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Würzburg
Wer war "Ling Ling" wirklich? Was der Prozess um die Stiche vor einem Würzburger Club über den Getöteten offenbart
Am dritten Verhandlungstag vor dem Landgericht Würzburg sagten der Vater und die frühere Freundin des Opfers aus. Wie sie den Charakter des 28-Jährigen beschreiben.
Erinnerungskerzen für Ling Ling am Haugerkirchplatz: Im Prozess um den Messerangriff vor einem Würzburger Club sagten am Landgericht Würzburg der Vater und die frühere Freundin des Getöteten aus. 
Foto: Daniel Peter (Archivbild) | Erinnerungskerzen für Ling Ling am Haugerkirchplatz: Im Prozess um den Messerangriff vor einem Würzburger Club sagten am Landgericht Würzburg der Vater und die frühere Freundin des Getöteten aus. 
Aaron Niemeyer
 und  Christoph Sommer
 |  aktualisiert: 12.06.2024 02:46 Uhr

Als "Held" wird er in seinem Bekannten- und Freundeskreis verehrt, Engelsflügel zieren seine Fotos an der Gedenkstätte am Würzburger Haugerkirchplatz: Viele Menschen kannten und mochten den 28-Jährigen mit dem Spitznamen Ling Ling, der im September 2023 vor dem Würzburger Club "Studio" durch Messerstiche starb. 

Welche Rolle hatte Ling Ling bei dem Konflikt, der zu seinem gewaltsamen Tod führte? Wollte er lediglich schlichten, wie in der Anklage angenommen? Oder verschärfte sein Verhalten die angebliche Notwehr-Situation, mit der der Angeklagte seine Tat zu Prozessbeginn vor Gericht erklärt hatte?

Der Prozess hat an diesem Montag begonnen. Um nachzuvollziehen, wie der Getötete war, hatte das Landgericht Würzburg am dritten Verhandlungstag seinen Vater und seine frühere Freundin geladen. Sie zeichneten am Mittwoch im Zeugenstand ein tragisches Bild: Der 28-Jährige sei liebenswert, zwanghaft hilfsbereit und manchmal aufbrausend gewesen. Traumata und eine psychische Krankheit hätten sein Leben geprägt.

Opfer hatte Nacht in Zelle verbracht, weil er sich in Streit eingemischt hatte

"Er hat nie mit dem Kopf agiert, es kam aus dem Herzen raus", sagte der Vater des Getöteten. Er berichtete, wie sein Sohn sich als Jugendlicher von der Familie distanziert und später wieder angenähert habe. Und dass Ling Ling Probleme in der Schule gehabt und länger auf der Straße gelebt habe.

Später sei das Borderline-Syndrom bei seinem Sohn diagnostiziert worden. Er habe deswegen zahlreiche Medikamente genommen. Die Ex-Freundin sagte, sie habe wenige Tage nach seinem Tod mindestens fünf verschiedene starke Psychopharmaka in Ling Lings Wohnung gefunden.

Seit 3. Juni läuft am Landgericht Würzburg der Prozess um eine tödliche Messerattacke vor dem Club 'Studio': Der 22-jährige Angeklagte sagt, er habe sich in einer Notwehr-Situation befunden. 
Foto: Thomas Obermeier | Seit 3. Juni läuft am Landgericht Würzburg der Prozess um eine tödliche Messerattacke vor dem Club "Studio": Der 22-jährige Angeklagte sagt, er habe sich in einer Notwehr-Situation befunden. 

Die psychische Störung Borderline erschwert die Impulskontrolle und fördert die soziale Instabilität. Nach Angaben des Vaters habe der 28-Jährige ein permanentes Bedürfnis gehabt, sich schlichtend in Konflikte einzumischen. Neu für den Vater war ein Hinweis des Vorsitzenden Richters am Mittwoch: Dass sein Sohn rund ein Jahr vor der tödlichen Auseinandersetzung eine Nacht in der Zelle verbracht hatte, weil er sich vor einem Club in einen Streit eingemischt haben soll, wusste er nicht.

Ex-Freundin: Opfer der Würzburger Messerattacke hatte Streit "gesucht"

Der öffentlichen Darstellung von Ling Ling als gut gelauntem "Helden" konnte seine Ex-Freundin nur wenig abgewinnen: "Er war nicht immer der Grinsemann, wie ihn alle erlebt haben", sagte sie. Zu Hause sei er schwermütig gewesen. Erfahrungen aus Kindheit und Jugend sowie die psychische Erkrankung hätten ihm sehr zugesetzt. 

Einmal habe er gesagt: "Warum soll ich rausgehen? Ich kenne zwar viele Leute, aber wenn es darauf ankommt, ist niemand für mich da." Ihr früherer Freund habe zwar viele Menschen herzlich "Bruder" oder "Schwester" genannt. Doch selbst zu den besten Freundinnen und Freunde hätte er außer beim Feiern nur unregelmäßig Kontakt gehabt.

Ling Ling sei tatsächlich äußerst hilfsbereit gewesen, sagte seine langjährige Partnerin. Besonders wenn Frauen belästigt wurden, sei er "sehr schnell hochgefahren". Er habe in vielen Situationen "Streit gesucht" und gemeint, diesen schlichten zu müssen. Aus seinen Erzählungen von Party-Nächten habe sie geschlossen, dass er Konflikte eher "mit Fäusten" als verbal geregelt habe.

Dennoch beschrieben die Ex-Partnerin und weitere Zeugen den 28-Jährigen grundsätzlich als harmoniebedürftig: Ihm sei es darum gegangen, Konflikte zu beenden.

Widersprüche: Türsteher des Würzburger Clubs Studio rückt in den Fokus

Eine konkrete Situation schilderte die Zeugin ausführlich: Ein Türsteher des Studios habe einmal mehrere Besucher zusammengetrommelt, um einen Mann zu "hauen", der seine Freundin belästigt habe. Darunter sei auch Ling Ling gewesen, doch sie haben ihn davon abgehalten. Eben diesem Türsteher wirft die Verteidigung jetzt vor, den angeklagten 22-Jährigen vor dessen tödlichen Stichen verprügelt zu haben.

Für den weiteren Prozess relevant sein könnte eine weitere Aussage der Ex-Freundin. Ihr habe derselbe Türsteher direkt nach dem Vorfall an jenem 17. September 2023 gesagt, von dem ganzen Tatgeschehen nichts mitbekommen zu haben. Als er den Club in den frühen Morgenstunden verlassen habe, seien ihm schon blutende Menschen entgegengekommen. Mit den Darstellungen sowohl der Verteidiger als auch der Staatsanwaltschaft sowie anderen Zeugenaussagen würde dies jedoch nicht zusammenpassen. 

Der Prozess wird am Donnerstag, 13. Juni, um 8 Uhr fortgesetzt.

 
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  • Gertrud Körner
    Was mir nicht ganz klar ist: im Artikel heißt es, der junge Mann habe Streit gesucht, was ja eigentlich bedeutet, dass er jede Gelegenheit wahrgenommen hat um einen Streit vom Zaun zu brechen.

    Wenn ich aber dem Inhalt des Artikels folge, scheint mir eher, als sei er, vielleicht auch mit einer gewissen Beflissenheit, auf streitende Menschen zugegangen um sich in die Auseinandersetzung einzubringen und den Konflikt zu schlichten - was einen komplett anderen Sinn ergibt als die Formulierung "Streit suchen".
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  • Aaron Niemeyer
    Guten Tag Herr Körner,

    bei der Formulierung handelt es sich um ein direktes Zitat der Ex-Freundin. Wir haben versucht, den Kontext deutlich zu machen: Der Getötete soll den Streit anderer Leute "gesucht" haben, um ihn zu schlichten. Die Betonung liegt auf dem Bedürfnis der Schlichtung, nicht auf dem Bedürfnis nach Streit.

    Beste Grüße,
    Aaron Niemeyer (Autor)
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  • Martin Deeg
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  • Hans-Georg Heim
    War ja klar, dass die Main Post jetzt den Täter entlasten will und das Opfer als potentiell aggressiv und damit selbst Schuld hinstellt. Eine sehr widerliche Art und Weise einer ideologisierten Presse.
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  • Heribert Mennig
    @Herrn Heim: Es wäre hilfreich, wenn Sie die Antwort von Herrn Niemeyer auf den Kommentar von Frau Deufert lesen!
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  • Hans-Georg Heim
    @ Herr Mennig den habe ich gelesen, ändert aber nichts an der Tatsache der Relativierung, indem das Opfer in ein schlechtes Licht gerückt wird. Das ist Aufgabe der Verteidigung und nicht einer lokalen Zeitung.
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  • Martin Deeg
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  • Christiane Schmitt
    Immer wieder wird berichtet, dass es Messerstechereien, oft mit schlimmem bis tödlichem Ausgang gibt. Man geht dann wohl mit Messer auf die Straße oder klaut es sich, wir aus dem benachbarten Woolworth. Der/die Andre wird wohl immer öfter als Feind gegen eigene Intressen angesehen. Nur noch traurig und enttäuschend.
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  • Martin Deeg
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  • Inge Deufert
    Ich bekomme beim Lesen dieses Artikel arge Bauchschmerzen. Es ist wichtig, den Tathergang zu beleuchten, aber die Person des Getöteten/Opfers so in der Öffentlichkeit zu präsentieren, das Opfer habe durch seine Verhalten seinen Tod "mitverschuldet" finde ich unangemessen. Wo bleibt der Opferschutz???
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  • Martin Deeg
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  • Aaron Niemeyer
    Guten Tag Frau Deufert,

    danke für Ihren Kommentar. Von einer "Mitverschuldung" kann keine Rede sein. Der mutmaßliche Täter hat die Verantwortung für seine Stiche übernommen. Dennoch sind noch über 20 Prozesstage anberaumt.

    Es geht darum zu klären, was damals wirklich passiert ist. Und da spielt diese stark reduzierte Beschreibung des Getöteten eine Rolle.

    Er ist in der Region im Übrigen eine Person der Zeitgeschichte: Auf seiner öffentlichen Beerdigung waren 500 Menschen. In der Innenstadt gibt es ein Mahnmal auf dem seine Bilder ausgestellt werden. Der Vater hat mehrfach (zuletzt vor wenigen Tagen bei RTL) öffentlich über seinen Sohn gesprochen.

    Der Getötete ist Inhalt von Rap-Songs aus der Region, es gibt im Internet eine Webseite, wo öffentlich getrauert wird. Der öffentliche Gerichtsprozess ist weiterhin gut besucht.

    Darum hat die Redaktion entschieden, auch diese Perspektive, die zum Verständnis notwendig ist, zu veröffentlichen.

    Beste Grüße,
    Aaron Niemeyer (Autor)
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  • Martin Deeg
    …“Darum hat die Redaktion entschieden, auch diese Perspektive, die zum Verständnis notwendig ist, zu veröffentlichen.“

    Wieso ist das eine „Entscheidung“? Eine objektive und integre Presse ist verpflichtet, Fakten und Tatsachen zu veröffentlichen, auch wenn sie Gewissheiten und einfache Antworten in Frage stellen.

    Das Opfer erscheint hier als MENSCH, und das ist gut so.
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  • Inge Deufert
    Danke für ihre Antwort, allerdings finde ich die Länge und Ausführlichkeit zumindest grenzwertig bis übertrieben.
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  • Ute Schlichting
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