Nach den jüngsten Zeugenaussagen und der Aufhebung des Haftbefehls gegen 23-jährigen Angeklagten zeichnet sich ab: Der Prozess um die tödlichen Messerstiche vor Stift Haug im September 2023 wird deutlich kürzer als geplant. "Bis zu den Sommerferien" will das Gericht ein Urteil fällen, kündigte der Vorsitzende Richter Thomas Schuster am neunten Prozesstag an.
Zuvor hatte an diesem Freitag ein weiterer Zeuge von einer größeren Schlägerei vor den Messerstichen berichtet. Die Verteidigung argumentiert, der Angeklagte habe sich im Moment der Stiche am Würzburger Club "Studio" in einer Art Notwehr-Situation befunden. Die Anklage wirft dem 23-Jährigen Totschlag vor. Ein 28-Jähriger starb bei dem Vorfall, zwei Männer wurden schwer verletzt.
Club-Besucher über den Angeklagten: "Er stand seelenruhig da"
Der Zeuge, in der Tatnacht selbst Gast im Club, gibt an, er habe gesehen, wie ein Türsteher in der Nähe des Eingangs den Angeklagten mehrfach ins Gesicht geschlagen habe. Der 23-Jährige habe darauf jedoch nicht aggressiv reagiert: "Er stand seelenruhig da."
Dem weiteren Geschehen habe er erstmal keine Aufmerksamkeit geschenkt, bis er zwei Männer - "Eins gegen Eins" - am Kreisverkehr gesehen habe. "Es sind von beiden Seiten Faustschläge auf Kopfhöhe geflogen", sagte der Studio-Besucher im Zeugenstand. Daraufhin hätten sich "zwischen drei und fünf" Männer mit Schlägen und Tritten an der Schlägerei beteiligt. "Es sah so aus, als wäre eine Person im Nachteil", antwortete der Zeuge auf die Frage des Gerichts, ob es ein zahlenmäßig ausgeglichener Kampf gewesen sei.
Einer der Begleiter des Zeugen sagte am Freitag, er erinnere sich, dass der Angeklagte nach den Schlägen des Türstehers ruhig weggegangen sei. Mehrere Männer seien hinterhergerannt. Was danach passierte, habe er nicht gesehen.
Wilde Minuten im Gerichtssaal: Zeuge beschimpft Angeklagten
Eine Aussage sorgte indes für eine minutenlange, lautstarke Diskussion im Gerichtssaal. Ein Zeuge schilderte die Momente vor den Messerstichen teilweise im Widerspruch zu seinen eigenen Aussagen oder zu den bisherigen Erkenntnissen des Verfahrens. Beispielsweise sei er sich sicher, dass einer der beiden Verletzten im Moment der Messerstiche gar nicht in der Nähe war. Zwischenzeitlich beleidigte der Zeuge den Angeklagten so wüst und anhaltend, dass Gericht und Anwälte Schwierigkeiten hatten, ihn zu beruhigen.
Abgesehen von dieser, decken sich die Aussagen vom Freitag in weiten Teilen mit den Schilderungen eines Türstehers am Vortag. Der sprach davon, dass der Angeklagte nach den ersten Schlägen flüchten wollte. Mehrere Männer, darunter der 28-Jährige, seien ihm jedoch hinterher und hätten auf ihn eingeschlagen und getreten.
Von was das Landgericht inzwischen ausgeht und wie der Zeitplan jetzt ist
Wie ein Sprecher des Landgerichts auf Nachfrage bestätigt, geht das Gericht inzwischen davon aus, dass sich der 23-Jährige – irriger Weise – in einer Notwehr-Situation geglaubt haben könnte, auch wenn es "objektiv" keine gewesen sei. Es bestehe kein "dringender" Tatverdacht mehr. Deshalb habe das Gericht den Haftbefehl gegen den Angeklagten, der nicht vorbestraft ist, in der Vorwoche aufgehoben.
Die Anfang Juni begonnene Verhandlung könnte jetzt deutlich früher zu Ende gehen als ursprünglich angesetzt. Wegen der vielen Zeugen und teils schwierigen Befragung – die Frage der Beeinflussung von Zeugen spielte eine große Rolle – waren Prozesstermine bis in den Oktober geplant.
Der Prozess am Landgericht Würzburg wird am Montag, 15. Juli, fortgesetzt. Sollten keine weiteren Beweisanträge gestellt werden, will das Gericht am 16. Juli mit den Gutachten der Sachverständigen abschließen.
Ich habe Mitleid mit dem Gericht.
https://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/angeklagter-kommt-frei-wuerzburger-gericht-hebt-haftbefehl-im-messerstich-prozess-auf-art-11549719