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Lülsfeld/Schweinfurt
"Go&Change": Staatsanwaltschaft erhebt Anklage wegen Kindesmissbrauchs
In der Gemeinschaft, die in einem ehemaligen Kloster in Lülsfeld lebt, soll sich ein Mann an einem Kind vergangen haben. Es sind nicht die ersten Vorwürfe gegen "Go&Change".
Im ehemaligen Kloster 'Maria Schnee' in Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt) lebt die Gemeinschaft 'Go&Change'.
Foto: ArchivMatthias Wiener | Im ehemaligen Kloster "Maria Schnee" in Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt) lebt die Gemeinschaft "Go&Change".
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:50 Uhr

Innerhalb der Gemeinschaft "Go&Change", die das ehemalige Kloster "Maria Schnee" in Lülsfeld bei Gerolzhofen (Lkr. Schweinfurt) bewohnt, soll ein Kind missbraucht worden sein. Wie die Staatsanwaltschaft Schweinfurt auf Anfrage dieser Redaktion bestätigt, hat sie kürzlich Anklage gegen einen früheren Bewohner des einstigen Klosters erhoben. Ihm wird schwerer sexueller Missbrauch eines Kindes und der Besitz kinder- und jugendpornographischer Schriften vorgeworfen. "Der sexuelle Missbrauch betrifft einen Vorfall in der Gemeinschaft 'Go&Change' im Herbst 2018", so Oberstaatsanwalt Axel Weihprecht.

Gegen "Go&Change" wurden erstmals im Mai 2020 Vorwürfe öffentlich. Aussteigerinnen und Aussteiger hatten dieser Redaktion damals unter anderem von sexualisierter Gewalt, Psychodruck und Drogenmissbrauch berichtet. Nach der Berichterstattung hatte die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen, aber kein strafrechtlich relevantes Verhalten nachweisen können. Drogen, die bei einer Durchsuchung des Klosters im Februar 2021 gefunden wurden, konnten keiner konkreten Person zugeordnet werden.

"Go&Change" lieferte selbst Hinweis auf möglichen Missbrauch

Erst vergangene Woche geriet "Go&Change" erneut in die Schlagzeilen. Im Magazin der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) erschien eine lange Reportage, in der ehemalige Mitglieder der Gemeinschaft ähnliche Vorwürfe wie im vergangenen Jahr in Gesprächen mit dieser Redaktion erheben. Rund um diese Berichterstattung lieferte "Go&Change" nun – möglicherweise versehentlich – selbst den Hinweis, dass es in der Gemeinschaft zu einer schweren Straftat gekommen sein soll.

"Go&Change" veröffentlichte nämlich im Internet den E-Mail-Verkehr mit einer SZ-Journalistin, in dem auch nach einem Gemeinschaftsmitglied gefragt worden war, das sich als pädophil geoutet haben soll. Felix Krolle, Mitglied der "Go&Change"-Leitung, erklärte in einem Schreiben an die Journalistin dazu, "dass ein ehemaliger Bewohner so tief im Vertrauen mit uns war, dass er der ganzen Gemeinschaft von seinen tiefsten Abgründen erzählt hat". Es sei "sofort allen" klar gewesen, "dass wir damit zur Polizei gehen mussten". Krolle habe ihn dann bei seiner "Selbstanzeige begleitet", man habe sich "als Gemeinschaft vorbildlich verhalten".

Zwei Kinder aus dem "Go&Change"-Umfeld starben

Die konkreten Missbrauchsvorwürfe erwähnt Krolle in der veröffentlichten E-Mail nicht – diese kamen nun durch die Anfrage dieser Redaktion bei der Staatsanwaltschaft Schweinfurt ans Licht. Deren Sprecher Axel Weihprecht bestätigt: "Der Beschuldigte hat angegeben, sich vor der Selbstanzeige" im Frühjahr 2020 "Mitgliedern der Gemeinschaft anvertraut zu haben und wurde bei der Anzeige-Erstattung durch ein Mitglied dieser Gemeinschaft begleitet." Er sei nicht vorbestraft und lebe nicht mehr in dem ehemaligen Kloster.

Die Situation der Kinder bei "Go&Change" ist schon länger Thema. Im März 2019 fiel ein Einjähriger, der zu Besuch bei der Gemeinschaft war und von Mitgliedern beaufsichtigt wurde, in einen Löschteich und starb später. Gegen drei Personen wurde daraufhin wegen fahrlässiger Tötung ermittelt, gegen sie wurden Strafbefehle erlassen. Bereits vier Wochen zuvor war ein Säugling aus dem Umfeld von "Go&Change" bei einem Spaziergang gestorben. Hier lag laut Staatsanwaltschaft "eine natürliche Todesursache" vor, ein Verfahren wurde eingestellt. Laut Informationen der "Süddeutschen Zeitung" starb das Kind auf einem "Besinnungsspaziergang", zu dem K.K., der Kopf von "Go&Change", die Gruppe in jener Februarnacht nach draußen geschickt haben soll.

2019 lebten neun Kinder im Kloster

Trotz dieser Vorfälle scheinen dem zuständigen Jugendamt Schweinfurt die Hände gebunden: Die Behörde werte "regelmäßig und sehr genau die Verlautbarungen der Lebensgemeinschaft aus und prüft, ob es Anhaltspunkte gibt, die ein Einschreiten des Jugendamts möglich machen", hieß es am Mittwoch auf Nachfrage dieser Redaktion. Aber: Aus den zur Verfügung stehenden Quellen hätten sich "keine Anhaltspunkte" ergeben, "die ein Einschreiten des Jugendamts rechtlich ermöglichen".

Auch der Drogenfund im Februar hat dafür keine Grundlage geboten. Es lägen nämlich "keine Erkenntnisse vor, die darauf schließen lassen, dass Kinder aufgrund von möglichem Betäubungsmittelkonsum einzelner Erwachsener unbeaufsichtigt wären". Zuletzt bekam "Go&Change" im November 2019 Besuch von der Behörde. Damals hätten neun Kinder in der Gemeinschaft gelebt – eine aktuellere Zahl hat das Jugendamt nicht.

"Go&Change" äußert sich nicht zu den neuen Vorwürfen

Der mutmaßliche Kindesmissbrauch wurde dem Jugendamt laut einem Sprecher des Landratsamts erst bekannt, als "der Beschuldigte sich nicht mehr in der Lebensgemeinschaft 'Go&Change' aufhielt". Bei einer Anhörung vor dem Jugendamt "zeigte sich der Beschuldigte geständig", so der Sprecher weiter. "Es muss festgestellt werden, dass weder seine Schilderungen, noch die Schilderungen der von uns befragten Aussteiger aus der Lebensgemeinschaft auf ein systemisches Vorgehen zum Schaden der Kinder in der Lebensgemeinschaft schließen lassen." Zudem gehe die Staatsanwaltschaft von einem Einzeltäter aus. Das Jugendamt werde jedoch "die Vorgänge" in der Gemeinschaft verfolgen "und jeden Anlass für ein mögliches Einschreiten gewissenhaft prüfen".

"Go&Change" selbst reagierte nicht auf eine Anfrage dieser Redaktion.

 
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  • reiseperle8
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  • helenews@gmx.de
    es ist nicht zu fassen, was man unter dem Motto "Entwicklung für Lebensqualität" alles veranstalten kann. Und die Behörden sehen diesem Treiben tatenlos zu. Wann wird diese Einrichtung endlich geschlossen?
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  • saf.wuerzburg@t-online.de
    Die meisten Behörden tun sich schwer, wenn es um den Umgang mit Sekten geht.

    In der Regel wird z. B. bei Strafverfolgungsbehörden "nur" der einzelne Sachverhalt gesehen.

    Beispiel:

    Ein Mitglied der totalitären und menschenverachtenden §cientology-Organisation und gleichzeitig Inhaber einer Firma, ist durch $cientology gehalten, möglichst viel Geld an die Organisation abzuführen, zumal, wenn er noch WISE-Lizenznehmer ist.

    Zieht er jetzt sein Geld aus der Firma, um dies an "$cientology" zu "spenden" bzw. die Lizenzgebühren zu bezahlen oder bezahlt er damit seine Kurse, um zur "Brücke zum geistigen Absturz" zu gelangen (i. d. R. schlappe 750.000 bis 1.000.000 Euro) und geht somit gleichzeitig mit der Firma in Insolvenz und vertuscht dies, dann wird er höchstens wegen Insolvenzverschleppung angeklagt, nicht aber wegen seiner Mitgliedschaft bei $cientology.

    Und $cientology selbst?

    Die behaupten, dass ist die Tat eines einzelnen, seine Privatsache, damit haben wir nichts zu tun.
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