Er sei jemand, der die Dinge angeht, sagte Franz Jung ein Jahr nach seinem Amtsantritt in einem Gespräch mit dieser Redaktion. In den mittlerweile vier Jahren seines Pontifikats musste der Bischof von Würzburg einiges angehen, aber auch erkennen, bewältigen, aushalten: etwa die Themen Missbrauch, Strukturreform, Sanierung der Finanzen. Und viele persönliche Angriffe. Eine Standortbestimmung in - wie der Bischof sagt - "Zeiten des Umbruchs".
Bischof Dr. Franz Jung: Das Amt ist an sich die Überforderung. Es sind so viele unterschiedliche Ansprüche, die an das Amt und damit auch meine Person gestellt werden. Dazu muss ich nur in die vielen E-Mails und Briefe schauen, die mich tagtäglich erreichen. Die einen halten mir vor, dass ich vom Glauben abgefallen sei. Den anderen gehen Reformen nicht schnell genug. Oder es heißt: Der Bischof macht alles kaputt, was vorher war. Es sind leider auch öfters Hassbotschaften darunter, auch Morddrohungen.
Jung: Meine Erfahrungen als Generalvikar waren eine gute Schule. Danach kann einen so schnell nichts aus der Bahn werfen. Und ich will mich nicht beklagen: Jeder, der heute ein öffentliches Amt bekleidet, erlebt dieselben verbalen Angriffe. Die Aggressionen haben massiv zugenommen – meinem Eindruck nach vor allem während der Corona-Pandemie.
Jung: Dieses Thema habe ich von Anfang an zur Chefsache gemacht. Mein erstes Anliegen war, den Kontakt zu den Betroffenen herzustellen, sie zu Einzel- und Gruppengesprächen einzuladen. Das war auf beiden Seiten mit großer Unsicherheit verbunden. Mein erster Lernprozess war: Vertrauen aufzubauen ist anstrengend und höchst fordernd. Dann wurde mir klar: Es gibt nicht die Betroffenen. Jeder und jede Betroffene hat seine oder ihre eigene Fallgeschichte, Verletzungen und Erwartungen an die Institution Kirche. Kleinste atmosphärische Störungen, die man nie vorhersehen kann, führen immer wieder zu Konflikten. Übrigens gab es nicht nur im Bistum Würzburg Anlaufschwierigkeiten bei der Bildung des Betroffenenbeirats.
Jung: Jede Woche verbringe ich gefühlt einen Tag mit der Thematik. Der Umgang mit Betroffenen bleibt ein unabgeschlossener Lernprozess. Ebenso begleitet mich die dauernde Reflexion: Was ist meine Rolle? Wo und wann muss ich mich abgrenzen? Ich bin nicht der Freund der Betroffenen, nicht der Therapeut, nicht die Begleitperson. Ich bin der Vertreter der Institution Kirche, innerhalb derer die Verletzungen geschehen sind. Und ich verstehe mich als jemand, der mit Betroffenen gemeinsam einen Weg gehen will.
Jung: Wir haben als Kirchenleitung sehr wohl die Betroffenheit des Pfarrers und der Gemeinde verstanden. Aber die Aktion hilft ja den Gemeindemitgliedern nicht weiter, die gerne einen Gottesdienst haben möchten. Disziplinarisch eingegriffen haben wir nicht. Mit Vertretern der Kirchengemeinde werde ich bald ein Gespräch führen, um gemeinsam mit ihnen zu reflektieren, was sie erlebt haben und was ich erlebe.
Jung: Die größte Herausforderung ist meines Erachtens die Gottesfrage, die für viele Menschen immer mehr an Relevanz verliert, und das schwindende Vertrauen in die Institution Kirche, das die Kirche mit anderen Organisationen teilt. Aber der Missbrauchsskandal hat diesen Vertrauensverlust massiv beschleunigt. Meine Rolle sehe ich im Missbrauchsskandal vor allem darin, die Betroffenen nicht alleine zu lassen. Ich versuche mit ihnen, eine Perspektive zu erarbeiten.
Jung: Natürlich ist das sehr belastend, im Übrigen für beide Seiten. Man kann nach einem Gespräch oder einer Sitzung nicht einfach zum nächsten Termin übergehen. Allerdings haben wir ein gutes Team, in dem wir die aktuellen Probleme miteinander besprechen. Das hilft mir sehr. Ich schreibe mir vieles auf, denke dann nochmal drüber nach. Was heißt das? Was passiert gerade? Was ist der Bedarf? Die Scham der Betroffenen, die Beschämung durch den Missbrauch, dieses sich innerlich beschmutzt fühlen, das geht mir sehr nahe.
Jung: Ich glaube, sie wird geläutert werden und daran reifen.
Jung: Von Gläubigen höre ich öfters einmal: "Ihr habt das verbockt, jetzt bringt das endlich in Ordnung, macht einen Schlussstrich, dann wird alles wieder gut und wir machen so weiter wie bisher." Darauf antworte ich: Nein, das wird nicht so sein. Wir können keinen Haken unter das Thema Missbrauch machen. Es ist für die Betroffenen nie zu Ende und deshalb ist es auch für uns nie zu Ende. Ich glaube aber, dass von dieser Krise ein starker Impuls zur Reform ausgeht und die Kirche reformierbar ist. Jede Reform bringt mit sich, dass alte Gewissheiten zerbrechen, Dinge sich verändern und etwas Neues entsteht.
Jung: Wir befinden uns als Kirche in Deutschland in einem großen Umbruchsprozess, der auch vor den volkskirchlichen Strukturen in unserem ländlichen Bistum nicht Halt macht. Drei Dinge sind mir deshalb sehr wichtig: Neu beten zu lernen, Stichwort Kontemplation. An die Ränder gehen, um sprachfähig zu werden. Und die Verbindung von Caritas und Pastoral. Wenn wir weniger werden und wenn wir den Glauben verkünden wollen, dann müssen wir dort präsent sein, wo die Menschen unsere Hilfe suchen und ihren Unterstützungsbedarf anmelden.
Jung: Die Kategorisierung ist notwendig. Aber da die Immobilien im Besitz der Kirchenstiftungen sind, können wir über sie nicht verfügen. Wir können nur von Bistumsseite aus sagen, welche Zuschüsse wir zukünftig für die Instandhaltung aufbringen können. Da die Mittel begrenzt sind, brauchen wir die Kategorisierung jetzt. Natürlich ist uns allen klar, wie sehr dieses Thema mit Emotionen verbunden ist. Wir werden neue Modelle der Kooperation entwickeln müssen, wie sie beispielsweise auf der Ebene von Kirchengemeinden mit ihren Ortsgemeinden schon bestehen.
Jung: Bei meinem Besuch im Pastoralen Raum Schwarzach waren drei Bürgermeister da, ebenso zwei evangelische Kolleginnen, um mit dem Team aus Würzburg zu diskutieren. Das hohe Interesse zeigt mir, was auch die Bürgermeister bestätigen: Wir haben momentan alle die gleichen Probleme. Uns gehen das Geld aus und die Ehrenamtlichen. Wir müssen uns überlegen, wie wir uns ergänzen und Kirchengebäude oder Pfarrheime gemeinsam nutzen können.
Jung: Die Frage nach der Personaldecke ist in der Tat eine wichtige. Wir werden in den nächsten fünf bis zehn Jahren einen großen Generationenwechsel in allen pastoralen Berufsgruppen haben, mit dem ein Rückgang der Aktiven einhergeht. Das Interesse am Theologie-Studium hat leider spürbar nachgelassen. Die Nachfrage nach der Ausbildung zu Pastoral- und Gemeindereferentinnen und -referenten ist auch rückläufig. Deswegen haben wir uns in den Pastoralen Räumen für die Leitung "in soldium" entschieden, für die Leitung im Team. Damit werden die seelsorglichen Aufgaben wie Kommunionvorbereitung, Altenseelsorge, Firmenvorbereitung oder Trauerpastoral auf mehrere Schultern verteilt.
Jung: Wir haben uns in der dritten Synodalversammlung in einem sehr differenzierten Text mit dieser Frage auseinandergesetzt. Zuerst wird hier die große Wertschätzung für die zölibatäre Lebensform betont. Darüber hinaus werden mehrere Prüfungsempfehlungen formuliert: die Möglichkeit zur Dispens vom Zölibat wieder vermehrt in Betracht zu ziehen, oder nach dem Beispiel katholischer Ostkirchen den Zölibat freizustellen und oder aber über die Möglichkeit von "Viri Probati" nachzudenken. Das Ganze trägt Empfehlungscharakter, weil wir darüber nicht zu entscheiden haben. Sollte aber eines Tages der Pflichtzölibat fallen, glaube ich nicht, dass es deshalb einen großen Ansturm auf das Priesterseminar gäbe.
Jung: Nach einer Laisierung halte ich es nicht für gut, wieder in den geistlichen Stand zurückzukehren. Sollte jedoch die Möglichkeit eröffnet werden, vor der Weihe wählen zu können zwischen der zölibatären Lebensform und der Eheschließung, wie es für die Priester in den katholischen Ostkirchen der Fall ist, spräche nichts gegen verheiratete Priester. Momentan aber gilt meine größte Sorge meinen aktiven Priestern.
Jung: Ein Ergebnis der MHG-Studie von 2018 war, dass viele Missbrauchsfälle im 14. Jahr nach der Priesterweihe passieren, also in der Phase der Midlife-Crisis. Ausgehend von dieser Analyse bieten wir jetzt für diese Lebensphase unseren Priestern eine gestaltete Auszeit an mit drei Elementen: einen Kurs zur persönlichen Standortbestimmung, etwas längere Exerzitien und eine frei wählbare Fortbildung. Ziel ist, den eigenen Berufungsweg zu reflektieren und mit neuer Entschiedenheit seinen Dienst tun zu können.
Jung: Bei der dritten Synodalversammlung haben wir in erster Lesung dafür gestimmt, einen nationalen wie weltkirchlichen Prozess zu initiieren, der zum Ziel hat, das sakramentale Weiheamt für Frauen zu öffnen. In einem eigenen Handlungstext wurde beschlossen, als Kirche in Deutschland eine Ausnahmegenehmigung in Rom erwirken zu wollen, wonach auch Frauen zu Diakoninnen geweiht werden können - ermutigt übrigens durch die beiden Kommissionen, die Papst Franziskus eigens zur Prüfung dieser Frage eingerichtet hat. Ich nehme wahr, dass wir diesbezüglich einen relativ breiten Konsens innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz haben beziehungsweise in den Bischofskonferenzen der deutschsprachigen Länder.
Jung: Ja. Entscheidend wird sein, welche Themen die nationalen Bischofskonferenzen jetzt in die Beratungen der Weltbischofssynode des Papstes zur Synodalität eingeben. Hier wird sich zeigen, ob sich diese Frage auch in anderen Teilen der Weltkirche stellt und damit eine Chance hat, auf die Tagesordnung gesetzt zu werden.
Bischof Dr. Franz Jung
geboren und ist Ludwigshafen aufgewachsen. 1992 wurde Franz Jung in Rom zum Priester geweiht, ab 2001 war er Kaplan in der Dompfarrei Speyer und zugleich Sekretär von Bischof Anton Schlembach. 2003 wurde der studierte Philosoph und Theologe zum Leiter der Abteilung Gemeindeseelsorge des Bischöflichen Ordinariats Speyer ernannt, ab 2007 war er zudem Leiter des Referats "Klösterliche Verbände". Im November 2008 wurde Jung in das Speyerer Domkapitel aufgenommen und im Januar 2009 von Bischof Karl-Heinz Wiesemann zum Generalvikar
berufen. Am 10. Juni 2018 wurde Franz Jung als Nachfolger von Bischof Friedhelm Hofmann im Würzburger Kiliansdom zum Bischof geweiht und ins Amt eingeführt.
Die Fragen bzw. Antworten darauf nach Zölibat, Frauenordination, etc. hätten evtl. vor 60 Jahren noch etwas bewirkt. Jetzt sind das doch rein innerkirchliche Fragen, die kaum mehr gesellschaftliche Relevanz haben.
Wo bleiben denn die Antworten auf die "moderne" Zeit?
Wie kann Glaube und naturwissenschaftliche Erkenntnis in Einklang gebracht werden?
Ewiges Leben?
Wo war die Kirche während Corona?
Das sind Fragen, die ich zumindest habe. Und ich habe darauf keine Antwort von "der " (meiner) Kirche bekommen...
...und gute Nacht, Schlammert sunft
Pontifikat ist die Amtszeit eines Papstes (!)
Pontifikat bedeutet Amt, Amtsdauer des Papstes oder eines Bischofs. Das Wort „pontificatus“ kommt aus dem Lateinischen: Amt und Würde eines Oberpriesters (Quelle: Duden).
Das Pontifikalamt ist ein von einem Bischof gehaltenes Hochamt.
An diesem Sonntag wollte Franz Jung das Pontifikalamt anlässlich des Jahrestages seiner Bischofsweihe im Kiliansdom feiern. Aufgrund seiner Corona-Infektion übernimmt Generalvikar Jürgen Vorndran die Leitung der Pontifikalmesse.
Freundlicher Gruß aus der Redaktion
Christine Jeske
Kategorisierung von Gebäuden - wenn das so umgesetzt wird, wie es am grünen Tisch geplant wurde, wird es einen massiven Anstieg an Austritten gerade in den kleinen dörflichen Gemeinden geben, für deren Gotteshäuser plötzlich kein Geld mehr da ist - so nach dem Motto: Braucht uns die Kirche nicht mehr - brauchen wir die Kirche auch nicht mehr!
- Zölibat: Viri probati/Entscheidung vor der Weihe - das geht doch am Problem vorbei, dass es Priester gibt, die mit Überzeugung und gerne bei der Weihe das Zölibatsversprechen abgelegt haben und dann nach Jahren merken: NEIN, ich kann das so nicht mehr leben, bin aber trotzdem gerne und mit Herzblut Priester - für die hätte die Kirche auch weiterhin nur nen Fußtritt zum Rauswurf übrig! Das Leben und der Mensch ändert sich nunmal im Laufe der Jahre (gilt übrigens genauso für Ehepaare).
Da ist jemand, der ist fertig mit dem Studium, möchte Priester werden, aber eben nicht zölibatär. Jetzt hat er das Problem: Die richtige Frau zum Heiraten habe ich noch nicht (wenn er nach dem Abi direkt studiert, ist er mit 25 fertig!) - dann heißt es:
Also, wenn Sie gleich geweiht werden wollen, geht das nur mit Zölibat - oder wir setzen die Weihe jetzt mal zwei Jahre aus, in der Zeit suchen Sie sich ne Frau und heiraten, dann kommen Sie wieder. Finden Sie keine Frau, wird's dann halt auch nix mit der Weihe.
Sorry - aber das ist doch einfach alberner Unsinn und geht am Leben der Menschen wieder mal meilenweit vorbei!
Aber immerhin gibt er sich jetzt zukunftsgerichtet. Der Wind dreht sich langsam, aber er dreht sich.
Wenn die Kirchen nicht wieder zu ihren Wurzeln zurückkehren, dem Wort Gottes (sola scriptura), haben die Kirchen keine Chance einen "kraftvollen Platz" in unserer Gesellschaft einzunehmen.
L.G. Martin Dobat