Der Einsturz einer Autobahnbrücke, ein Todesfall in den eigenen vier Wänden und der Fall eines Orthopäden, der seine Mitarbeiterinnen und Patientinnen heimlich gefilmt haben soll. Auch in diesem Jahr hatte die Schweinfurter Justiz einige große Fälle zu verhandeln. Wir haben einen kleinen Rückblick zusammengestellt.
1. Prozess um die eingestürzte Talbrücke Schraudenbach mit einer Wendung
Es war einer der spektakulärsten Prozesse des Jahres und einer mit der überraschendsten Wendung: der Prozess um die Verantwortung für den Einsturz der Talbrücke Schraudenbach auf der Autobahn 7 Mitte Juni 2016. Anfang Mai verurteilte die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Schweinfurt einen 59 Jahre alten Prüfingenieur zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, und einen 49-Jährigen zu einer Strafe von neun Monaten, jeweils auf Bewährung. Ein ebenfalls mit angeklagter 65 Jahre alter Prüfingenieur, der dem 59-Jährigen einen Mitarbeiter "ausgeliehen" hatte, wurde freigesprochen.
Das Gericht sprach die Angeklagten der fahrlässigen Tötung in einem Fall und der fahrlässigen Körperverletzung in 14 Fällen schuldig, weil es der Argumentation des Gutachters folgte, der Planungsfehler und mangelnde Kontrolle für den Einsturz des Traggerüstes während der Betonage der neuen Autobahnbrücke am 15. Juni 2016 verantwortlich machte. Dabei starb ein kroatischer Bauarbeiter, 14 weitere Menschen wurden schwer verletzt. Der Wiener Gutachter war zuvor mehrere Tage lang von den Anwälten der Angeklagten befragt und attackiert worden, seine Glaubwürdigkeit für das Gericht erschütterte das aber nicht.
Begonnen hatte der Prozess schon am 13. März. Dass das Urteil erst im Mai fiel, lag auch daran, dass das Verfahren gegen den verantwortlichen Statiker abgetrennt werden musste, nachdem dessen Verteidigerin Anfang April krankheitsbedingt nicht weiter verhandeln konnte. Sein Prozess wird neu aufgerollt, wann ist allerdings völlig unklar: Die beiden verurteilten Angeklagten haben Revision eingelegt, nun muss der Bundesgerichtshof entscheiden.
2. Totes Baby im Ankerzentrum: War es Mord oder Totschlag?
Im Frühjahr 2023 verurteilte das Landgericht Schweinfurt eine vermutlich 28-Jährige wegen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe, weil sie im August 2022 im Ankerzentrum in Geldersheim ihre drei Monate alte Tochter gewaltsam umgebracht haben soll. Damit lag das Gericht über der Forderung von Staatsanwaltschaft und Verteidigung, die jeweils auf Totschlag plädiert hatten. Der Grund: Die Kammer sah das Mordmerkmal der Heimtücke als erfüllt an.
Die Verteidigung der Frau legte Revision gegen das Urteil ein – mit Erfolg. Der Fall landete vor dem Bundesgerichtshof (BGH). Was das Tatgeschehen angeht, widersprach dieser zwar nicht, der Einstufung als Mord hingegen schon – und verwies den Fall zurück an das Landgericht. Im November wurde er neu verhandelt.
Die 4. Große Strafkammer folgte dem BGH und verurteilte die Frau wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Das Mordmerkmal Heimtücke sei nicht erfüllt, erklärte das Gericht die Entscheidung. Der Vater des Säuglings sei zum Tatzeitpunkt zu weit entfernt gewesen, als dass er als sogenannter "schutzbereiter Dritter" fungieren und die Tat hätte verhindern können, wie die 1. Große Strafkammer im Frühjahr gesehen hatte.
3. Ein Orthopäde vor Gericht: Heimliche Bildaufnahmen und nicht notwendige Behandlungen
Er soll immer nach einem ähnlichen Muster gehandelt haben: ein vorgetäuschter Anruf, ein Blick aufs Handy. Dann startete er die Kamera, um ein Foto oder Video der Frau zu machen, die unwissend vor ihm auf der Behandlungsliege saß oder lag. Über Monate hinweg immer wieder, bis zum Mai 2020, während Corona, als eine Frau in der Spiegelung der Schutzbrille des Orthopäden die Kamera-App erkannte. Sie ging zur Polizei.
Im Frühjahr musste sich der Arzt vor dem Schweinfurter Landgericht verantworten, weil er von seinen Patientinnen heimlich Bild- und Videoaufnahmen angefertigt haben soll. Und nicht nur das: Auch seine Mitarbeiterinnen soll er heimlich auf der Toilette gefilmt und sexuelle Handlungen an seinen Patientinnen vorgenommen haben. Der schwerste Vorwurf – eine Vergewaltigung – konnte nicht bewiesen werden.
Das Urteil: Zwei Jahre auf Bewährung wegen der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs in neun Fällen und des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in zwei Fällen. Die Staatsanwaltschaft ging in Revision. Ob der Arzt die Approbation verliert, muss die Regierung von Unterfranken entscheiden.
4. Hat ein Rentner seine Ehefrau im Landkreis Schweinfurt ermordet?
Es war der späte Abend des 16. Dezember 2021, als ein Vater seinen Sohn, der im Nachbarhaus wohnt, anrief und ihm sagte, er habe dessen Mutter umgebracht. Als die Einsatzkräfte kurze Zeit später in dem Haus ankamen, konnten sie nichts mehr für die Frau tun. Dass er sie umgebracht hat, stritt der schwerkranke Rentner, der von einem Pfleger vor Gericht begleitet werden musste, nicht ab, nur an das "wie" konnte er sich nicht erinnern.
In dem Prozess vor dem Landgericht im Mai 2023 schilderte der 71-Jährige, dass seine Frau und er sich wegen eines neuen Mannes gestritten hatten, dass bei ihm "der Schalter umgelegt" war. An die Tat könne er sich nicht erinnern, beteuerte er. Der psychiatrische Gutachter konnte zumindest nicht ausschließen, dass der Angeklagte eine Erinnerungslücke hat, auch wenn diese nicht wirklich erklärbar sei.
Was an dem Dezemberabend genau passierte, blieb ungewiss. Und so reichte es für eine Verurteilung wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten, auch wenn der Mann ursprünglich wegen Mordes angeklagt war. Was aber klar ist, betonte die Vorsitzende Richterin: "Jede längere Haftstrafe bedeutet für ihn lebenslang."
5. Hat ein Mann versucht, seine Mutter durch Brandstiftung zu töten?
Nur ihr Sohn und sie waren an den Tagen der Brände im April 2023 in dem Haus im Landkreis Schweinfurt. Die 84-Jährige sagte vor Gericht: "Einer muss es ja gewesen sein, und ich war's nicht." Warum ihr Sohn das Haus angezündet haben könnte? Die Frau hatte keine Antwort parat, könne sich aber vorstellen, dass es um das Erbe des verstorbenen Vaters gegangen sein könnte.
Der Prozess gegen den Sohn, der sich unter anderem wegen versuchten Mordes und schwerer Brandstiftung vor dem Landgericht verantworten musste, begann im Oktober 2023. Die Staatsanwaltschaft warf dem Mann vor, am 17. und 18. April jeweils einen Brand im Wohnhaus der Mutter gelegt zu haben. Und: schon vorher das Festnetztelefon abgestöpselt und den Akku ihres Handys entfernt zu haben, damit sie keine Hilfe rufen könne.
Dass er das Feuer gelegt hatte, sah das Gericht als unstrittig. Über das Motiv des Mannes konnte das Gericht nur mutmaßen. Wegen schwerer Brandstiftung und des unerlaubten Führens einer Schusswaffe verurteilte die 1. Große Strafkammer den 55-Jährigen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten. Die Begründung für die Entscheidung gegen eine Tötungsabsicht? Die Gefahr für die sei Mutter relativ gering gewesen. Während es im zweiten Stock brannte, hätte sie im Erdgeschoss ebenerdige Fluchtmöglichkeiten gehabt. Und: Auch wenn er vor Gericht nichts sagte, habe der Angeklagte gegenüber eines Polizisten erklärt: "Ich wollte die Mutter doch nicht töten."
6. Wollte die Autofahrerin Selbstmord begehen?
"Es tut mir leid und ich hoffe auf eine neue Chance." Die 52 Jahre alte Beschuldigte war sichtlich bewegt und weinte bei ihren letzten Worten vor der 1. Großen Strafkammer am Landgericht. Der Vorwurf gegen sie: Sie soll Ende Januar 2023 betrunken und unter dem Einfluss von Drogen einen schweren Autounfall in der Nähe von Maibach auf der B 286 bewusst herbeigeführt haben, um sich das Leben zu nehmen. Bei dem Unfall wurden vier Personen in einem Kleinbus verletzt. Die Unfallverursacherin erlitt selbst schwere Verletzungen und musste von der Feuerwehr aus ihrem Kleinwagen befreit werden.
Das Verfahren war ein Sicherungsverfahren wegen versuchten Mordes nach Paragraf 413 der Strafprozessordnung, kein Strafverfahren. Und als alle das Urteil erwarteten, gab es eine überraschende Wende: Das Gericht setzte den Prozess aus. Die Begründung: "Das Gutachten hat uns hinten und vorne nicht überzeugt", betonte die Vorsitzende Richterin Claudia Guba Anfang Dezember. Die Kammer hatte überlegt, ob es eine juristisch richtige Entscheidung auf Grundlage des Gutachtens hätte geben können, doch das sei nicht möglich gewesen. Der Sachverständige habe sich etwa nicht hinlänglich positionieren können, ob die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit der Frau eingeschränkt gewesen sei. Im Urteil wäre es darum gegangen, ob sie in eine Entziehungsanstalt muss oder Bewährung bekommen hätte.