
Was genau in der Garage in Euerbach (Lkr. Schweinfurt) passiert ist? Der Rechtsmediziner Ulrich Preiß kann vor Gericht nur mutmaßen: Er geht von einem Schlag auf den Kopf der Frau, die später tot sein wird, aus, im Stehen, mit einem kantigen Gegenstand. Danach sei sie vermutlich zu Boden gegangen, möglicherweise bewusstlos geworden. Anschließend habe der Täter sie gewürgt. Die komprimierende Gewalt gegen den Hals ist die Todesursache. Zumindest das ist klar.
Was fehlt: der Gegenstand, mit dem zugeschlagen wurde. Und eine konkrete Rekonstruktion dessen, was am späten Abend des 16. Dezember 2021 im Streit zwischen zwei Eheleuten passiert ist.
Es ist eine Tat, die niemand beobachtet hat, für die es keine direkten Zeugen gibt. Der Einzige, der es wissen kann: der Angeklagte selbst, ein gebrechlicher Mann, gesundheitlich stark angeschlagen. Doch der sagt, er könne sich an den Tathergang nicht erinnern.
Er habe seine Frau getötet, ja. Aber die Erinnerung des 71-Jährigen setze erst in dem Moment wieder ein, in dem er über seiner Frau gekniet habe und sie schon tot gewesen sei. Angeklagt hat ihn die Staatsanwaltschaft vor dem Landgericht Schweinfurt wegen Mordes.
Oberstaatsanwalt appelliert an Angeklagten 71-Jährigen und dessen Gewissen
Also bleiben die Mutmaßungen, und die machen Oberstaatsanwalt Reinhold Emmert wütend. "Sie wissen es ganz genau", sagt er laut und deutlich zu dem Angeklagten. "Natürlich können Sie sich erinnern." Emmert appelliert an den 71-Jährigen und an dessen Gewissen. Auch Nebenklage-Vertreter Jürgen Scholl, der die beiden Söhne des Ehepaares vor Gericht vertritt, schließt sich dem an.
Der Angeklagte murmelt etwas, man versteht es nicht. Seine Verteidigerin Kerstin Rieger sagt: "Man wird den Gutachter fragen, ob er sich erinnern kann oder nicht."
Bernd Münzenmayer, der psychiatrische Gutachter, kann zumindest nicht ausschließend, dass der Angeklagte eine Erinnerungslücke habe, auch wenn diese nicht wirklich erklärbar sei. Im Affekt sei das Gehirn überfordert, das Erlebte abzuspeichern. Er halte eine "komplette Amnesie" allerdings für unwahrscheinlich.
Ob der Angeklagte die Erinnerungslücke auch nur vorgeben könnte, um sich vor den Söhnen die Schuld nicht einzugestehen, fragt Nebenklage-Vertreter Scholl. "Das wäre ein Motiv für eine Schutzbehauptung", sagt Münzenmayer.
Angeklagter war verletzt, weil seine Ehefrau einen neuen Freund hatte - Grund für eine Affekttat?
Dass es sich um eine Affekttat gehandelt haben könnte, hält der Gutachter für möglich. Die Frau hatte dem Angeklagten im August 2021, also wenige Monate vor der Tat, erzählt, sie habe einen neuen Freund. Am Tatabend, so hatte es der Angeklagte selbst am ersten Prozesstag geschildert, habe er seiner Frau noch gesagt, dass es ihn immer verletze, wenn sie zu dem anderen Mann gehe. Seine Frau habe geantwortet, dass sie ihn noch viel mehr verletzen würde.
"Eine falsche Bemerkung kann ausreichen", sagt Gutachter Münzenmayer, um einen Moment zu kreieren, in dem der Angeklagte "seinem Hass, seiner Wut freien Lauf gelassen" habe.
Eine krankhafte Persönlichkeitsstörung könne er zwar ausschließen, eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung jedoch nicht, führt der Gutachter fort. Sollte dem so sein, könnte der 71-Jährige auch in seiner Steuerungsfähigkeit gemindert gewesen sein. Hinweise auf eine Schuldunfähigkeit lägen allerdings nicht vor.
"Er ist ein Narzisst gewesen, sehr auf sich bedacht, wenig emotional. Diese Dynamik war in der Beziehung sicher auch vorhanden", sagt der Psychiater. Doch diese Dynamik habe sich geändert, als der Angeklagte krank wurde, auf Hilfe angewiesen war. Er sei von seiner Frau abhängig geworden, vielleicht sogar unterlegen, habe irgendwann einen Nebenbuhler gehabt.
Zeugen: Die Frau fühlte sich dem Ehemann gegenüber verpflichtet
Der neue Freund der Frau hatte zuvor ebenfalls vor Gericht aussagen müssen. Die Beiden lernten sich etwa ein Jahr zuvor kennen, die Ehe der Getöteten sei häufig Gesprächsthema gewesen. "Sie war sehr unzufrieden", erzählt der Mann, der in dem Moment schräg vor dem Ehemann der Frau sitzt. Doch sie habe sich ihrem kranken Mann gegenüber verpflichtet gefühlt.
"Ich hatte das Gefühl, sie kann nicht mit ihm, aber auch nicht ohne ihn", sagt der Freund. Dass sie zusammenziehen, sei allerdings kein Thema gewesen. Ihr Ehemann hätte sie ohnehin nicht gehen lassen, soll die Ehefrau mal gesagt haben. Das berichten zwei Bekannte der Frau vor Gericht: "Bevor er das zulassen würde, bringt er sie um."
Angeklagter hat seiner Familie Briefe geschrieben: "Ich habe sie geliebt."
Dem Angeklagten und den Angehörigen fällt es sichtbar schwer, dem Prozess zu folgen. Sie schauen weg, als Bilder des Tatorts und der Obduktion gezeigt werden.
Der 71-Jährige hat auch Briefe an seine Familie geschrieben, unterzeichnet mit Opa, mit Bruder. Er schreibt, dass es ihm leidtue, was er ihnen angetan habe, er wisse nicht, warum er so ausgerastet sei; er benutzt auch den Ausdruck "Schwachsinnstat". Und er schreibt: "Du kannst es mir glauben: Ich habe sie geliebt." Als die Richterin das vorliest, legt der 71-Jährige den Kopf auf den Tisch und weint.