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Würzburg
Angeklagter wegen Notwehr freigesprochen: Die Hintergründe nach dem Prozess zu den tödlichen Messerstichen in Würzburg
Im September 2023 starb ein Mann durch Messerstiche vor einem Würzburger Club. Der Verantwortliche wurde wegen Notwehr freigesprochen. Die Übersicht zum Prozess.
Seine tödlichen Messerstiche waren nach Auffassung des Würzburger Landgerichts Notwehr: Der Angeklagte kurz vor der Urteilsverkündung mit seinen Verteidigern.
Foto: Thomas Obermeier | Seine tödlichen Messerstiche waren nach Auffassung des Würzburger Landgerichts Notwehr: Der Angeklagte kurz vor der Urteilsverkündung mit seinen Verteidigern.
Aaron Niemeyer
 |  aktualisiert: 02.08.2024 02:43 Uhr

Am Landgericht Würzburg endete am Donnerstag, 25. Juli, der Prozess gegen einen 23-Jährigen, der im September 2023 in der Würzburger Innenstadt einen 28-jährigen Clubbesucher mit Messerstichen getötet und zwei weitere Personen verletzt hat, mit einem Freispruch wegen Notwehr.

Die wichtigsten Hintergründe zu dem Fall und wie der Prozess am Landgericht verlaufen ist.

29. Juli 2024: Die Staatsanwaltschaft will den Freispruch wie angekündigt nicht akzeptieren und legt Revision ein. "Wir halten eine Verurteilung für sachgerecht und erforderlich", teilt ein Sprecher mit.

29. Juli 2024: Der Freispruch nach den tödlichen Stichen in Würzburg schmerzt, ist aber ein Sieg des Rechtsstaats, meint unser Autor zum Urteil des Würzburger Landgerichts.

25. Juli 2024: Der Angeklagte kommt frei. Nach Auffassung der Kammer hatte die Beweisaufnahme "erhebliche Hinweise auf eine Notwehrsituation" ergeben. Widersprüchliche und teils unglaubwürdige Zeugenaussagen seien "das Problem dieses Verfahrens" gewesen. Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach kündigt Revision an.

24. Juli 2024: Staatsanwaltschaft, Verteidiger und Nebenklage plädieren. Für den Vorwurf des Totschlags seien nicht die nötigen Beweise erbracht worden, sagen die Verteidiger und fordern einen Freispruch. Die Staatsanwaltschaft sieht ihre Anklage bestätigt und fordert zwölf Jahre Haft.

18. Juli 2024: Kurz vor dem Urteil gibt das Oberlandesgericht in Bamberg einer Beschwerde der Würzburger Staatsanwaltschaft gegen die Entlassung des Angeklagten statt: Das Landgericht habe "keine ausreichenden Tatsachen" für die Freilassung des Angeklagten festgestellt.

17. Juli 2o24: Gutachterinnen sagen über die bei der Festnahme festgestellten, teils schweren Verletzungen des Angeklagten aus. Danach wird die Beweisaufnahme abgeschlossen. Kurz vor den Plädoyers erklärt der Vorsitzende Richter, warum das Landgericht den Angeklagten freigelassen hat.

05. Juli 2024: Bis Oktober war der Prozess angesetzt, nun soll er laut Landgericht "bis zu den Sommerferien" abgeschlossen sein. Der Grund: Die relevanten Beweisanträge sind laut Gericht bereits abgeschlossen. Bei einer Zeugenaussage wird es erstmals laut im Verfahren. 

04. Juli 2024: Die Freilassung des Angeklagten lässt das Landgericht im Prozess weitgehend unerklärt. Recherchen der Redaktion ergeben jedoch: Nach aktueller Einschätzung der Kammer befand sich der Angeklagte zwar "objektiv" nicht in einer Notwehr-Lage. Er könnte aufgrund der Angriffe gegen ihn jedoch irrtümlich geglaubt haben, das Messer zur Notwehr einsetzen zu dürfen.

03. Juli 2024: Endlich sagt der Türsteher des Studios aus. "Ich habe den Angeklagten zwei, drei Mal mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen", sagte er im Zeugenstand. Andere Zeugen wollen hingegen Faustschläge gegen den Angeklagten gesehen haben.

02. Juli 2024: Die Staatsanwaltschaft ist mit der Entlassung des Angeklagten nicht einverstanden und legt beim Landgericht Würzburg Beschwerde ein. Gegebenenfalls soll die bislang offene Beschwerde laut Staatsanwaltschaft auch dem Oberlandesgericht Bamberg vorgelegt werden.

24. Juni 2024: Die Zweifel des Landgerichts wurden zu groß, der Angeklagte kommt frei. In einer Mitteilung heißt es: "Das Gericht sieht aktuell zwar weiterhin einen Tatverdacht, jedoch keinen dringenden Tatverdacht mehr, welcher Voraussetzung für die Anordnung von Untersuchungshaft ist. Der Angeklagte ist demnach aus der Haft zu entlassen." Nächster Verhandlungstermin ist Mittwoch, 3. Juli, ab 8 Uhr.

21. Juni 2024: Verhandlungstag 6: Die Hauptbelastungszeugin weicht in ihrer erneuten Aussage in Teilen von ihrer bisherigen Darstellung ab. Über die Stiche des Angeklagten sagt sie jedoch weiterhin: "Das war garantiert nicht in Selbstverteidigung." Ein weiterer Zeuge gibt vor Gericht an, einige Stunden vor dem eigentlichen Vorfall von dem Angeklagten mit dem Messer bedroht und geschlagen worden zu sein.

18. Juni 2024, Verhandlungstag 5: Der laut Gericht "wichtigste Zeuge" sagt aus. Er hat in der Tatnacht im "Studio" gearbeitet und den Konflikt teils mitbekommen. Nach eigener Aussage gehört der Zeuge zu keinem der Freundeskreise rund um das Studio. Er will eine Konfliktsituation vor den Stichen und "definitiv" gegenseitige Schläge der Beteiligten mitbekommen haben. Auch beschreibt er die Rolle der Hauptbelastungszeugin im Konflikt vor den Stichen anders, als sie selbst das tut. Nach seiner Aussage kündigt das Gericht an, die Zeugin erneut vorzuladen.

13. Juni 2024, Verhandlungstag 4: Eine vom Vater des Getöteten angefertigte Tonbandaufnahme beschäftigt das Landgericht. Der Vater hatte nach dem Vorfall mit Augenzeugen gesprochen, um den mutmaßlichen Täter zu überführen - darunter die spätere Hauptbelastungszeugin. "Wir brauchen Aussagen, die zusammenpassen", sagt der Vater in der Aufnahme. Die Schilderung der Hauptbelastungszeugin deckt sich teils nicht mit anderen Augenzeugenberichten.

5. Juni 2024, Verhandlungstag 3: Um herauszufinden, was wirklich passiert ist, muss das Gericht die Persönlichkeit der Beteiligten aufarbeiten. Am dritten Prozesstag geht es um den Charakter des Getöteten. Sein Vater und seine früheren Freundin sagen im Zeugenstand aus, dass der 28-Jährige Konflikte in der Vergangenheit aktiv "gesucht" und sich teils daran beteiligt habe.

4. Juni 2024, Verhandlungstag 2: Von der Tat gibt es unterschiedliche Versionen. Das Umfeld des Clubs "Studio" spricht von "unvermittelten" Stichen. Andere Zeugen beteuern, der Angeklagte sei selbst massiv angegriffen worden. Großen Raum bekommt die Aussage einer Hauptbelastungszeugin: Sie weicht in Teilen von ihrer Aussage bei der Polizei im September 2023 ab, beteuert jedoch: Sie habe nur beobachtet, wie der Angeklagte grundlos auf den getöteten 28-Jährigen zugestochen habe.

3. Juni 2024, Prozessbeginn: Seine Tat räumt der Angeklagte zum Prozessauftakt grundsätzlich ein. Er habe bei der Vorfall am 17. September 2023 mehrfach mit dem Messer zugestochen und dabei eine Person getötet sowie zwei weitere verletzt. Grund für seine Stiche sei "panische Angst" gewesen: Mehrere Personen hätten nach einem Konflikt vor dem Club "Studio" auf ihn eingeschlagen.

31. Mai 2024: Details der Anklageschrift werden erstmals öffentlich. Der heute 23-jährige Angeklagte sei kein Mörder, hält die Staatsanwaltschaft darin fest. Die Verteidiger sprechen vor dem Prozess von "massiver öffentlicher Vorverurteilung". Sie kritisieren, dass Zeugenaussagen, die eine Notwehrlage ihres Mandanten schildern, in der Anklage ausgeblendet würden. 

18. Oktober 2023: Kurz nach dem Vorfall kündigt die Stadt Würzburg Maßnahmen an: "Wir wollen die Qualität der Türsteher überprüfen", heißt es aus dem Rathaus. Im Prozess wird es Monate später heißen: Ein Türsteher des "Studio" soll den 22-Jährigen vor dem tödlichen Vorfall mehrfach geschlagen haben, weil dieser vor dem Club einen Konflikt mit seiner Freundin gehabt habe. 

26. September 2023: Der getötete 28-Jährige war unter dem Spitznamen "Ling Ling" in der Würzburger Clubszene gut bekannt. Sein Tod ruft große Anteilnahme hervor: Mehr als 400 Menschen nehmen an einer Trauerfeier vor dem Stift Haug teil. Auch zur öffentlichen Bestattung kommen hunderte Menschen und teilen Erinnerungen. 

22. September 2023: Der Vater des getöteten 28-Jährigen meldet sich zu Wort – zunächst auf Facebook, dann im Gespräch mit dieser Redaktion. Er sagt: "Ich möchte, dass der Täter seine gerechte Strafe bekommt." Er spricht auch die öffentliche Erinnerung an seinen Sohn an: "Über meinen Sohn darf gern geschrieben werden."

18. September 2023: Kurz nach der Tat nehmen die Ermittler den Beschuldigten fest. Er war nach der Messerattacke nahegelegenen Rotkreuzklinik in der Kapuzinerstraße geflüchtet. Das Messer findet die Polizei, die die Innenstadt mit Hunden durchsucht, in einem nahegelegenen Mülleimer. Der Beschuldigte wird dem Ermittlungsrichter vorgeführt, wo er sich zunächst nicht zur Tat äußert.

17. September 2023, Tatnacht: Nach Angaben der Polizei verletzt ein 22-jähriger Mann in den frühen Morgenstunden in der Nähe des Clubs "Studio" vor dem Stift Haug in der Würzburger Innenstadt mit einem Messer tödlich. Der mutmaßliche Täter war den Ermittlungen zufolge vom Club abgewiesen worden und soll sich danach in der Nähe aggressiv gegenüber Gästen verhalten haben.

 
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Kommentare
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  • Barbara Fersch
    .....erstaunlich auch, was Zeugen alles gesehen haben wollen
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  • Johannes Metzger
    Erstaunlich, was so ein Prozeß so alles ans Tageslicht bringt. Das Verfahren ist vollkommen offen.
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  • Martin Deeg
    Leider steht diesem User die Kommentarfunktion auf mainpost.de nicht zur Verfügung. Deshalb werden wir diesen Kommentar nicht veröffentlichen.
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