Den beiden Männern, 49 und 59 Jahre alt, drohe eine "existenzbedrohende, wenn nicht sogar existenzvernichtende zivilrechtliche Schadenshaftung". Die Worte der Vorsitzenden Richterin Claudia Guba in der Urteilsbegründung nahmen die Ingenieure regungslos auf, den Blick gesenkt.
Kurz zuvor war das passiert, was die Angeklagten im Prozess um den Einsturz der Talbrücke Schraudenbach seit nunmehr 14 Verhandlungstagen zu befürchten hatten: Die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Schweinfurt sprach sie schuldig der fahrlässigen Tötung sowie der fahrlässigen Körperverletzung in 14 Fällen.
Sie verurteilte den 59-Jährigen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, den 49-Jährigen zu einer Strafe von neun Monaten – beide Strafen auf Bewährung. Des Weiteren sollen sie die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Nebenklage tragen.
Eindrücklich hatte der 59-jährige Angeklagte, ein angesehener Prüfingenieur, nach dem Plädoyer seiner Verteidiger noch geschildert, wie sehr er unter den Folgen des Einsturzes eines Teils der Talbrücke Schraudenbach am 15. Juni 2016 zu leiden habe.
"Als das vor sieben Jahren passiert ist, habe ich einen Anruf bekommen, da wurden mir meine Beine weggezogen", sagte er, die Stimme zitternd. Er sei bis heute "erschüttert", besonders wegen der Folgen: Bei dem Unglück starb ein Bauarbeiter, 13 wurden teilweise schwer verletzt.
"Alle, die hier sitzen, sind Ingenieure, die ihre Tätigkeit verantwortungsvoll ausführen", sagte der Angeklagte. Sie alle sollten eigentlich für die Sicherheit sorgen, damit das, was passiert ist, eben nicht passiert.
Für den Einsturz der Brücke verantwortlich, weil man Pflichten nicht nachkam
Die Erschütterung und Betroffenheit nahm das Gericht dem 59-Jährigen und auch dem 49-Jährigen, der für ihn als Sachbearbeiter tätig gewesen sein soll, ab. "Auch die Angeklagten werden durch das Verfahren belastet", sagte Richterin Guba in der Urteilsbegründung. Dennoch seien die beiden Männer für den Einsturz des Traggerüstes mitverantwortlich, weil sie ihren Pflichten nicht nachgekommen seien.
Die Berechnungen des Statikers, dessen Verfahren abgetrennt wurde, seien "die Wurzel des Übels", erklärte die Vorsitzende. Und der 49-jährige angeklagte Sachbearbeiter habe fahrlässig gehandelt, als er dessen Berechnungen habe überprüfen sollen. Der Wiener Gutachter Johann Kollegger hatte während der Beweisaufnahme festgestellt, dass in den Berechnungen des Statikers globale Stabilitätsnachweise für einige Teile des Gerüstes fehlten.
Dessen Auffassung folgte das Gericht: Die Ursache für den Einsturz des Traggerüsts liege "in unzureichender Planung und fehlender Prüfung", sagte Richterin Guba. Die Fehler seien erkennbar gewesen, "man hätte das tragische Geschehen vorhersehen und vermeiden können".
Arbeit des Sachbearbeiters wurde von Prüfingenieur nicht ausreichend überwacht
Die Arbeit des Sachbearbeiters hätte von einem Prüfingenieur überwacht werden müssen, was in diesem Fall nicht geschehen sei. Angeklagt waren zwei Prüfingenieure: Der vom Freistaat Bayern beauftragte 59-Jährige und ein 65-Jähriger, dem dieser den Prüfauftrag übergeben haben soll. Ob diese Übertragung jemals tatsächlich stattgefunden hat, war Gegenstand unzähliger Anträge und Einlassungen der Verteidigungen, ganz nach dem Tenor: Der eine hat sich auf den anderen verlassen.
Die Kammer ging nicht davon aus, dass der 65-Jährige als Prüfingenieur unterbeauftragt gewesen sei. "Wir können lediglich feststellen, dass ein Sachbearbeiter ausgeliehen wurde", erklärte Guba. Der 65-Jährige habe nichts gemacht, "was inhaltlich in Zusammenhang mit dem Auftrag steht". Das Gericht hatte ihn deshalb freigesprochen.
Nicht aber seinen ehemaligen Studienkollegen: Der 59-Jährige habe lediglich seine Unterschrift unter den Prüfbericht gesetzt, befand das Gericht. Es habe keine Überwachung und auch kein Prüfgespräch mit dem zuständigen Sachbearbeiter stattgefunden. Bei einem solchen wäre zu erwarten gewesen, "dass neuralgische Stellen kritisch hinterfragt werden". Ein Prüfingenieur habe höhere Qualifikationen, er trage "besondere Verantwortung". Diese höhere Verantwortung schlägt sich auch im Urteil nieder.
Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer am Dienstag Haftstrafen von zwei Jahren auf Bewährung für die 59 und 65 Jahre alten Prüfingenieure gefordert. Und ein Jahr und vier Monate für den 49 Jahre alten Sachbearbeiter. Die Verteidigungen der drei Angeklagten plädierten jeweils auf einen Freispruch für ihren Mandanten.
Hubertus Krause, der Verteidiger des 49-Jährigen, kritisierte die Vorgehensweise des Gutachters Kollegger in seinem Plädoyer stark. Seine Berechnungen seien "nicht überzeugend", von einer Antwort auf die Frage, was genau der Grund für den Einsturz gewesen sei, sei man nach wie vor "meilenweit entfernt".
Gericht ist von der Arbeit des Gutachters überzeugt
Der Gutachter sah sich in diesem Verfahren massiver Kritik seitens der Verteidigungen ausgesetzt. Nicht nachvollziehbar für das Gericht: "Er hat sich drei Tage ununterbrochen allen Fragen gestellt", sagte die Richterin. "Uns hat der Sachverständige überzeugt." Zahlreiche Anträge, den Wiener Professor abzulehnen, waren vom Gericht abgelehnt, seine Kompetenz von den Verteidigungen infrage gestellt worden. Er sei in einer Form attackiert worden, "die ich so noch nicht erlebt habe", sagte Guba.
Peter Auffermann, Verteidiger des 59-Jährigen, sagte, die Staatsanwaltschaft habe den falschen Fokus gelegt. Wäre die Betonage gemäß den Vorschriften dauerhaft überwacht worden, wäre das Gerüst eventuell zwar eingestürzt, aber die Bauarbeiter rechtzeitig gewarnt worden. "Dann würden wir hier nicht sitzen, sondern hätten einen Zivilprozess und keiner wäre gestorben."
Die Richterin betonte in der Urteilsbegründung, dass es zwar Abweichungen bei den Ausführungen der Pläne gegeben habe. Diese sowie die fehlende Überwachung seien aber nicht relevant für den Einsturz gewesen.
Der Nebenklagevertreter Alois Kovac zeigte sich nach der Verhandlung mit dem Urteil zufrieden: "Es erfüllt unsere Erwartungen und Hoffnungen." Es sei viel Zeit vergangen, aber es gebe jetzt "ein Gefühl der Genugtuung, weil Recht gesprochen wurde". Er sagte: "Ich habe gleich während der Urteilsverkündung Mails an meine Mandanten verschickt und ihnen die guten Nachrichten geschrieben. Das Urteil eröffnet jetzt die Möglichkeit für Schadensersatzklagen und Schmerzensgeld."
Gegen das Urteil ist Revision möglich.