Sonntagmorgen in Schweinheim, südlich von Aschaffenburg, in einem ganz besonderen Raum. Er ist hell und hoch und weit. Offen. Die Stühle sind in der Kirche Maria Geburt im Oval angeordnet. In der Mitte steht ein Tisch. Auf ihm brennt eine Kerze. Vier hohe Säulen stützen das neugotische Spitzbogen-Gewölbe. Doch an diesem Sonntag erwartet die Besucherinnen und Besucher dort keine Eucharistiefeier. Genauso wie an den folgenden beiden Sonntagen.
Die Gemeinde will ein Zeichen setzen: für Betroffene von sexualisierter Gewalt. Sie tut es. Eindrucksvoll. Ergreifend. Leise, und dafür umso lauter und eindringlicher. Anlass ist die Veröffentlichung des vom Erzbistum München und Freising in Auftrag gegebenen Missbrauchsgutachtens am 20. Januar.
Bereits im Vorfeld wurde diese Zusammenkunft in der Kirche Maria Geburt in der Öffentlichkeit diskutiert. Vor allem zustimmend. Aber auch einschränkend. Jürgen Vorndran, Generalvikar des Bistums Würzburg, sagte vorab, dass das Bistum die Solidaritätsaktion zwar in vollem Maße unterstütze, es aber nicht richtig sei, dafür keine Sonntagsmesse zu halten. Er bat, die Aktion zu überdenken.
Zusammenkunft in ungewohnter Weise
Doch Pfarrer Markus Krauth und seine Gemeinde ließen sich nicht von ihrer Idee abbringen. Eine Betroffene, die sich bei der anschließenden Diskussionsrunde zu Wort meldet, bestätigt den Entschluss: Wenn Kirche eine Überlebenschance habe, dann sei sie heute hier geboren worden. Für ihn sei dies sehr berührend gewesen, sagt Pfarrer Krauth am Ende im kurzen Gespräch mit dieser Redaktion.
Doch zurück zum Anfang. "Wie kommt es, dass wir alle uns in dieser so ungewohnten Weise hier zusammengefunden haben?" Mit dieser Frage begrüßt Christine Brumhard, Vorsitzende des Gemeindegremiums, die Anwesenden. Noch immer werde Schuld abgestritten, Opfern nicht geglaubt "oder Missbrauchsfälle argumentativ so lange in kleine Scheibchen geschnitten, bis für das Gewissen des Täters nichts Belastbares mehr übrigbleibt". Der Satz hallt nach. Ebenso der nächste: "Unerträglich war uns das."
Frau schildert den Missbrauch eines Mannes und ihre Beschämung
Unerträglich war auch das, was der "große, kräftige Mann" als Kind erleben musste. Er hat es einer Frau bei einer Begegnung vor etwa drei, vier Jahren anvertraut. Diese Frau tritt nun in Aschaffenburg ans Mikrofon und berichtet: Der Mann habe als kleiner Junge eine schöne Stimme gehabt. Er sei ins Internat der Regensburger Domspatzen aufgenommen worden. "Doch dann, so erzählte er mir, wurde er von Geistlichen missbraucht." Regelmäßig hätten sie ihn und andere Jungen abgeholt - auch nachts.
Der kleine Junge sei verhaltensauffällig geworden und habe die Domspatzen verlassen müssen. "Sein Traum war geplatzt." Während er seine Erlebnisse geschildert habe, hätte der Mann angefangen zu weinen, sagt die Frau. Sie sei beschämt gewesen und habe nicht gewusst, wie sie auf die Schilderungen von Missbrauch, von der erlittenen Gewalt reagieren solle. Der Mann habe sich gewünscht, dass sie ihm einfach nur zuhört und Gehör verschafft. Das tut die Frau an diesem Sonntag.
Eine Stunde lang Wortbeiträge und Stille im Wechsel
Eine Stunde lang wechseln sich die Gemeindemitglieder ab. Nach jedem Wortbeitrag ist es still in der Kirche - so still, dass das Mobiltelefon, das einem Mann in einer Pause aus der Hosentasche fällt, aufschreckt wie ein Donnerschlag. Es ist die einzige Störung. Viele Augen sind geschlossen, Köpfe nach unten geneigt. Das Gehörte wirkt nach. Wird aufgefangen und vertieft durch die Meditation von Gemeindemitglied Eva Wolf. Als ihr Gong drei Mal ertönt, schlagen in diesem Moment im Kirchturm auch die Glocken von Maria Geburt drei Mal - wie ein Echo.
Vorgetragen wird unter anderem auch das Statement der Münchner Juristin Marion Westpfahl zu Beginn der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens. Die Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl hat die Fälle sexuellen Missbrauchs im Zeitraum von 1945 bis 2019 im Erzbistum München und Freising untersucht. Westpfahl erinnerte an ihre erste Beichte zur Vorbereitung ihrer ersten heiligen Kommunion, an die Gewissenserforschung: Gegen welche Gebote wurde verstoßen, welche Sünden wurden begangen? Reue sei die Voraussetzung für Vergebung, so Westpfahl, und dies "muss die Messlatte sein für das Verhalten der Institution Kirche insgesamt und insbesondere auch ihrer führenden Repräsentanten".
Pfarrer Krauth sind angesichts der Äußerungen die Tränen gekommen
Es fehlt an diesem Sonntag auch nicht der Auszug aus dem schon mehrfach zitierten Statement von Joseph Ratzinger, dem emeritierten Papst Benedikt XVI., zum Münchner Gutachten, in dem er den Missbrauch bagatellisiert.
"Mir sind die Tränen gekommen, wie vielen anderen auch, wegen der verschiedenen Äußerungen", sagt Pfarrer Krauth im Anschluss. Obwohl es kein Gottesdienst im klassischen Sinne war, sei es für ihn ein sehr dichter Gottesdienst gewesen. Ohne das Wort Gottes und Sakrament.
Kirchenvorstandsmitglied Albert Loy: "Es brodelt an der Basis"
Bernhard Rasche, Vorstandsmitglied der "Betroffeneninitiative Süddeutschland" ist eigens aus Neumarkt (Oberpfalz) angereist. "Ich hätte nicht gedacht, dass alles so reduziert ist, das macht was mit einem", so Rasche. "Wenn Gottesdienst endlich der Ort ist, an dem Menschen auch erlittene Gewalt thematisieren können, dann ist Kirche relevant für die Menschen."
Für Albert Loy vom Kirchenvorstand ist wichtig, "dass sich hier eine Kirchengemeinde, also die Kirche von unten, zu Wort meldet". Die Kirchenoberen müssten erkennen: "Da brodelt es an der Basis, und wir sind nicht mehr bereit, das mitzutragen."
Brumhard sagt: "Wir wollen das Vertuschen und Hinhalten durchbrechen. Angesichts der Verbrechen wollen wir unser gewohntes Tun unterbrechen. Innehalten. Auf die Betroffenen hören. Ihnen unsere Solidarität vermitteln." Die Gemeinde Maria Geburt tut dies auch an den beiden folgenden Sonntagen.
Dann wird auch wieder ein Mann aus Goldbach dabei sein, der zwar nicht seinen Namen sagen will. Er verrät jedoch, dass er bereits seit zehn Jahren lieber sieben Kilometer ins südlich gelegene Schweinheim fährt, weil er sich dort in der Gemeinde aufgehoben fühlt.
Gespendet wurde an diesem Sonntag auch: für den Betroffenenbeirat im Bistum Würzburg. Es kamen über 1000 Euro zusammen.
Ich lese jeden Tag die Zeitung recht intensiv. Nicht nur die MP. Trotzdem, Hintergrundwissen bekomme ich vorwiegend von: Das Politikteil von Zeit online, Lage der Nation, von Philip Banse und Co, Streitkräfte und Strategien von NDR Info. Das wär doch ne riesen Chance die MP über die Grenzen UFRs hinaus bekannt zu machen.
Ich jedenfalls genieße die Länge solcher Formate, die es erlauben, in die Tiefe zu gehen. Gerade für Zeitungen sind Podcasts doch eine gute Ergänzung zu den sonst üblichen Nachrichten-Formaten. und last noch least, wenn man an den steilen Südhängen des Maintales arbeiten muss, ist das eine willkommene Erleichterung, bei den doch manchmal recht stupiden Arbeiten.
Wenn ich bei einem beschuldigten Würzburger Schwimmtrainer lese:
"Obwohl ess viele Vorwürfe gab, habe er jahrelang weiterarbeiten dürfen.
...Vor Jahren gab es einen Täter - Opferausgleich....
...nicht glaubhaft bewiesen.....
... verjährt.....
Strafbefehl , 6 Monate Bewährung.
Und damit ist alles gesühnt, verziehen und vergessen.
Ich finde die Leserschaft der MP hat einen Anspruch auf eine übersichtliche Darstellung und Einordnung dieses Themas. Und wer könnte das besser als Sie gemeinsam mit Kolleg*innen aus wirtschaftlich verbundenen Zeitungs-Verlagen.
Der Bischof entscheidet hier gar nichts!
Übrigens: Wenn sie schon den synodalen Weg benennen, dann gehen sie doch einfach auf die entsprechende www.-Adresse, warum tun sie das eigentlich nicht??
Übrigens hab ich auch auf die homepage des synodalen Weg verzeifelt nach einem Hinweis gesucht, warum man sich dort mit der Geschwindigkeit einer lahmen Schnecke bewegt.
vielen Dank für Ihre Anregung!
Über diese Themen hat die Main-Post schon viel berichtet - und wird es auch künftig tun.
Anbei sende ich Ihnen Links zu drei Beispielen:
https://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/reizthema-kirchenfinanzen-wer-zahlt-wie-viel-und-warum-art-10306056
sowie:
https://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/wuerzburgs-neuer-bischof-legt-treueid-ab-art-9975456
und:
https://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/sexualdelikte-warum-ein-wuerzburger-jurist-gegen-verjaehrung-ist-art-10418023
Freundlicher Gruß
Christine Jeske