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Schweinfurt/Würzburg
Von Amtsmissbrauch bis Millionenbetrug: Wie die Main-Post mit drei aufwändigen Recherchen Missstände aufgedeckt hat
Sie schauen genau hin, bleiben hartnäckig und decken Fehlverhalten auf: Drei Redakteurinnen und Redakteure berichten über eine besondere Recherche.
Eine rücklaufende Wasseruhr, ein millionenschwerer Mietsskandal und Amtsmissbrauch im Schweinfurter Rathaus: Drei Beispiele für Recherchen, die die Redaktion über eine längere Zeit beschäftigt haben.
Foto: Thomas Obermeier, Daniel Peter, Anand Anders | Eine rücklaufende Wasseruhr, ein millionenschwerer Mietsskandal und Amtsmissbrauch im Schweinfurter Rathaus: Drei Beispiele für Recherchen, die die Redaktion über eine längere Zeit beschäftigt haben.
Manuela Göbel
,  Meike Schmid
,  Oliver Schikora
 und  Ruben Schaar
 |  aktualisiert: 03.09.2023 03:48 Uhr

Widersprüchliche Angaben, mauernde Behörden oder ausbeuterische Systeme: Immer wieder stoßen Redakteurinnen und Redakteure der Main-Post bei Recherchen auf Ungereimtheiten und Widerstand. Nicht immer möchte das Gegenüber Auskunft geben, nicht immer stimmen die Aussagen mit den Fakten überein.

Zu den Aufgaben einer Redaktion gehört es, Missstände aufzudecken - egal, wen es betrifft. Drei Redakteurinnen und Redakteure der Main-Post schildern eine Recherche, die sie besonders bewegt hat. 

1. Die rückwärtslaufende Wasseruhr

An diesem Brunnen hat im August 2022 eine Wasseruhr rückwärts gezählt.
Foto: Thomas Obermeier | An diesem Brunnen hat im August 2022 eine Wasseruhr rückwärts gezählt.

Die Geschichte: In der Bergtheimer Mulde trocknen Seen und Bäche aus und Gemeinden beziehen Fernwasser, weil ihre Quellen versiegen. Gleichzeitig werden hier rund 1000 Hektar Gemüse bewässert. Kritik daran gab es schon länger ebenso wie Forderungen nach mehr Kontrollen. Im Dürre-Sommer 2022 vertrocknete Teile der Ernte und Bürger wurden zum Wassersparen aufgerufen. 

Die Recherche: Mitte August war die Redaktion mit Mitstreitern der Würzburger Umweltorganisation "Wasser am Limit" in der Bergtheimer Mulde unterwegs, um Wasserverschwendung bei der Feldbewässerung zu dokumentieren. Kurz darauf entdeckten die Umweltaktivisten die rückwärtslaufende Wasseruhr.  Der Besitzer des Brunnes erklärte, dass rund 2000 Kubikmeter Wasser, mehr als das zweifache des Volumens eines 25-Meter-Schwimmerbeckens,  "versehentlich" zurück ins Grundwasser gepumpt worden seien. Landrats-und Wasserwirtschaftsamt glaubten ihm.

Die Redaktion recherchierte weiter und hörte von Experten, dass diese Erklärung sehr unwahrscheinlich ist. Bürger lieferten weitere Beispiele, wie Behörden Grundwasserverschwendung tolerieren würden - unter anderem ein  Video, das eine weitere rückwärtslaufende Wasseruhr zeigte. Landrat Thomas Eberth und der Bayerische Umweltminister Thorsten Glauber betonten, dass ihre Behörden die Grundwasserentnahme ausreichend kontrollieren würden. 

Manuela Göbel
Foto: Christoph Weiss | Manuela Göbel

Auswirkungen der Recherche: Nach mehreren Berichten über die rückwärtslaufende Wasseruhr setzte eine anonyme Anzeige Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen Betrugsverdacht gegen den Brunnenbesitzer in Gang, die bis heute nicht abgeschlossen sind. Inzwischen hat Landrat Thomas Eberth seine Meinung geändert: Er kündigte eine stärkere Überwachung an und das Bayerische Umweltministerium erwägt diese zu Digitalisieren. Die Landwirte haben ihre Wasseruhren heuer freiwillig verplombt. Über den Einzelfall hinaus hat diese Recherche aber vor allem viel Aufmerksamkeit für die Auswirkungen des Klimawandels und den Umgang mit dem Grundwasser  erzeugt.

Das sagt die Autorin: Selten habe ich soviel Rückhalt bei einer Recherche erlebt, wie bei dieser. Dass Grundwasser knapp wird, macht offensichtlich vielen Menschen Angst und viele sind wütend, weil sich die zuständigen Behörden nicht genügend darum kümmern. Erstaunt hat mich, dass Wasserwirtschafts- und Landratsamt sofort hinter den Landwirt stellten und sehr gespannt bin ich auf das Ergebnis der strafrechtlichen Ermittlungen.

2. Der millionenschwere Mietsskandal

Von Amtsmissbrauch bis Millionenbetrug: Wie die Main-Post mit drei aufwändigen Recherchen Missstände aufgedeckt hat
Foto: Daniel Peter

Die Geschichte: Während Mieterinnen und Mieter mehrerer Würzburger Wohnhäuser in winzigen Wohnungen unter teils unzumutbaren Bedingungen leben, rechnet ein Vermieter womöglich doppelte und teilweise dreifache Quadratmeter bei Jobcenter ab. Die monatelange Recherche offenbart ein System von heimlichen Mitwissern und Unterstützern bei Behörden und karitativen Einrichtung.

Die Recherche: Der entscheidende Hinweis kommt von einem Würzburger Anwalt: Ein Vermieter betrüge, das sei bekannt, aber niemand unternehme etwas. Ein erster Besuch in einem alten Gebäude der US-Armee zeigt: Hier wurden anstatt der ehemalig zwölf Wohnungen mehr als 100 Wohneinheiten in schlechtem Zustand untergebracht, die kleinsten sind etwa 16 Quadratmeter groß. Ruben Schaar spricht mit rund 40 Mieterinnen und Mietern, sichtet Mietunterlagen und misst Wohnungen aus. Das Ergebnis: Ein Großteil der Wohnungen ist viel kleiner als beim Jobcenter gemeldet.

Das Perfide: Mehrere karitative Einrichtungen berichten, der Vermieter suche sich gezielt ein Klientel aus, das auf dem angespannten Würzburger Wohnungsmarkt kaum Chancen habe und sich aus Angst nicht wegen Missständen beschwere. Die karitativen Einrichtungen wissen um das Verhalten des Vermieters und die Ausweglosigkeit ihrer Klienten, vermitteln aus der Wohnungsnot heraus weiter an ihn.

Nach Veröffentlichung der Recherche meldet sich eine ehemalige Mitarbeiterin des Würzburger Jobcenters bei Reporter Ruben Schaar. Die Quelle berichtet an Eides statt, die falschen Quadratmeterangaben des Vermieters seien beim Würzburger Jobcenter seit langem bekannt, allerdings zahle man lieber, anstatt den Kundinnen und Kunden des Jobcenters Wohnraum zu verwehren. Das Jobcenter weist dies zurück.

Ruben Schaar
Foto: Daniel Biscan | Ruben Schaar

Auswirkungen der Recherche: In Folge der Berichterstattung durch die Main-Post nimmt die Staatsanwaltschaft Würzburg Ermittlungen auf. Zudem erstattete die Stadt Würzburg Strafanzeige. Parallel und davon unabhängig reichte das Jobcenter Würzburg Zivilklagen ein. Im Oktober 2022 kam es zu den ersten Verfahren vor dem Würzburger Amtsgericht, doch dieses wies die Klagen ab. Im April 2023 ging es zweitinstanzlich vor dem Landgericht Würzburg um die Vorwürfe Verstoß gegen die Mietpreisbremse, Mietwucher und Betrug. Anwalt Tobias Beckmann aus Hamburg vertritt die Stadt Würzburg in der Sache. Er soll nun die sogenannten Richtlinien für die Erbringung der Kosten der Unterkunft in der Stadt Würzburg dem Richter nachreichen. Anschließend soll ein Sachverständiger die genauen Quadratmetergrößen in den Wohnungen messen.

Das sagt der Autor: Der betrügerische Vermieter nutzt die Wohnungsnot in Würzburg geschickt aus und fast alle profitieren: Die karitativen Einrichtungen können ihren Klienten zu einer Wohnung verhelfen, das Jobcenter kann Wohnraum zahlen, die Stadt muss sich nicht mit den hunderten Wohnungslosen herumschlagen. Und die Wohnungssuchenden? Die wohnen im Schimmel, können sich kaum in ihrem Zimmer bewegen und werden vom Vermieter für überhöhte Mietzahlungen ausgenutzt. Die traurige Wahrheit ist: Der Vermieter ist nur das Symptom der verantwortungslosen und seit Jahren vernachlässigten Würzburger Wohnungspolitik. Sie macht die karitativen Einrichtungen und das Jobcenter zu unfreiwilligen Handlangern des Vermieters und hält ein ausbeuterisches System am laufen.

3. Amtsmissbrauch im Rathaus

Mehrere Skandale um Verfehlungen von Führungskräften im Schweinfurter Rathaus erschütterten das Ansehen der Stadtverwaltung seit 2020.
Foto: Anand Anders | Mehrere Skandale um Verfehlungen von Führungskräften im Schweinfurter Rathaus erschütterten das Ansehen der Stadtverwaltung seit 2020.

Die Geschichte: Im Juli 2020 decken Main-Post-Redaktionsleiter Oliver Schikora und der freie Autor Thomas Starost einen Skandal innerhalb der Verwaltung auf. Dem Theaterleiter wurde unter anderem vorgeworfen, über Jahre Bewirtungsbelege als Geschäftsessen abgerechnet zu haben, obwohl sie privater Natur waren. Nach einer Anzeige des OB ermittelte die Polizei, der Mann wurde schließlich entlassen und wegen Untreue per Strafbefehl verurteilt.

Die Recherche: Zunächst gab es Hinweise an die Redaktion aus dem Umfeld des Theaters, dass mit den Bewirtungsbelegen sowie den Abrechnungen in der Kantine durch den Theaterleiter etwas nicht stimmen könnte. Das Problem: Die Bewirtungsbelege waren auf den ersten Blick richtig ausgefüllt. Die Frage war, ob die genannten Personen zu dem angegebenen Zeitpunkt tatsächlich bewirtet wurden.

Die Recherche war langwierig und erstreckte sich über mehrere Monate, insbesondere weil es sich ab September 2021 um eine laufende Ermittlung der Staatsanwaltschaft handelte. Gleichwohl wurde bald klar, dass die Vorwürfe wahr waren und die abgerechneten Essen nicht mit den genannten Personen stattgefunden hatten. Weitere wichtige Themen: Warum wurde der Oberbürgermeister erst nach Monaten über die Vorwürfe informiert? Warum hatte eine interne Stichprobe einer Führungskraft ein anderes Ergebnis als die polizeiliche Ermittlung?

Oliver Schikora
Foto: Christoph Weiss | Oliver Schikora

Auswirkungen der Recherche: In der Folge der Berichterstattung erstattete der Oberbürgermeister Anzeige bei der Staatsanwaltschaft, die eine polizeiliche Ermittlung einleitete. Nach rund einem Jahr mündete diese Ermittlung in einen Strafbefehl gegen den Betroffenen wegen Untreue. Er wurde zu zehn Monaten Haft auf Bewährung sowie eine niedrige vierstellige Geldauflage verurteilt. Außerdem gab es eine so genannte Einziehung der Tatvorteile: Die veruntreute Summe im niedrigen fünfstelligen Bereich musste er an die Stadt zurückzahlen. Als klar wurde, dass die berichteten Vorwürfe der Wahrheit entsprachen, wurde dem Theaterleiter im Frühjahr 2021 fristlos gekündigt.

Außerdem gab es eine intensive Diskussion in der Verwaltung und in der Kommunalpolitik über das Thema Mitarbeiterführung, unter anderem auch bedingt durch einen Konflikt zwischen Oberbürgermeister und Personalrat, der im Januar 2022 in einer Stadtratssitzung öffentlich wurde. Intensiv diskutiert wurde ebenso eine neue Aufstellung des Bereichs Compliance für die Verwaltung sowie die städtischen Tochterunternehmen. Umgesetzt ist das bisher noch nicht.

Das sagt der Autor: Im Zuge der Recherche kristallisierten sich zwei Sichtweisen bei den Leserinnen und Lesern heraus. Zum einen: Ein städtischer Angestellter muss besonders sorgsam mit dem Geld der Steuerzahler umgehen, es gibt keine Grauzonen. Zum anderen: Kulturschaffende brauchen Freiraum, die Vorwürfe sind Bagatellen. Ein Spiegel der Gesellschaft, der insofern erschreckend war, als der Kern des Falls verwischt wurde: Private Verköstigung als Geschäftsessen dem Arbeitgeber in Rechnung zu stellen, ist nicht nur schlicht falsch, sondern zu Recht strafbar.

 
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Kommentare
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  • Andreas Gerner
    Vielen Dank für den Hinweis, wir haben das korrigiert.
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  • Mirko Gasparovic
    Da fällt mir auf, es ist schon seit geraumer Zeit sehr Still um den Fall offene Kasse im Dallenbergbad.
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  • Marion Both
    Danke an Ihre Redakteurinnen und Redakteure. Bitte bleiben Sie weiter an brisanten Themen dran.
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  • Hermann Wolf
    Danke liebe Main Post Redakteure.
    Weiter so.
    La Rosa, Scheller, es gibt noch so vieles anzugehen und aufzudecken.
    Lassen Sie sich niemals unterkriegen von unsachlichem Gegenwind.
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  • Ralf Eberhardt
    Danke für die Bestandsaufnahme Ihrer (Main-Post-) Recherchen! Und bleiben Sie dran. Es gibt sicherlich an anderen Stellen auch noch zu tun.
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