
Ein Bericht des bayerischen Umweltministeriums für die rund 200 Abgeordneten des Landtags enthält mehrere falsche Angaben zu den Wasserentnahmen in Unterfranken. Die Informationen sind unvollständig und teilweise veraltet, wie die gemeinsame Recherche des Bayerischen Rundfunks und der Main-Post jetzt zeigen.
Nachdem die beiden Redaktionen im Sommer 2023 offengelegt hatten, dass niemand den Überblick darüber hat, wie viel Wasser in Unterfranken tatsächlich aus der Natur gepumpt wird, zweifelten CSU und Freie Wähler die Recherche-Ergebnisse an. Die beiden Regierungsparteien forderten das Umweltministerium dazu auf, einen Bericht über die Wasserentnahmen in Unterfranken zu verfassen.
Sieben Seiten aus dem Umweltministerium an die Landtagsabgeordneten
Im Februar 2024 wurde ein siebenseitiger Bericht an die Abgeordneten des Landtags verschickt. Das Ministerium sehe in der Aufarbeitung der Wissenslücken zu den Wasserentnahmen in Bayerns trockenster Region "keinen fachlich-inhaltlichen Nutzen", heißt es darin. Gleichzeitig verspricht das Ministerium, die Datenlage in Bayern verbessern zu wollen.
Veröffentlicht wurde dieser Bericht vom Ministerium bisher nicht, er liegt dieser Redaktion jedoch vor. Das Dokument enthält eine Tabelle, in der die Großentnehmer von Wasser in Unterfranken aufgeführt sind: Aufgelistet sind die Namen von rund 70 Firmen, die pro Jahr mindestens 100.000 Kubikmeter Grundwasser oder Wasser aus Flüssen oder Seen in Unterfranken abpumpen dürfen, inklusive ihrer genehmigten und tatsächlich entnommenen Wassermengen in den Jahren 2020 und 2021.
Doch die Liste ist mangelhaft – wie folgende drei Beispiele zeigen:
1. Doppelte Daten: Firma nach Umbenennung vor über 20 Jahren zweimal gelistet
Vor über 20 Jahren wurde der Mutterkonzern der ehemaligen Glanzstoffwerke in Obernburg im Landkreis Miltenberg umbenannt: Aus der Firma Acordis wurde 2003 das Industrie Center Obernburg, bis heute werden dort Chemiegarne produziert. Parallel wurde die Betreibergesellschaft Mainsite GmbH & Co.KG gegründet, die sich am Standort um Technik und Verwaltung kümmert und heute die Entnahmerechte aus dem Grundwasser, dem Main und der Elsava hält.

In der Tabelle des Umweltministeriums tauchen immer noch beide Namen auf: Acordis und Mainsite. Dem Bericht zufolge dürfen beide bis zu 10 Millionen Kubikmeter Wasser aus dem Flüsschen Elsava entnehmen. Tatsächlich ist aber nur eine Entnahme genehmigt, wie das Wasserwirtschaftsamt Aschaffenburg auf Nachfrage bestätigt. Unterfrankens größter Entnehmer von Oberflächenwasser abseits des Mains wird also im Ministeriumsbericht doppelt gezählt.
2. Zu geringe Menge: Würzburger Heizkraftwerk entpuppt sich als größter Mainwasser-Entnehmer
Der Tabelle des Ministeriums zufolge darf das Heizkraftwerk der Würzburger Versorgungs- und Verkehrs-GmbH (WVV) bis zu 182.500 Kubikmeter Kühlwasser aus dem Main pumpen. Das erschien dem Rechercheteam unplausibel wenig. Auf Nachfrage teilt das zuständige Wasserwirtschaftsamt Aschaffenburg mit, dass das Kraftwerk zwei Wasserrechte besitzt.

Im Ministeriumsbericht fehlt das weitaus größere Entnahmerecht: Demnach darf das Heizkraftwerk der WVV weitere 126 Millionen Kubikmeter Mainwasser pro Jahr verwenden – also fast 700 Mal mehr als im Bericht an die Abgeordneten angegeben. Tatsächlich entnommen und wärmer wieder in den Main zurückgeleitet hat das Kraftwerk laut eigenen Angaben bei den Behörden knapp über 50 Millionen Kubikmeter Mainwasser im Jahr 2023. Das Heizkraftwerk pumpt damit in Unterfranken mehr Wasser aus dem Main als jeder andere Großentnehmer.
3. Fehlender Bewässerungsverband: Größter landwirtschaftlicher Entnehmer nicht berücksichtigt
Der Wasserbeschaffungsverband Albertshofen im Landkreis Kitzingen benötigt Grundwasser für seine Gartenbaubetriebe. Jährlich darf der Zusammenschluss von Landwirten und Gärtnern derzeit bis zu 1,5 Millionen Kubikmeter Wasser aus dem Boden pumpen. Doch im Bericht des Ministeriums ist dieser Verband nicht erwähnt.

Auf Nachfrage teilt das zuständige Wasserwirtschaftsamt Aschaffenburg mit, dass bei der Abfrage in einer Datenbank ein Fehler passiert sei. Deshalb sei der Eintrag nicht in die Tabelle für den Bericht des Umweltministeriums übernommen worden. Weder dem Wasserwirtschaftsamt noch dem zuständigen Landratsamt Kitzingen noch der Regierung von Unterfranken war offenbar aufgefallen, dass der größte landwirtschaftliche Entnehmer nicht nach München gemeldet worden war.
Wie das bayerische Umweltministerium und das Wasserwirtschaftsamt die Fehler erklären
Die Daten der unterfränkischen Behörden hat das Umweltministerium zusammengetragen und dem Landtag übermittelt. Kreisverwaltungsbehörden und Wasserwirtschaftsämter hätten "unterschiedliche Funktionen inne", betont das Ministerium. "Diese Unterschiede und möglicherweise daraus resultierende Abweichungen in den Ergebnissen sind bei einer Auswertung der vorhandenen Daten zu berücksichtigen", sagt ein Sprecher auf Anfrage zu den Fehlern im Bericht.
"Keine Wasserentnahme läuft bei uns unterm Radar!", sagt Klaus Maslowski, Fachbereichsleiter für technische Gewässeraufsicht am Wasserwirtschaftsamt Aschaffenburg. Auch er betont: Die "Diskrepanzen" in dem Bericht seien durch die unterschiedliche Datenerfassung der Wasserwirtschaftsämter und der Landratsämter zu erklären. "Bisher gab es verschiedene Datenbanken für Wasserentnahmen, die unterschiedlich gut gepflegt waren", sagt Maslowski. Das werde sich jetzt ändern. "Wir lernen aus unseren Fehlern."
Vor kurzem sei für alle Wasserwirtschaftsämter in Bayern eine einheitliche Datenbank eingeführt worden. Erstmals könne man alle Daten der Wasserrechte einheitlich erfassen und miteinander verknüpfen: die Brunnen, die geologischen Schichten, die Entnahmemengen, die Laufzeiten. "Bis der Datenbestand komplett ist, wird es jetzt natürlich einige Zeit dauern", erklärt der Fachbereitsleiter.
Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber teilt auf Anfrage mit: "Bestehende Herausforderungen wie etwa das Thema Wasserdaten gehen wir konsequent an." Man setze dabei vor allem auch auf die Möglichkeiten der Digitalisierung.
Eine Handvoll Journalisten schafft ohne Zugang zu den relevanten Datentöpfen, was ein Ministerium und offensichtlich mehrere Wasserwirtschaftsämter nicht geschafft haben: Klarheit in die Verhältnisse der Wasserentnahmen zu bringen.
Einfach eine Schande, was sich unsere Behörden hier leisten. Als nächstes fordert man wahrscheinlich noch mehr „Planstellen“, um das Chaos aufzuarbeiten.
Jedes Unternehmen, welches so arbeiten würde, wäre längst pleite. Dabei wäre die Technik für eine zentralisierte Datenbank seit mindestens 30 Jahren verfügbar. Aber hier geht es ja um Zuständigkeiten und Reviergehabe von Pöstcheninhabern, die sich gegenseitig blockieren.
Ich schätze, das ist nur die Spitze des Eisbergs. In jeder anderen Angelegenheit, bei jeder anderen Behörde würde bei genauerem Hinsehen ähnliches zu Tage kommen. Es stellt bloß niemand die richtigen Fragen, so wie hier zufällig geschehen.
Kühlwasserentnahme und Rückleitung (aus/in ein Fließgewässer abzüglich Verdunstungsmenge) ist ein wenig etwas anderes als Entnahme von (Tiefen-)Grundwasser mit Verdunstung bzw. oberirdischem Abgang ohne Möglichkeit der Rückkehr in den Grundwasserstock. Bitte hier nochmal nachgucken & -fassen, liebe MP & BR!
Der wirklich große, skandalöse Sachverhalt ist der fassungslos "saloppe" Umgang mit Grundwasser zur Bewässerung und anderen Zwecken. Diese "Schludrigkeit" ist unverzeihlich und abzustellen. Da braucht niemand in der Verwaltung irgendwie versuchen das schönzureden. Auch ein Ministerium nicht.
Und wer zur Prüfung von Sachverhalten weder hinreichend aktuelle noch in sich schlüssige Daten als Aufsichtsbehörde hat macht seinen Job nicht ordentlich - oder wurde bisher daran gehindert. Auch das ist bzw. war ein unentschuldbarer Zustand.
Da zweifeln CSU und Freie Wähler die Rechercheergebnisse von Main Post und dem Bayerischen Rundfunk an und fordern dazu einen Bericht vom Umweltministerium. Wohl in der Hoffnung, dass sich die chaotische Datenlage irgendwie "erklären" liese. Aber es kommt noch schlimmer.
Und das Ministerium ist um eine entlarvende Ausrede nicht verlegen: "...man sieht in der Aufarbeitung der Wissenslücken keinen fachlich-inhaltlichen Nutzen". Aha!
So schätzt man also die alarmierende Wassersituation ein.
Man kann dem Rechercheteam der Main Post nicht genug für ihre akribische Arbeit danken.
Die Auszeichnung mit dem "Wächterpreis der Tagespresse" bestätigt die sehr gute journalistische Arbeit.
Gratulation!
Ein Skandal ist es jedenfalls, was uns da an Schlamperei aus der bayr. Staats-Regierung geliefert wird.
Das heißt wohl im Klartext: Aktuell läuft alles es noch mit Zettelwirtschaft oder es wird gar nichts erfasst. Schöner kann man die traurige Wahrheit bzw. das Versagen der Behörden nicht verschwurbeln.
Damit betreibt die WVV vermutlich den größten Durchlauferhitzer Bayerns. Dabei gibt es schon eine Reihe von Möglichkeiten, diese Energieverschwendung zu verringern. Zum Beispiel die Abwärme mittels einer Großwärmepumpe wieder auf ein nutzbares Niveau zu bringen anstatt damit den Main aufzuheizen? Wäre mal ein sinnvolles Thema für die Grünen im Stadtrat.
https://www.wvv.de/waermewende/
Ich denke nicht, daß andere Parteien getrost weiterhin planlos bis schädlich agieren können, weil ja die Grünen sich konsequent um die tatsächlichen Probleme im Land kümmern.
Allein schon die Aussage , das man die Daten unterschiedlich erfaßt , zeugt von einer
sehr mangelhaften Bereitschaft eine ordentliche digitale Datenbank zu installieren .
Und das liebe Wasserwirtschaftsamt :) : Außer von Ausreden und bürokratischen
Handeln hört man nichts positives von dieser Fachinstitution !
Das glaube ich gerne, weil das Wasserwirtschaftsamt gar keinen Radar hat.
Es ist erschreckend, wie unbekümmert die staatlichen Stellen mit dieser lebenswichtigen Ressource (Wasser) umgehen.