"Es tut mir leid und ich hoffe auf eine neue Chance." Die 52 Jahre alte Beschuldigte ist sichtlich bewegt und weint bei ihren letzten Worten vor der 1. Großen Strafkammer unter der Vorsitzenden Richterin Claudia Guba. Der Vorwurf gegen sie: Sie soll Ende Januar 2023 betrunken und unter dem Einfluss von Drogen einen schweren Autounfall in der Nähe von Maibach auf der B 286 bewusst herbeigeführt haben, um sich das Leben zu nehmen.
Bei dem Unfall wurden vier Personen in einem Kleinbus verletzt. Die Unfallverursacherin erlitt selbst ebenfalls schwere Verletzungen und musste von der Feuerwehr aus ihrem Kleinwagen befreit werden. Die Beschuldigte hatte einen Blutalkoholwert von 2,8 Promille und es wurden Spuren von Crystal Meth nachgewiesen.
Das Verfahren ist ein Sicherungsverfahren nach Paragraf 413 der Strafprozessordnung, kein Strafverfahren. Oberstaatsanwalt Reinhold Emmert warf der Beschuldigten in seinem Plädoyer zwar nicht mehr versuchten Mord in vier Fällen vor, dafür aber versuchten Totschlag in Tateinheit mit Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr.
Wie fällt das psychiatrische Gutachten über die Beschuldigte aus?
Im Mittelpunkt des zweiten Verhandlungstages stand das psychiatrische Gutachten. Und die Beurteilung, ob die Darstellung der Beschuldigten glaubhaft ist, dass sie sich auf keinen Fall das Leben habe nehmen wollen, auch wenn sie dies direkt nach dem Unfall zu verschiedenen Personen – unter anderem eine sie behandelnde Ärztin und einen Polizisten – im Krankenhaus gesagt haben soll.
Ob das Schwurgericht der Beschuldigten glaubt, entscheidet auch darüber, ob sie nach dem Sicherungsverfahren stationär in eine Entziehungsanstalt kommt oder sie Bewährung bekommt unter Auflagen wie einer stationären Therapie mit anschließender ambulanter Begleitung und regelmäßigen, unangemeldeten Screenings aufgrund ihrer Alkoholsucht.
Der Gutachter attestierte eine mindestens 15 Jahre währende Alkoholsucht, sah aber keine Anzeichen für eine schwere Depression und "auch keinen daraus folgenden Suizidversuch". Die Aussagen der Beschuldigten in der Klinik müsse man in den Kontext der Situation direkt nach dem Unfall, alkoholisiert, unter Schock und mit Schmerzmitteln behandelt, setzen. Er könne nicht ausschließen, dass die Beschuldigte in diesen Momenten tatsächlich ehrlich war, so der Gutachter bei intensiver Befragung durch Gericht und Oberstaatsanwalt. Dennoch halte er eine genaue Einschätzung der Situation aufgrund der Umstände für "schwierig zu beurteilen". Er halte eine Bewährung für möglich: Die Beschuldigte sei seit Monaten abstinent, sozial in ihrer Familie eingebunden und wolle in stationäre Therapie, die auch dringend notwendig sei.
Tragischer Fahrfehler oder bewusst herbei geführter Unfall?
Für Oberstaatsanwalt Reinhold Emmert kommt eine Bewährung nicht infrage. Er sei überzeugt, dass die Beschuldigte in einer "Kurzschlussreaktion" den Unfall bewusst herbeigeführt habe, um sich zu suizidieren. Ihre Aussagen im Krankenhaus seien "erlebnisbasiert und glaubwürdig" gewesen, so Emmert.
Verteidiger Norman F. Jacob sah den Sachverhalt völlig anders. Er geht davon aus, "dass es ein Fahrfehler war. Einfach nur ein schlimmer Unfall". Es habe nicht mal "ansatzweise einen Tötungsvorsatz gegeben", so Jacob. Sie sei stark alkoholisiert gewesen und schuldunfähig, das im Krankenhaus Gesagte in ihrem Zustand "auf die Goldwaage zu legen, ist nicht fair". Aus seiner Sicht sei Bewährung angebracht, das Gericht habe die Möglichkeit, verschiedene Weisungen zu erteilen wie die Pflicht zu einer stationären Therapie.
Das Urteil wird am 5. Dezember verkündet.
In der Regel berichtet die Main Post nicht über Selbsttötungen, außer die Umstände erlangen besondere Bedeutung in der Öffentlichkeit. Wenn Sie Gedanken quälen, sich selbst das Leben zu nehmen, dann kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.