Auch wenn der alte Mann zugegeben hat, dass er seine Frau am späten Abend des 16. Dezembers 2021 getötet hat, bleibt vieles am Ende des Prozesses vor dem Landgericht Schweinfurt ungewiss, vage, Theorie. Der 71-jährige Angeklagte hat geschildert, dass sie sich wegen eines neuen Mannes gestritten hatten, bei ihm "der Schalter umgelegt" war. An die Tat könne er sich nicht erinnern.
Die Frau hatte ein Alkoholproblem, das Paar lebte getrennt, die Ehe war seit Jahren kompliziert, daran gibt es keine Zweifel. Es gab diesen neuen Mann, sie war glücklich mit ihm. Auch das sagten mehrere Zeugen vor Gericht. Und dann gab es an dem Abend einen Streit zwischen den Eheleuten, es eskalierte, am Ende war die Frau tot, erwürgt. Und alles dazwischen? "Wir wissen es nicht", sagt die Vorsitzende Richterin Claudia Guba. "Bei allen Bemühungen können wir nur Wahrscheinlichkeiten finden."
Es ging um die Frage: War es Mord oder Totschlag?
Und diese reichen am Ende des Verfahrens für eine Verurteilung wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten, auch wenn der Mann ursprünglich wegen Mordes angeklagt war. Juristisch sei es in dem Verfahren um die Frage gegangen, ob die Tat als Mord oder Totschlag zu werten sei. "Für den Angeklagten selbst ist es eine akademische Frage", sagt Richterin Guba, "denn jede längere Haftstrafe bedeutet für ihn lebenslang. Dass er den Rest seines Lebens in der JVA verbringen muss".
Der 71-Jährige ist schwer krank, das kann jeder im Saal sehen. Im Gericht sitzt er mit einem Pfleger, ist nur halbtags verhandlungsfähig, soll eine 24-Stunden-Intensivbetreuung brauchen. Aufgrund seiner gesundheitlichen Situation war der Haftbefehl gegen ihn außer Vollzug gesetzt worden.
Für Oberstaatsanwalt Reinhold Emmert war das, was sich an jenem Dezemberabend in der Garage in Euerbach abgespielt hatte, ein heimtückischer Mord. "Er war ihr körperlich unterlegen, konnte sie nur töten, in dem er sie wehrlos machte. Spätestens bei den Schlägen auf den Kopf hatte er den Entschluss gefasst, sie umzubringen", hatte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer erklärt. Mit einem solchen Angriff habe die Frau niemals rechnen müssen.
Staatsanwaltschaft forderte eine Strafe von zwölf Jahren
Die Staatsanwaltschaft hatte für den Mann eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren wegen Mordes gefordert. "Er hat seiner Frau nicht nur das Recht abgesprochen, anders zu leben, als er es wollte", sagte Emmert. "Er hat ihr das Lebensrecht insgesamt abgesprochen, weil sie sich nicht an die Vorgaben gehalten hat."
Die Eheleute, auch das hatten sowohl der Angeklagte selbst als auch seine beiden Söhne vor Gericht ausgesagt, hatten eine Abmachung: Die Frau durfte ihren neuen Freund zweimal die Woche sehen. An jenem Abend soll es aber noch um ein drittes Treffen gegangen sein, was den Ehemann verletzt haben soll, wie er zu Prozessbeginn erklärt hatte.
Die Kammer folgte mit dem Urteil weitestgehend dem Antrag von Kerstin Rieger, der Verteidigerin des 71-Jährigen. Sie hatte eine Freiheitsstrafe von acht Jahren wegen Totschlags gefordert. "Wir sind davon ausgegangen, dass nur ein Totschlag vorliegt", erklärt Richterin Guba. "Wir konnten das Mordmerkmal Heimtücke nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Es ist naheliegend, dass sie mit sowas nicht gerechnet hat, aber wir wissen es einfach nicht."
Richterin: Angeklagter war in psychischer Ausnahmesituation
Überhaupt wisse man nicht, wie sich der Streit und die Tötung genau abgespielt haben, führt die Richterin fort. Möglicherweise habe es schon einen ersten Übergriff im Zimmer der Frau gegeben. Es sei auch nicht unwahrscheinlich, dass er sie von hinten attackiert habe. Auch, ab wann der Angeklagte einen Tötungsvorsatz gehabt habe, wisse man nicht.
Höchstwahrscheinlich sei er in einer psychischen Ausnahmesituation gewesen und es habe sich um eine Affekttat gehandelt. Eine eingeschränkte Schuldunfähigkeit sei auch nicht auszuschließen. Das hatte auch der psychiatrische Gutachter vor Gericht ausgesagt. Dieser hatte den Mann als Narzissten und "wenig emotional" bezeichnet.
Der 71-Jährige hatte zu Prozessbeginn ausgesagt, sich nicht mehr an den Tathergang erinnern zu können. Er erinnere sich erst wieder, wie er auf seiner Frau gekniet habe, die Hände an ihrem Hals, und sie tot gewesen sei. Staatsanwaltschaft und Nebenklage nahmen ihm die Lücke nicht ab. "Auch die Kammer tut sich schwer, die Erinnerungslücke zu glauben", sagt Guba.
Die zwei Söhne waren als Nebenkläger im Verfahren
Für die beiden Söhne des Ehepaares sei es "eine der größten Belastungen" gewesen, "hier eine Aussage gegen den Vater machen zu müssen", hatte Nebenklage-Vertreter Jürgen Scholl als Sprecher für die Söhne, aber vor allem für die getötete Frau in seinem Plädoyer betont. Dabei gehe es nicht um Hass gegen den Angeklagten, sondern man wolle, dass "es endet und das Gericht eine gerechte Entscheidung trifft".
Durch seine Erinnerungslücke habe er seinen Söhnen die Möglichkeit genommen, das Geschehene zu verarbeiten. "Lassen Sie es nicht das Letzte sein, das ihre Söhne von Ihnen hören", hatte er zu dem Angeklagten gesagt. "Ich kann nichts Neues dazu sagen. Es tut mir alles so leid, das wollte ich alles nicht", hatte der 71-Jährigen später geantwortet.
Der Haftbefehl gegen den Mann ist weiterhin außer Vollzug gesetzt. Dieser sei "nicht in der Hand des Gerichts, sondern in der Hand der Staatsanwaltschaft", erklärt Richterin Guba. Oberstaatsanwalt Emmert hatte zuvor schon erklärt, dass er sich dafür einsetzen werde, dass diese Strafe vollstreckt wird. Es werde in Bayern irgendwo eine JVA geben, die einen Platz für den schwerkranken Angeklagten habe.