
Manchmal sind es Anekdoten aus vergangenen Zeiten, die einen Menschen am besten beschreiben. So wie die von Alex R., die der Vater des kürzlich erstochenen 28-Jährigen am Mittwoch unter Tränen den 500 Trauergästen auf dessen Beerdigung in Versbach erzählt. Alex, den seine Freunde Ling Ling nannten, sei für seine Hilfsbereitschaft bekannt gewesen, sagt Vater Christoph R..
Eine besondere Geschichte habe sich vor einiger Zeit ausgerechnet vor dem Club "Studio" in Würzburg zugetragen, in dessen Nähe Alex getötet wurde. Damals habe er mit einem Bekannten in der Schlange gestanden. Der Bekannte sei wegen seiner Jogginghose nicht den Club gekommen. "Welche Größe hast du", habe Alex damals gefragt. Und als sich herausstellte, dass die Größe passt, sei er bis nach Versbach nach Hause und wieder zurück gejoggt, um dem Bekannten eine passende Hose zu bringen.
Alex R. war vor Würzburger Club Studio erstochen worden
Seine Hilfsbereitschaft wurde Alex R. am 17. September zum Verhängnis. Er war einer Frau zu Hilfe geeilt, die von einem 22-Jährigen attackiert worden war. Als Alex R. mit anderen helfen wollte, zückte der Täter ein Messer und stach zu.
Es ist der frühe Mittwochnachmittag als Alex R. beerdigt wird. Sein Vater hatte dazu öffentlich eingeladen – auch auf den sozialen Medien. Viele junge Menschen sind gekommen, meist in schwarz gekleidet, doch mit bunten Luftballons in den Händen. Sie versammeln sich in und um die Aussegnungshalle. "Was ein Mensch an Gutem in die Welt hinaus gibt, geht nicht verloren", steht auf einer Gedenkschleife.
Der Vater des Getöteten schiebt die Mutter, die im Rollstuhl sitzt, zur Gedenktafel. Auf Deutsch und in asiatischen Schriftzeichen steht dort geschrieben: "Du hast all die Kraft, die du brauchst, wenn du nur wagst, sie zu finden." Sie halten kurz inne und weinen.
Viele Menschen weinen laut und geben sich gegenseitig Kraft
"Es kommt alles hoch. Ich versuche einen Sinn zu finden, aber es gibt keinen. Zum Glück ist der Zusammenhalt groß. Ich will nicht, dass mein Sohn vergessen wird", sagt Vater Christoph R. Im Hintergrund läuft der Song "Jesus to a child" von George Michael. Viele Menschen weinen, umarmen sich, geben sich Kraft. Dann läuft "Time to say goodbye" von Andrea Bocelli.
Auch Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt ist zur Beerdigung gekommen. "Die Tatsache, dass so viele um Alex trauern, spricht Bände über die Art Mensch, die Alex war. Als er sah, dass andere in Gefahr waren, zögerte er nicht und eilte zu Hilfe", sagt er in seiner Trauerrede. In Zeiten, in denen viele wegschauen, habe Alex geholfen und sein Leben gegeben.

Als der Sarg in die Erde gelassen wird, ergreift der Vater das Wort. "Eines wird mir klar: Nie mehr gibt es die Chance, den geliebten Menschen zu sehen. Von ihm überrascht zu werden oder ihn vom Club abzuholen. Es bleibt nur noch tiefer, unendlicher Schmerz. Ich frage mich, ob ich etwas falsch gemacht habe." Gerade als er seine Sätze beendet, kommt die Sonne hinter den Wolken hervor und durchdringt mit ihren Strahlen die bis dahin kühle Luft des beginnenden Herbstes.
"Alex war ein Mensch, der seinem Herzen folgt", erzählt eine Arbeitskollegin und Freundin des Getöteten, die ans Mikrophon getreten ist. Sie richtet sich direkt an Alex R.: "Ling Ling, du hast immer das Gute gesehen und dein Herz war immer auf Empfang. Unsere Zeit war viel zu kurz, aber sehr intensiv. Lasse da, wo du bist, die Engel tanzen, so wie du es hier gemacht hast." Der 28-Jährige war dafür bekannt, gerne und oft getanzt zu haben. Sein größter Wunsch sei gewesen, erklärte eine junge Frau auf der Trauerfeier, professioneller Tänzer zu werden.
Die Würzburger Trauergäste lassen hunderte Luftballons in die Luft steigen
Mit dem gemeinsamen Ruf "Ling Ling Ni Hao" lassen die Trauergäste hunderte Luftballons gemeinsam los, "um Alex den Weg in den Himmel zu zeigen". Vater Christoph R. kann die Warmherzigkeit und das Mitgefühl der Anwesenden spüren, sagt er. "Ein Engel verlässt eine nicht perfekte Welt. Wir können sie gemeinsam besser machen, wenn wir es nur versuchen."

Dann folgt wieder eine Anekdote über Alex R., der in einer sozialen Einrichtung in Würzburg gearbeitet hat. Einmal, so schildert es der Vater, habe sich sein Sohn einen Schlafsack von Freunden geliehen. Er habe die Lebensrealität seiner Klientinnen und Klienten kennenlernen wollen und habe drei Nächte mit Schlafsack am Hauptbahnhof übernachtet.
Jeder der Anwesenden solle sich Gedanken machen, ob man nicht selbst die Welt mit ähnlichen Einsätzen besser machen könnte, sagt Christoph R.. "Macht bitte Würzburg besser." Lauter Applaus ertönt über den Friedhof. Dann verstreuen sich die Gäste. Einige von ihnen fahren zur Gedenkstätte am Kreisel am Haugerkirchplatz, wo Alex R. sein Leben verlor und zünden dort eine Kerze an.