Tendenz fallend. Elf Kubikmeter Wasser pro Sekunde werden derzeit aus dem Brombachsee zu uns herübergepumpt. Der Main besteht im Moment zu etwa einem Viertel aus bevorratetem Wasser aus Mittelfranken, das eigentlich in die Donau geflossen wäre. Die Situation ist kritisch. Deshalb hat die Regierung von Unterfranken die "Warnung" ausgerufen.
Meidl: Der Alarmplan Main (AMÖ) ist ein dreistufiges Warnsystem. Er soll ökologisch sehr kritische Situationen verhindern, ein großes Fischsterben vermeiden oder zumindest so lange wie möglich hinauszögern. Je nachdem, wie gefährlich die Situation für die Unterwassertierwelt ist, werden die Warnstufen "Vorwarnung", "Warnung" oder "Alarm" ausgerufen. Ziel ist, die Behörden, die Nutzer - Kläranlagenbetreiber, Industriebetriebe, Landwirte, Winzer - und die Öffentlichkeit rechtzeitig zu warnen. Wir können zwar keine Eiswürfel ins Wasser werfen, aber wir können versuchen, alles vom Main abzuhalten, was ihn zusätzlich belastet. Zum Beispiel dürfen Kläranlagen ab sofort nicht mehr für Sanierungen teilweise außer Betrieb genommen werden. Baggerarbeiten sind zu unterlassen.
Meidl: Der Alarmplan ist kein Rettungs- oder Katastrophenplan. Er soll Fischsterben verhindern. Käme es trotzdem dazu, müsste der betroffene Landkreis oder die betroffene Stadt die toten Fische einsammeln und entsorgen. Das ist wohl ohne die hiesigen Fischer, ohne die Fischereifachberatung des Bezirks, ohne Feuerwehren und THW kaum möglich. Es wäre eine enorme Aufgabe, da wir nicht wissen, wie viele Fische in einer Staustufe sind. Es ist eine Blackbox. Es könnten etwa zwischen fünf und 20 Tonnen Fisch sein.
Meidl: In einem der Hitzejahre 2015, 2018 oder 2019 hätte es zu einem Fischsterben kommen können. Denn anders als andere große Flüsse in Deutschland, die viel Wasser führen und schneller fließen, wird das Mainwasser allein in Bayern durch 28 Staustufen gebremst. In Hessen kommen weitere sechs hinzu. Der Main ist vergleichbar mit einer Seen-Kette, von Staustufe zu Staustufe, mit teils stehendem Wasser, das viel Zeit hat, sich aufzuheizen.

Meidl: Je wärmer das Wasser ist, desto weniger Sauerstoff ist darin gelöst und für die Tiere verfügbar. In dem relativ ruhigen Wasser zwischen den Staustufen können sich zudem Algen wunderbar vermehren. Die Algen produzieren Sauerstoff und können den Sauerstoffmangel im Wasser einige Zeit ausgleichen. Doch sobald die Algen die Nährstoffe im Flusswasser vollständig aufgebraucht haben, sterben alle fast gleichzeitig ab. Bakterien, die die Algen zersetzen, vermehren sich massenhaft. Und brauchen auf einen Schlag wiederum den ganzen Sauerstoff auf. Im schlimmsten Fall ersticken die meisten Fische in einem Staustufenabschnitt in sehr kurzer Zeit. Fängt das Fischsterben einmal an, ist es kaum noch aufzuhalten.
Meidl: Ab 25 Grad Wassertemperatur klinkt sich der Main aus seinem "guten Zustand" aus. Wenn die Wassertemperatur im Drei-Stunden-Mittel in den nächsten Tagen über 28 Grad steigen sollte, rufen wir Alarm aus. Bei weniger als vier Milligramm Sauerstoff pro Liter Wasser ebenfalls. Und auch, wenn der Abfluss in Trunstadt im Drei-Tages-Mittel unter 15 Kubikmeter Wasser pro Sekunde fallen sollte.

Meidl: Kommunale Kläranlagen, die ihr Abwasser in den Main einleiten, müssten garantieren, dass ihr Betrieb top funktioniert. Sie müssten ihre Werte täglich überprüfen. Mainwasser-Entnahmen zur Bewässerung von Landwirtschaft und Weinbau werden bei Alarm ausgesetzt. Die Industriebetriebe, die Mainwasser als Kühlwasser entnehmen und anschließend wieder einleiten, müssten ihre jeweiligen Auflagen streng einhalten.
Meidl: Der Alarmplan gründet auf einer Verwaltungsvorschrift. Er ist nur für die Verwaltungsstellen rechtlich bindend. Wären Zwangsmaßnahmen notwendig, greifen andere Rechtsinstrumente, wie im Einzelfall Anordnungen. Doch die Erfahrung zeigt, dass wir mit dem Alarmplan wertvolle Überzeugungsarbeit leisten. 2018 haben Firmen freiwillige Maßnahmen ergriffen.
Meidl: Viele haben mitgemacht: Schwimmer im Main haben darauf verzichtet, sich einzucremen. Denn ein Fettfilm auf dem Wasser erschwert den Sauerstoffaustausch zwischen Luft und Wasser. Alle Baggerarbeiten im Main wurden eingestellt. "Gerettet" haben uns vor allem drei Akteure aus der Industrie. Das Unternehmen Uniper schaltete im Staubereich Kleinostheim (Lkr. Aschaffenburg) die Turbinenbelüftung ein. So wurde Sauerstoff aus der Luft ins Wasser verstrudelt und auf etwa einem Kilometer Main ein kleiner Überlebensraum für Fische und Kleinlebewesen geschaffen. Das Heizkraftwerk Würzburg und das Industrie Center Obernburg (Lkr. Miltenberg) haben ihre Stromerzeugung reduziert und damit weniger entnommenes, erwärmtes Kühlwasser in den Main zurückgeleitet. Das könnte das Zünglein an der Waage gewesen sein.
Meidl: Allen Unternehmen, die Mainwasser entnehmen, muss klar sein: Sie haben zwar die Genehmigung, Wasser zu entnehmen, wenn dies möglich ist. Aber sie haben kein Recht auf Wasser. Es kann passieren, dass in extremen Situationen einzelne Teile eines Betriebs still gelegt werden müssen. Das ist im Jahr 2018 in manchen Betrieben am Rhein so passiert. Klar ist aber auch: Die Maßnahmen müssen verhältnismäßig und machbar sein. Wir treiben keinen Betrieb in die Pleite, um die Fische zu retten.
Meidl: Ja! Im Jahr 2018 gab es mehrere Fischsterben am Rhein. Die Mosel ist hinsichtlich des Blaualgenvorkommens problematisch und erst in diesem Jahr kam es zu Fischsterben in der Elbe. In Bayern hat die Regierung der Oberpfalz inzwischen auch an der Donau einen Plan nach dem Vorbild des AMÖ entwickelt. Seit 2020 gibt es eine gemeinsame Verwaltungsvorschrift für den AMÖ in Unterfranken und den "Alarmplan bayerische Donau Gewässerökologie", kurz ADÖ.