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Schweinfurt
Gewaltsamer Tod eines Babys im Ankerzentrum: Mutter wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt
Eine Frau soll mit einem Messer ihre Tochter getötet haben. Staatsanwaltschaft und Verteidigung plädierten auf Totschlag. Warum das Gericht härter urteilte.
Das Landgericht Schweinfurt hat eine 28-Jährige wegen Mordes an ihrem drei Monate alten Baby zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Foto: Anand Anders | Das Landgericht Schweinfurt hat eine 28-Jährige wegen Mordes an ihrem drei Monate alten Baby zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Lisa Marie Waschbusch
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:19 Uhr

Was am Ende blieb, war die Frage nach dem Warum. War es Hoffnungslosigkeit? Perspektivlosigkeit? Überforderung? Vielleicht, sagte die Vorsitzende Richterin, habe sich die Frau auch an ihrem Mann rächen wollen, der sie stets geschlagen, misshandelt und im Stich gelassen haben soll. Oder sie habe sich durch die Tötung des Kindes eines weiteren Problems entledigen wollen. "All das sind Mutmaßungen", erklärt die Richterin schließlich. "Wir können alle nicht wissen, warum die Angeklagte diese Tat begangen hat."

Diese Tat, damit meinte sie den gewaltsamen Tod eines drei Monate alten Babys im August 2022 in der Ankereinrichtung in Geldersheim (Lkr. Schweinfurt). Die vermutlich 28-Jährige räumte gleich zu Beginn des Prozesses ein, ihre Tochter mit acht Messerstichen – im Bauch- und Halsbereich– tödlich verletzt zu haben. Sie zeigte sich verzweifelt vor Gericht, fing immer wieder an zu weinen.

Staatsanwaltschaft forderte Freiheitsstrafe von neun Jahren

"Wir glauben der Angeklagten auch, dass die Lebenssituation sehr belastend war", sagte die Richterin, doch das rechtfertige die Tat nicht. Ihr Geständnis und die Äußerungen vor Gericht seien geprägt gewesen von Schuldzuweisungen der Familie gegenüber, den Behörden und auch dem Ehemann.

Das Landgericht Schweinfurt urteilte und verhängte die Höchststrafe: lebenslänglich für den Mord an der Tochter.  "Wir sind mit dem Urteil deutlich über dem, was Staatsanwaltschaft und Verteidigung gefordert haben", sagte die Richterin gleich nach der Verkündung. Denn das Urteil kam überraschend: Staatsanwaltschaft und Verteidigung hatten jeweils auf eine Verurteilung wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun beziehungsweise acht Jahren plädiert. 

Anders als Staatsanwaltschaft und Verteidigung sah das Gericht das Mordmerkmal der Heimtücke, wie es auch in der Anklageschrift stand, erfüllt. Dazu muss der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers bewusst zur Tötung ausnutzen. Bei Kleinkindern ist das anders, da sie noch nicht zu Argwohn oder Gegenwehr fähig sind.

Somit ist zu prüfen, ob die Arg- und Wehrlosigkeit eines sogenannten schutzbereiten Dritten, in diesem Fall des Vaters, ausgenutzt wurde. Ein solcher Dritter ist laut Gesetzestext eine Person, "die den Schutz eines Besinnungslosen vor Leib- und Lebensgefahr dauernd oder vorübergehend übernommen hat und diesen im Augenblick der Tat entweder tatsächlich ausübt oder es deshalb nicht tut, weil sie dem Täter vertraut".

Vorsitzende Richterin: Vater hat der Frau vertraut, dass sie dem Kind nichts antut

Der Vater des Babys, sagte die Vorsitzende, habe der jungen Frau vertraut, als er das gemeinsame Zimmer verließ. Er selbst gab vor Gericht an, er habe "niemals gedacht, dass sie dem Kind etwas antut".

Die Voraussetzung dafür, dass von einem Ausnutzen des Vertrauens gesprochen werden kann, ist jedoch, "dass die Person den Schutz wirksam erbringen kann, wofür eine gewisse räumliche Nähe (...) erforderlich ist", heißt es im Gesetz weiter. Der Vater, erklärte die Vorsitzende, habe sich weniger als 400 Meter entfernt auf dem Gelände aufgehalten. "Der Vater hätte nicht den ersten Stich verhindern können. Aber er hätte möglicherweise weitere Angriffe abwehren können." Dies erfülle das Mordmerkmal der Heimtücke. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung waren hier anderer Meinung.

Psychiatrischer Gutachter attestierte der Frau volle Schuldfähigkeit

Wie genau sich der 6. August 2022 gestaltet habe, wisse man nicht, sagte die Vorsitzende. "Wir haben jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, dass es zu massiven Streitigkeiten mit Mann oder anderen Personen gekommen ist." Der Ehemann habe ihr um etwa 20 Uhr Einkäufe zum Kochen gebracht und sei dann wieder gegangen, um sich mit seinen Kumpels zu treffen. Sie habe ihn angefleht zu bleiben, doch er sei gegangen. Daraufhin habe die Frau das Mädchen mit einem Messer getötet. 

Wenige Minuten später, schilderte die Vorsitzende den mutmaßlichen Tatablauf weiter, habe die Frau das Mädchen auf den Arm genommen und sei aus dem Zimmer gerannt, um nach Hilfe zu rufen. Das Baby sei notärztlich versorgt worden, aber dennoch später im Krankenhaus gestorben.

Zu Beginn des letzten Prozesstags hatte ein psychiatrischer Gutachter den Verdacht auf eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ bei der Frau geäußert. "Sie ist – wenn ihre Angaben stimmen – in ihrer Jugend massiv traumatisiert worden", sagte der Gutachter. Aber sie sei nicht psychisch krank. Für ihn war die Frau zur Tatzeit voll schuldfähig.

Vor dem Urteil sagte die junge Frau, sie habe ihre Tochter sehr geliebt. "Ich habe zu meinem Mann gesagt, dass ich ohne Liebe von Mutter und Vater aufgewachsen bin und wir bessere Eltern sein sollen", sagte sie.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

 
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