
Mit seinen gut 900 Einwohnern ist Lülsfeld die kleinste Gemeinde im Landkreis Schweinfurt. Neben der Freiwilligen Feuerwehr, den Landfrauen, dem Sportverein und einer Musikkapelle gibt es dort eine Handvoll weiterer Vereine – und seit sechs Jahren die Lebensgemeinschaft "Go&Change".
In deren Umfeld hat es mehrere Todesfälle gegeben. Aussteigerinnen und Aussteiger berichten von Psychoterror und sexualisierte Gewalt. Zudem ist im Mai 2023 der Kopf der im früheren Kloster "Maria Schnee" lebenden Gemeinschaft verhaftet worden. Die Staatsanwaltschaft legt ihm eine gravierende Sexualstraftat zur Last.
Wie gehen die Verantwortlichen in der Verwaltung mit all dem um?
Lülsfelds Bürgermeister Heinrichs lehnt ein Interview zu "Go&Change" ab
Als Bürgermeister sollte Thomas Heinrichs wissen, wie die Stimmung in Lülsfeld ist. Wer lehnt die umstrittene Gemeinschaft ab? Wer sympathisiert mit ihr? Wem ist es egal, was innerhalb der Klostermauern, auf dem weitläufigen, eingefriedeten und mit Videokameras überwachten Areal passiert?
Ein Interview zu "Go&Change" lehnt der Bürgermeister ab. Fragen möchte er nur schriftlich beantworten. Die Redaktion schickt sie ihm, insgesamt 14. Eindeutige Antworten auf konkrete Fragen gibt es aber kaum.
Vereine in Lülsfeld haben sich von "Go&Change" distanziert
Zur Lage im Ort liefert Heinrichs immerhin eine Einschätzung. Er betont, dass die Stimmung und Einstellung der Einwohnerinnen und Einwohner Lülsfelds gegenüber "Go&Change" stark von deren Wahrnehmung und persönlichen Erfahrungen mit der Gemeinschaft abhingen. Abgelehnt würden, das steht für Heinrichs fest, "die medienwirksamen, negativen Ereignisse, die diversen Praktiken und das mögliche Konsumverhalten, worüber berichtet wurde".
Auch örtliche Vereine, in denen Angehörige von "Go&Change" eine Zeitlang aktiv waren, hätten sich "gegenüber den noch in der Gemeinschaft lebenden Mitgliedern nach meiner Wahrnehmung distanziert", sagt Heinrichs.

Als "Go&Change" das frühere Kloster im Jahr 2017 von den dort zwei Jahre zuvor ausgezogenen Erlöserschwestern kaufte, saß Heinrichs bereits im Gemeinderat. Als diese Redaktion Ende Mai 2020 erstmals von den Vorwürfen gegen "Go&Change" berichtete, war Heinrichs erst wenige Wochen Bürgermeister.
Bürgermeister hat keinen persönlichen Kontakt zum "Guru"
Auf der Wahlliste der unabhängigen Wählergemeinschaft Lülsfelds, auf der der damals 45-Jährige zur Wahl antrat, standen auch die Namen von zwei "Go&Change"-Mitgliedern. Beide wurden nicht in den Gemeinderat gewählt und hätten die Gemeinschaft und das frühere Kloster inzwischen verlassen, bestätigt der Bürgermeister.
Freundschaftliche Beziehungen mit Angehörigen der Gemeinschaft pflege er keine, betont Heinrichs. Zu dem 41-Jährigen, der innerhalb der Gemeinschaft den Status eines Gurus genießt und derzeit in Untersuchungshaft sitzt, habe er keinen persönlichen Kontakt gehabt. Der Mann habe sich auch am Dorfleben nicht beteiligt, sagt Heinrichs.
Vier Tage nach der Verhaftung des 41-Jährigen und der damit einhergehenden Razzia im früheren Kloster hat der Bürgermeister sich im Gemeinderat erstmals öffentlich zu "Go&Change" geäußert. Laut Sitzungsprotokoll hat er aktuelle strafrechtliche Ermittlungen bestätigt. Mehr nicht.
Bürgermeister ist der gute Ruf seiner Gemeinde wichtig
Die Verantwortlichen vor Ort tun sich augenscheinlich schwer im Umgang mit "Go&Change". Für einen ehrenamtlichen Bürgermeister wie ihn sei das Thema "kein normales Tagesgeschäft", meint Heinrichs.
Zweieinhalb Wochen später stellt Heinrichs auf der Homepage der Gemeinde klar: Die Gemeinde beobachte die Vorfälle bei "Go&Change". Er distanziere sich "von jeglichem strafbaren Verhalten" und verurteile "alle Formen von Gewalt aufs Schärfste". Diese einzige öffentliche Stellungnahme der Gemeinde zu "Go&Change" findet sich nicht auf Anhieb auf deren Homepage. Sie liegt zwischen Sitzungseinladungen unter der Rubrik "Amtliches".
Ihm ist der gute Ruf Lülsfelds als funktionierende Gemeinde wichtig. Die Einwohnerinnen und Einwohner Lülsfelds müssten mit den Schlagzeilen im Zusammenhang mit "Go&Change" und ihrem Ort leben – "und uns immer wieder rechtfertigen und von den Geschehnissen distanzieren". Für Heinrichs steht fest: "Go&Change" ist nicht Lülsfeld.
Polizisten aus Gerolzhofen fahren auf Streife gezielt durch Lülsfeld
Das Sicherheitsempfinden der Menschen vor Ort sieht der Bürgermeister trotz der vor kurzem im früheren Kloster durch die Polizei sichergestellten, genehmigungsfreien Waffen und eines damit einhergehenden "gewissen Unbehagens" nicht gefährdet. Dafür sorge auch das Vertrauen auf die zuständigen Sicherheitsbehörden und eine erhöhte Polizeipräsenz, meint Heinrichs.
Diese besteht nach Auskunft der zuständigen Polizeiinspektion in Gerolzhofen darin, dass Polizisten im Rahmen der regulären Streife immer wieder gezielt durch Lülsfeld fahren.
Laden von "Go&Change" in Gerolzhofen geschlossen
Die Frage des korrekten Umgangs mit "Go&Change" betrifft auch Bürgermeister Thorsten Wozniak im sechs Kilometer entfernten Gerolzhofen. In der Kleinstadt wohnen, wie der Redaktion bekannt ist, mehrere Menschen aus dem Umfeld von "Go&Change", die bis heute eine mehr oder weniger enge Verbindung dorthin unterhalten.

Zudem hat der hinter der Gemeinschaft stehende Verein "Gemeinschaft(s)formen" in der Gerolzhöfer Altstadt bis heute eine Immobilie gepachtet. Dies bestätigt der Eigentümer gegenüber dieser Redaktion. Dort hat die "Go&Change" einen Naturwarenladen mit angeschlossenem Café betrieben. Seit mehreren Monaten ist der Laden geschlossen.
Der Einladung zur Geschäftseröffnung Ende September 2020 war Bürgermeister Wozniak seinerzeit gefolgt. Damals seien ihm Hinweise auf mögliche Straftaten bei "Go&Change" bereits bekannt gewesen. Auch war er in einer Stadtratssitzung dazu aufgefordert worden, der Einladung nicht zu folgen.
Er habe sich damals dennoch entschieden, hinzugehen, weil er als Bürgermeister versuche, alle Geschäftseröffnungen zu besuchen, wie Wozniak auf Nachfrage erklärt.
Bürgermeister Wozniak in Gerolzhofen verurteilt Vorfälle bei "Go&Change"
Nach heutigem Kenntnisstand zu den Vorfällen bei "Go&Change", die es für Wozniak "wohl zweifelsfrei gab", würde er einer solchen Einladung der Gemeinschaft jedoch nicht nochmals folgen, sagt er. Und er findet deutliche Worte: Sollte auch nur ein Teil der Schilderungen über die Gemeinschaft stimmen, dann seien diese nicht tragbar, betont er. "Gehirnwäsche oder Missbrauch, psychische oder physische Gewalt sind nicht nur nicht zu tolerieren, sondern zu verurteilen."
Mehr als ein solches Statement bleibt ihm als Bürgermeister nicht. So lange alle rechtlichen Bedingungen erfüllt würden, habe eine Kommune keine Handhabe, etwa um private Pachtverträge zu verhindern, erläutert Wozniak.

Schweinfurter Landrat Töpper vertraut auf schnelle Ermittlungsergebnisse
Recht und Gesetz setzen auch dem Landratsamt Schweinfurt Grenzen im Umgang mit "Go&Change". Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden "mit hoher Wachsamkeit und unter Ausschöpfung gegebener Spielräume sämtlichen Sachverhalten, von denen wir Kenntnis erlangt haben und erlangen, intensiv nachgehen", sagt Landrat Florian Töpper.
Auf Nachfrage dieser Redaktion berichtet das Landratsamt beispielsweise von drei tierschutzrechtlichen Kontrollen seit März 2022 im früheren Kloster, wo die Gemeinschaft zahlreiche Tiere hält. Die aktuellste unangemeldete Kontrolle war Ende Juli 2023. Alle Kontrollen verliefen laut Landratsamt ohne Beanstandungen. Auch zwei vom Landratsamt angeordnete Brandschutzbegehungen im früheren Kloster endeten demnach ohne Feststellungen.
Um seine persönliche Meinung gebeten, stellt Landrat Töpper fest, dass die jüngsten Vorgänge bei "Go&Change" ein erschreckendes Licht auf das Innenleben der Gemeinschaft werfen würden. Doch letztlich bleibe ihm nur das Vertrauen darauf, dass die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden zügig zu einem Ergebnis führen.
Gemeinde Lülsfeld hätte kein Geld für Rückkauf des früheren Klosters
Ganz gleich, wie die Ermittlungen enden: Ob die Gemeinschaft "Go&Change" im früheren Kloster in Lülsfeld eine Zukunft hat, steht auf einem anderen Blatt.
In einem Punkt ist die Gemeinde, das macht Bürgermeister Heinrichs klar, so weit wie im Jahr 2015, als die letzte Klosterschwester "Maria Schnee" verließ: Die Gemeinde habe kein Geld und kein Personal, um die Gebäude zu kaufen.