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Lülsfeld
"Go&Change": Gemeinschaft aus Lülsfeld glaubt, sich selbst verteidigen zu müssen - und schaffte Softairwaffen an
Bei einer Durchsuchung im früheren Kloster fanden Ermittler "eine größere Menge Waffen". Gefahr für die Bevölkerung bestand laut Polizei nicht. Was dahinter steckt.
Seit einiger Zeit sind an dem früheren Klosterbau in Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt) Überwachungskameras angebracht.
Foto: Stefan Pfister | Seit einiger Zeit sind an dem früheren Klosterbau in Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt) Überwachungskameras angebracht.
Benjamin Stahl
 und  Christine Jeske
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:46 Uhr

Die umstrittene Gemeinschaft "Go&Change" hat in dem von ihr bewohnten Anwesen in Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt) genehmigungsfreie Waffen angehäuft. Das haben Recherchen dieser Redaktion ergeben. Mehrfach berichteten Personen aus dem Umfeld von "Go&Change", dass sich die Gemeinschaft "bewaffnet" habe. Nun hat die Staatsanwaltschaft Schweinfurt bestätigt, dass bei einer Durchsuchung des ehemaligen Klosterkomplexes "eine größere Menge an Waffen vorgefunden" worden sei.

Dabei habe es sich überwiegend um erlaubnisfreie Luftdruckwaffen gehandelt, die die Polizei sichergestellt habe und die nun weiter überprüft würden.

Wie Martin Kuhn, Sprecher des Polizeipräsidiums Unterfranken erklärt, seien vor allem sogenannte Softairwaffen gefunden worden. Hinweise auf eine "reale Bewaffnung" der Gemeinschaft, betont er, habe es nicht gegeben. Heißt: Eine konkrete Gefahr für die Bevölkerung habe nicht bestanden. Und keine in dem ehemaligen Kloster lebende Person, von der die Behörden wissen, habe einen Waffenschein, der zum Kauf oder Besitz scharfer Schusswaffen berechtige.

"Go&Change" spricht von "Selbstverteidigungswaffen"

Auf Anfrage der Redaktion bestätigt Felix Krolle, Geschäftsführer von "Go&Change", dass man sich "eine kleine Anzahl an genehmigungsfreien Selbstverteidigungswaffen zugelegt" habe. Zudem besitze man "Bogen, Armbrust und Luftgewehr/pistole, die Sport- und Freizeitzwecken dienen". Alle Gegenstände seien genehmigungsfrei.

Warum legt sich eine Gemeinschaft, die nach eigener Darstellung "auf Liebe ausgerichtet" ist, "Selbstverteidigungswaffen" zu? Die Mitglieder von "Go&Change" hätten "berechtigte Sorge" um ihr Wohl, antwortet Krolle. Und sagt, aufgrund der Berichterstattung über die Vorgänge in der Gemeinschaft sei man "zunehmend Zielscheibe von Vandalismus geworden".

Gemeinschaft hat am Gebäude Überwachungskameras installiert

So seien etwa Fenster eingeschlagen und Tiere der Gemeinschaft getötet worden, erklärt Krolle. Zudem gebe es "regelmäßig unerwünschte Besuche auf unserem Gelände". Bei der Polizei sei lediglich bekannt, dass im August 2022 Fenster an einem Nebengebäude beschädigt worden waren, teilt Sprecher Kuhn mit. 

Der Innenhof und die zugehörigen Wirtschaftsgebäude des ehemaligen Klosters "Maria Schnee" sind von außen nicht einsehbar. Auffallend ist, dass seit einigen Monaten an der Fassade und im Eingangsbereich des spätklassizistischen Baus Überwachungskameras angebracht sind. 

Das einstige Kloster 'Maria Schnee' ist ein stattliches Gebäude aus der Zeit des Spätklassizismus. Die Anlage befand sich einst im Besitz der Würzburger Erlöserschwestern. Die Kongregation verkaufte es 2017 an die Gemeinschaft 'Go&Change'.
Foto: Silvia Gralla | Das einstige Kloster "Maria Schnee" ist ein stattliches Gebäude aus der Zeit des Spätklassizismus. Die Anlage befand sich einst im Besitz der Würzburger Erlöserschwestern.

Ehemalige Gemeinschaftsmitglieder berichteten der Redaktion, bei "Go&Change" habe man ein bedrohliches Zukunftsszenario entworfen. Anhängerinnen und Anhänger sollten ins ehemalige Kloster ziehen, um dort Kräfte zu bündeln. Auslöser seien die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie gewesen, die als "Märchen" abgetan worden sei.

Festnahme wegen mutmaßlicher Vergewaltigung und Suche nach einem Kind

Dies berichtet etwa Reto Giacopuzzi, langjähriger Freund eines mittlerweile nach Drogenmissbrauch gestorbenen "Go&Change"-Mitglieds. Die Gemeinschaft sei aufs Schlimmste gefasst, habe sein Freund erzählt, sagt Giacopuzzi. Das ehemalige Kloster habe er jedoch als "ein sicherer Ort" bezeichnet.

Seit 2020 gibt es immer wieder Vorwürfe gegen "Go&Change". Aussteigerinnen und Aussteiger berichteten wiederholt von "Psychoterror" und "Gehirnwäsche", einer strengen Hierarchie, Drogenmissbrauch und sexualisierter Gewalt als "Therapie". Seit Mitte Mai kam es zu drei Polizeieinsätzen im Anwesen der Gemeinschaft. Zunächst im Zusammenhang mit der Festnahme eines 41-Jährigen, der tatverdächtig ist, dort eine junge Frau vergewaltigt zu haben.

Der Mann, der innerhalb der Gemeinschaft den Status eines "Gurus" genoss, sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Der Beschuldigte hatte sich den Ermittlern zufolge nur einmal kurz nach der Festnahme im Mai zu den Vorwürfen geäußert, aber laut Oberstaatsanwalt Reinhold Emmert kein Geständnis abgelegt.

Auf der Suche nach einem Kind: Bei Durchsuchung Handys beschlagnahmt

Wenige Tage später und noch einmal Ende Juni gab es zwei weitere Polizeieinsätze bei "Go&Change". Hintergrund war die Suche nach einem Kind, das zuletzt bei der Gemeinschaft gelebt hat und das das Jugendamt Schweinfurt in Obhut nehmen will. Noch immer läuft die Suche nach dem Kind. Bei der jüngsten Durchsuchung beschlagnahmte die Polizei mehrere Handys, in der Hoffnung, auf den Geräten Hinweise auf den Verbleib des Kindes zu finden. Die Auswertung der Mobiltelefone dauert laut Staatsanwalt Reinhold Emmert noch an. 

Unterdessen äußert "Go&Change"-Sprecher Krolle harsche Kritik an den Ermittlungsbehörden. Man habe sich "unter Vorspielung falscher Tatsachen (Lügen!) Zugang zum Haus verschafft", Privatzimmer seien "unrechtmäßig" durchsucht worden. Von der Polizei sei man "angelogen und bedroht" worden, klagt Krolle, ohne Details oder Belege zu nennen.

 
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  • Peter Koch
    Warum besteht keine Gefahr für die Bevölkerung wenn sich eine anscheinend in Wahnvorstellungen befangene Gruppe mit Bogen und Armbrust bewaffnet? Damit kann man problemlos Menschen töten. Das sind ganz andere Kaliber als die Softairwaffen. Mit einem Sportbogen kann man nämlich einen Menschen mit einem Pfeil total durchbohren und 10 Schuss pro Minute gehen damit bei einiger Übung auch. Mit der Armbrust schießt es sich langsamer, aber genau so tödlich.
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