zurück
Würzburg/Schweinfurt
Wasserentnahmen in Unterfranken: Wie die Redaktion recherchierte und welche Folgen die Berichte bis jetzt hatten
Die Recherche zu Datenlücken und Wasserkontrollen in Unterfranken war langwierig – und brisant. Eine Chronologie, wie die Politik in Bayern reagierte und was sich alles tat.
Die Datenlage zu den Wasserentnahmen in Unterfranken ist lückenhaft. Besonders wenig wissen Behörden darüber, wie viel Wasser die Entnehmer der 2000 privatnützigen Wasserrechte tatsächlich aus der Natur gepumpt haben.
Foto: Illustration: Getty/Daniel Biscan | Die Datenlage zu den Wasserentnahmen in Unterfranken ist lückenhaft. Besonders wenig wissen Behörden darüber, wie viel Wasser die Entnehmer der 2000 privatnützigen Wasserrechte tatsächlich aus der Natur gepumpt haben.
Angelika Kleinhenz
 und  Jonas Keck
 |  aktualisiert: 24.07.2024 02:48 Uhr

Die Datenlage zur Wasserentnahme in Unterfranken ist desaströs. Das haben die gemeinsamen Recherchen von Main-Post und Bayerischem Rundfunk im vergangenen Jahr ergeben. Sechs Journalistinnen und Journalisten der beiden Redaktionen werteten dabei mehr als 2000 Datensätze aus. Seit der Veröffentlichung im Mai 2023 ist ein Jahr vergangen.

Wie die Redaktion bei der Recherche und Analyse vorgegangen ist, welche Folgen die Berichterstattung bislang hatte und wie es weiterging. 

Herbst 2022: Die Redakteurinnen und Redakteure versenden an die neun Landratsämter und an die drei Rathäuser der kreisfreien Städte in Unterfranken eine Presseanfrage, in der sie um Auskunft über die Wassermengen bitten, die nach behördlichen Genehmigungen entnommen werden dürfen.

Fast alle Behörden in Unterfranken wollen die Anfrage nicht beantworten. Manchen drohen mit Gebühren für die Informationen, andere verweigern die Auskunft und verweisen auf Datenschutz, den Schutz von kritischer Infrastruktur und Geschäftsgeheimnisse. Nur die Stadt Aschaffenburg legt die Informationen offen.

Dezember 2022: Eine Redakteurin der Main-Post klagt vor dem Verwaltungsgericht Würzburg und beruft sich auf das Auskunftsrecht der Presse. Mit der Klage sollte die Herausgabe der Namen der Entnehmer erwirkt werden. Sie wird abgewiesen mit der Begründung, die Main-Post habe nicht ausreichend dargelegt, warum sie die Namen benötige. Nachdem der Bayerische Verwaltungsgerichtshof dieses Urteil bestätigt, bleiben die meisten Behörden bei ihrer Haltung, keine Namen herauszugeben. Zumindest teilten sie aber die Daten zur Wasserentnahme und deren groben Zweck mit – beispielsweise "Landwirtschaft" oder "Industrie".

Frühjahr 2023: Die Journalistinnen und Journalisten führen Hintergrundgespräche und Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern von Wasserwirtschaft, Politik, Landwirtschaft, Weinbau, Fischerei, Industrie, Sportvereinen und Feuerwehr. Parallel dazu wertet das Recherche-Team die Daten aus und stellt fest, dass die Datenlücken zu den tatsächlich entnommenen Wassermengen groß sind.

9. Mai 2023: Der bayerische Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) lehnt ein Interview zu den Ergebnissen der Recherche und der Wasserentnahme in Unterfranken ab. Fragen beantwortet er schriftlich über die Pressestelle seines Ministeriums.

17. Mai 2023: Main-Post und Bayerischer Rundfunk veröffentlichen die Ergebnisse der Recherche auf ihren Webseiten, in der Zeitung, in Radio und Fernsehen.

In Unterfranken durfte im Jahr 2022 insgesamt 36,5 Millionen Kubikmeter Grundwasser entnommen werden. Bei mehr als der Hälfte der 1400 Entnahmerechte wussten die Kreisverwaltungsbehörden nicht, wie viel Wasser 2021 tatsächlich abgepumpt wurde. Ob sich Industrie, Landwirte und Winzer, Kommunen und Vereine an ihre erlaubten Wassermengen gehalten haben, weiß zu diesem Zeitpunkt offenbar niemand. Die Gründe: Personalmangel in den Ämtern, fehlende Digitalisierung, alte Wasserrechte, eine uneinheitliche Datenerfassung sowie Firmen, Landwirte, Winzer und Kommunen, die ihren Meldepflichten bei den Wasserentnahmen nicht nachkommen.

In den Tagen und Wochen darauf berichten die beiden Medien über weitere Hintergründe zu den Wasserentnahmen und deren Folgen in der Region.

24. Mai 2023: Die unterfränkischen Grünen-Abgeordneten Patrick Friedl und Paul Knoblach bringen im bayerischen Landtag mehrere Anträge ein. Sie fordern unter anderem, dass der Standort Würzburg des Wasserwirtschaftsamts mindestens zu einer vollbesetzten Außenstelle des Wasserwirtschaftsamts Aschaffenburg aufgewertet wird.

25. Mai 2023: Volkmar Halbleib bringt im bayerischen Landtag eine Schriftliche Anfrage ein. Der SPD-Politiker aus Ochsenfurt (Lkr. Würzburg) kritisiert die "dramatischen Informationslücken bei den zuständigen Behörden" und will wissen, was die Behörden bei fehlenden Daten unternehmen.

28. Juni 2023: Politikerinnen und Politiker der Freien Wähler und CSU, darunter auch der damalige Abgeordnete Gerhard Eck aus Donnersdorf (Lkr. Schweinfurt), beantragt einen schriftlichen Bericht der bayerischen Staatsregierung zu den Wasserentnahmen in Unterfranken. In dem Antrag heißt es: "Der Bayerische Rundfunk sowie die Main–Post haben ab dem 17.05.2023 in verschiedenen Berichten die teilweise Unkenntnis der Behörden bei der Entnahme von Wasser in der Region Unterfranken unterstellt." Mit dem Berichtsantrag solle eine "umfassende Datenbasis" geschaffen werden.

4. Juli 2023: Der Landtag lehnt den Antrag der SPD zum Umgang mit Wasserressourcen in Unterfranken ab.

13. Juli 2023: Die Wortwahl im Antrag von CSU und Freien Wählern sorgt für einen Disput im Umweltausschuss des Landtags, vor allem die Formulierung, Main-Post und BR hätten den Behörden Unkenntnis "unterstellt" – also eine Behauptung ohne Belege aufgestellt - sorgt für Unmut. Der oberfränkische SPD-Abgeordnete Klaus Adelt fordert eine andere Wortwahl. Dies gebiete schon der Respekt "gegenüber denjenigen, die hier monatelang recherchiert haben". Der damalige CSU-Abgeordnete Eck findet es dagegen "unerträglich, den Behörden hier sowas anzuhängen."

18. Juli 2023: Der Landtag lehnt die Anträge der Grünen zur Stärkung der Wasserwirtschaftsämter ab. Zustimmung findet der Antrag von CSU und Freien Wählern zu dem geplanten Bericht über die Wasserentnahmen in Unterfranken.

19. September 2023: Das Recherche-Team unternimmt einen erneuten Vorstoß, um an die Namen der größten Wasserentnehmer in Unterfranken zu gelangen. Dabei sollen Inhaber von Wasserrechten im Fokus stehen, die jährlich 100.000 Kubikmeter Wasser und mehr entnehmen dürfen. In einer ausführlichen Begründung legen sie dar, warum die Namen für weitere Recherchen unerlässlich sind. In den Wochen darauf teilen alle Behörden die angefragten Informationen mit.

Weil viele Rückfragen notwendig sind und Widersprüche in den Daten ausgeräumt werden müssen, werden mehrere Monate vergehen, bis der Datensatz vollständig vorliegt.

22. September 2023: Der bayerische Landtag veröffentlicht die Antworten auf die Schriftliche Anfrage von Volkmar Halbleib. Das Umweltministerium räumt Defizite bei der Datenlage ein: "Ein detaillierter Datenabgleich und eine intensivere Recherche wären nur mit unverhältnismäßigem Zeit- und Personalaufwand zu bewerkstelligen. Grund hierfür ist insbesondere, dass die für die Beantwortung der Anfrage erforderlichen Daten nicht durchgehend digital und in einheitlicher Form abrufbar sind, sondern teilweise in den jeweiligen Behördenarchiven herausgesucht werden müssen."

4. Oktober 2023: Umweltminister Thorsten Glauber (FW) legt dem Landtag einen Bericht zum Bedarf der Wasserwirtschaft vor. Dahin steht: "Die Herausforderungen im Umgang mit den Folgen des Klimawandels im Bereich Wasser sind enorm und der Bedarf an Ressourcen in der Wasserwirtschaftsverwaltung entsprechend groß". Der Minister fordert mehr Geld und Personal.

2. Februar 2024: Das Umweltministerium räumt in dem von CSU und Freien Wählern beantragten Bericht an den Landtag ein: Wasserwirtschaftsämter und Kreisverwaltungsbehörden haben ganz unterschiedliche Daten. Diese Abweichungen aufzulösen sei bei den etwa 2000 privatnützigen Entnahmerechten in Unterfranken mit einem "immensen, unverhältnismäßigen Aufwand" verbunden. Gleichzeitig verspricht das Ministerium darin, die Datenlage in ganz Bayern verbessern zu wollen. Veröffentlicht wird der Bericht nicht.

Frühjahr 2024: Journalistinnen und Journalisten von BR und Main-Post führen die Daten über die Wasserentnahmen in Unterfranken in einem Datensatz zusammen. Ihre Quellen sind die Auskünfte von Wasserwirtschaftsämtern, Landratsämtern und Rathäusern sowie dem unveröffentlichten Bericht des Umweltministeriums.

Erst durch die Nennung der Namen der Entnehmer seitens der Behörden gelingt es dem Recherche-Team herauszufinden, welche Branchen und Firmen in Unterfranken am meisten Wasser aus der Natur entnehmen dürfen. Zur Einordnung der Ergebnisse führten die Journalisten zahlreiche Gespräche mit Experten der Wasserwirtschaft und bitten alle 60 Großentnehmer in einem Fragebogen zu ihrer Wassernutzung um eine Stellungnahme.

25. April 2024: Die Grünen bringen im Landtag einen Dringlichkeitsantrag ein. Darin fordern sie die Staatsregierung auf, "schnellstmöglich eine zentrale digitale Erfassung für die gesamten aus dem Grundwasser entnommenen Wassermengen aufzubauen". Der Antrag findet keine Mehrheit. 

16. Mai 2024: Erstmals zeigen gemeinsame Berichte des Bayerischen Rundfunks (BR) und der Main-Post der Öffentlichkeit in Unterfranken, welche Wirtschaftszweige in Unterfranken die größten Entnahmerechte besitzen und welche Firmen dahinterstehen.

27. Juni 2024: Die Stiftung "Freiheit der Presse" zeichnet die Berichterstattung der Main-Post mit dem dritten Platz des "Wächterpreis der Tagespresse" aus.

19. Juli 2024: Die gemeinsame Recherche wird in der Kategorie Lokal mit dem "Deutschen Preis für Klimajournalismus" ausgezeichnet, den die Vereine "Netzwerk Recherche" und "Netzwerk Klimajournalismus Deutschland" vergeben.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
Schweinfurt
Kitzingen
Haßfurt
Karlstadt
Aschaffenburg
Bad Kissingen
Bad Neustadt
Angelika Kleinhenz
Jonas Keck
Bayerischer Landtag
Bayerischer Rundfunk
CSU Würzburg
Feuerwehr Schwanfeld
Freie Wähler
Gerhard Eck
Klaus Adelt
Main-Post Würzburg
Patrick Friedl
Paul Knoblach
SPD Würzburg
Stadtverwaltung Aschaffenburg
Thorsten Glauber
Umweltminister
Verwaltungsgericht Würzburg
Volkmar Halbleib
Wasserentnahme in Unterfranken
Wasserressourcen
Wasserwirtschaftsämter
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • Armin Genser
    Die Ehrenamtlichen von "Wasser am Limit" beachten den Ball ins Rollen. Die JournalistInnen der Main Post und BR erkannten die Prisanz des Themas und zeigten mit ihrer akribischen Recherche die Zusammenhänge und die chaotische Datenlage bei den Behörden auf.

    Welche Folgen hatte die Recherche?

    Herr Friedl, Knoblach und Halbleib stellen Anträge und Anfragen. Die CSU zweifelt die Ergebnisse der Recherche an und lehnt die gestellten Anträge zum Thema ab.
    Herr Glauber kündigt Verbesserungen an.

    Man gewinnt nicht den Eindruck, dass bei der Staatsregierung in München der Ernst der Situation erkannt wird und die notwendigen Maßnahmen umgesetzt werden.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Johannes Metzger
    Das Beispiel zeigt, wie wichtig unabhängiger Journalismus ist. Eigentlich sollte ja auch das gesamte bayr. Parlament die Landesregierung kontrollieren. Das allerdings funktioniert nicht mit einem schwarzbraunen Sumpf, der sich wie eine zähe, klebrige Masse über die bayr. Volksvertretung legt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Hans Müller
    Dieser Kommentar wurde unter einem suspekten Namen abgegeben. Hierbei scheint es sich nicht um den tatsächlichen Namen zu handeln. Bitte lassen Sie von unserem Kundenservice (Mail: kundenservice@mainpost.de Telefon: 0931/6001 6001) den korrekten Vor- und Nachnamen im Nutzerprofil hinterlegen und geben den Kommentar bei Bedarf erneut ab.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Hans Müller
    Dieser Kommentar wurde unter einem suspekten Namen abgegeben. Hierbei scheint es sich nicht um den tatsächlichen Namen zu handeln. Bitte lassen Sie von unserem Kundenservice (Mail: kundenservice@mainpost.de Telefon: 0931/6001 6001) den korrekten Vor- und Nachnamen im Nutzerprofil hinterlegen und geben den Kommentar bei Bedarf erneut ab.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Ralf Eberhardt
    Das Thema Wasserentnahme - hier ausgelöst durch eine Einzel"tat" in der Bergtheimer Mulde - ist ein Paradebeispiel für die Situation in ganz Deutschland. Die Politik vermittelt - trotz handfester Rechercheergebnisse der Presse - den Eindruck, dass alles in Ordnung ist oder im Zweifelsfall, dass für die Feststellung der Ordnung die Menschen fehlen oder das Geld. Das schafft kein Vertrauen bei den Menschen. Und genau dieses fehlende Vertrauen ist der Ausgangspunkt für veränderte Meinungen, Einstellungen und letztlich auch für die Wählerveränderungen. In Bayern kann das Wasserthema - noch nicht - die Proportionen im Landtag verändern. In Deutschland haben andere Themen die Verhältnisse insgesamt bereits massgeblich verändert. Die einseitige Erklärung, hier sei Ideologie schuld ist mir zu einfach. Da steckt ganz erheblich genau dieses Thema Vertrauensverlust drin.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Klingt nicht so als würden wir das Wasserproblem in absehbarer Zeit in den Griff bekommen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Peter Koch
    Warum auch?
    Wenn die Wählerschaft weiterhin die Bayrische Regierung im Amt bestätigt wird sich, nicht nur beim Wasser, nichts verbessern.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Roman Weigl
    Seit Anbeginn verfolge ich Ihre Recherche. Vielen Dank für Ihre Arbeit; ein Beispiel unabhängigen Journalismus! Wenn man bedenkt, was in diesem Land alles zu dokumentieren und zu melden ist und man sich fragt, zu welchen Reaktionen all diese Meldungen wohl führen - außer Arbeitsbeschaffung für die Statistischen Landesämter - dann fragt man sich auch, wieso bei manchen Dingen offensichtlich nichts passiert (Parallele zu Corona). Vielleicht nicht gewollt, weil Behörden und Politik zum Reagieren gezwungen wären? Wobei zu beachten ist, dass “Behörden” und “Politik” keine Personen sind, aber Entscheidungen von Personen getroffen und umgesetzt werden. Oder geht es um: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Oder: Was nicht diskutiert wird, findet nicht statt.
    Und dann gibt es ja noch dieses vermeintliche Auskunftsverweigerungsgesetz namens Datenschutz. Wichtig, dass es ihn gibt, keine Frage, aber er steht nicht über unserem Informationsrecht und der Auskunftspflicht der Behörden.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten