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Würzburg
Verdachtsberichterstattung: Wie die Main-Post über mutmaßliche Missstände berichtet, obwohl noch nichts bewiesen ist
Journalistische Recherchen lösen regelmäßig Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Polizei aus. Das zeigt den Wert von Verdachtsberichterstattung – wenn sie sorgfältig erfolgt.
Die Redaktion der Main-Post berichtet regelmäßig über Missstände, zu denen Staatsanwaltschaft und Polizei noch nicht ermitteln.
Foto: Ivana Biscan | Die Redaktion der Main-Post berichtet regelmäßig über Missstände, zu denen Staatsanwaltschaft und Polizei noch nicht ermitteln.
Ivo Knahn
Ivo Knahn
 |  aktualisiert: 31.08.2023 05:38 Uhr

Wenn eine Redaktion über Missstände, Verbrechen oder anderes Fehlverhalten berichtet, ohne dass die Schuld bereits juristisch bewiesen ist, nennt man das Verdachtsberichterstattung. Diese Form des Journalismus ist nicht ungewöhnlich, denn es ist Kernaufgabe von Journalistinnen und Journalisten, dass sie Politik und andere Machtgefüge kontrollieren.

"Democracy dies in darkness" (Demokratie stirbt im Dunkeln) ist der Slogan der US-amerikanischen Zeitung "Washington Post". Auch die Journalistinnen und Journalisten der Main-Post leuchten da hinein, wo manche es möglicherweise lieber dunkel hätten.

Wir sind der Überzeugung, dass Politikerinnen und Politiker und andere Menschen in Entscheidungs-Positionen korrekter und transparenter arbeiten, wenn sie wissen und spüren, dass es Medien gibt, die ihnen jederzeit auf die Finger schauen.

Bundesverfassungsgericht bestätigt Pressefreiheit ausdrücklich

Die Pressefreiheit ist in Artikel 5 des Grundgesetztes geregelt und deckt auch Verdachtsberichterstattung ab. Das bestätigen der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht immer wieder mit entsprechenden Urteilen.

Professor Johannes Weberling, der die Main-Post mit seiner Kanzlei als Medienanwalt berät, sagt: "Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich betont, dass es zur Freiheit der Presse gehört, auch beim Vorliegen von bloßen Verdachtsmomenten zu berichten – unter Umständen auch so, dass die Verdächtigen identifizierbar sind."

Dass in der Folge von Berichterstattung – auch in der Main-Post – über strafrechtlich relevante Verdachtsäußerungen regelmäßig die Staatsanwaltschaft ermittelt und die juristische Klärung bis hin zu Verurteilungen beginnt, zeigt den gesellschaftlichen Wert der Verdachtsberichterstattung.

Beispiele für Recherchen und Verdachtsberichterstattung der Redaktion der Main-Post

Drei Recherchen unserer Redaktion aus der jüngeren Vergangenheit zeigen beispielhaft, was Verdachtsberichterstattung bewirken kann:

- Nachdem die Redaktion über rückwärts laufende Wasseruhren in der Bergtheimer Mulde (Lkr. Würzburg) berichtete, setzte eine anonyme Anzeige Ermittlungen wegen Betrugsverdachts gegen den Brunnenbesitzer in Gang, die bis heute andauern.

- Unsere Redaktion entdeckte, dass ein Mann in Würzburg Wohnungen an Menschen vermietet, deren Miete das Jobcenter zahlt. Der Vermieter soll bei den Quadratmetern der Wohnungen falsche Angaben gemacht haben, um vom Jobcenter höhere Mieten zu kassieren. In Folge der Berichterstattung ermittelte die Staatsanwaltschaft. Außerdem erstattete die Stadt Würzburg Anzeige gegen den Vermieter, das Jobcenter reichte Zivilklage ein. Die Klärung ist noch nicht abgeschlossen.

- Die Schweinfurter Lokalredaktion erreichten Hinweise, dass der Leiter des städtischen Theaters regelmäßig private Essen auf Kosten der Stadt abrechnete. Während der Recherche tauchten detaillierte Verdachtsmomente auf, woraufhin zunächst der Bürgermeister Anzeige erstattete und schließlich die Polizei ermittelte. Nach etwa einem Jahr wurde der Betroffene zu zehn Monaten Haft auf Bewährung sowie zu einer niedrigen vierstelligen Geldauflage verurteilt.

An Main-Post-Recherchen gibt es regelmäßig Kritik

Dennoch bekommt unsere Redaktion bei Verdachtsberichterstattung häufig Gegenwind. Gängige Argumente der Kritiker sind dabei sinngemäß: „Das ist doch gar nicht bewiesen“, „Egal wie es ausgeht, da bleibt immer was hängen von den Vorwürfen“, „Ihr stellt Leute ohne Beweise an den Pranger“.

Immer wieder versuchen diejenigen, über die aufgrund eines Verdachts berichtet wird, Berichterstattung juristisch zu verhindern oder einzuschränken. Die Redaktion der Main-Post sichert sich dagegen vor allem mit äußerster Sorgfalt und Abwägung bei der journalistischen Arbeit ab.

Kriterien für Verdachtsberichterstattung bei der Main-Post

Folgende Punkte sind bei dabei entscheidend:

1. Mindestbestand an Beweistatsachen: Wir veröffentlichen nur, wenn unsere Recherchen handfeste und beweisbare Fakten ergeben, die einen Verdacht rechtfertigen. Wir unterscheiden in der Berichterstattung klar zwischen Fakten und Vermutungen, zum Beispiel indem wir Verdachtsmomente deutlich als solche kennzeichnen.

2. Informationsinteresse der Öffentlichkeit: Wir berichten nur, wenn es ein begründetes Interesse der Öffentlichkeit gibt, die mutmaßliche Verfehlung also eine gewisse Relevanz hat. Dabei macht es zum Beispiel einen Unterschied, ob eine Privatperson oder eine Person mit öffentlicher Funktion (Politikerin, Stadtrat etc.) im Mittelpunkt der Recherche steht.

3. Quellenprüfung: Wir stellen sicher, dass Informationen von vertrauenswürdigen und glaubwürdigen Quellen stammen, um keine unbestätigten Behauptungen zu verbreiten.

4. Anhörung der betroffenen Parteien: Wir geben den betroffenen Personen vor Veröffentlichung die Möglichkeit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, und machen deren Sichtweise in der Berichterstattung sichtbar.

5. Unschuldsvermutung: Wir beachten das Prinzip der Unschuldsvermutung und vermeiden voreilige Schuldzuweisungen und Vorverurteilungen. In den journalistischen Leitlinien der Main-Post heißt es dazu: „Zwischen Verdacht und erwiesener Schuld ist in der Sprache der Berichterstattung deutlich zu unterscheiden.“

6. Persönlichkeitsschutz: Wir wägen sehr genau ab, wann Betroffene namentlich genannt werden oder über andere Informationen in einem Text erkennbar sind. Dabei spielt auch eine Rolle, welche Funktion Betroffene in der Öffentlichkeit spielen. Die Verdachtsberichterstattung erfordert eine sorgfältige Abwägung zwischen dem Wert der Information für die Öffentlichkeit einerseits und der Vermeidung potenzieller Schäden für betroffene Personen oder auch Organisationen.

Darüber hinaus kann es trotz aller Sorgfalt zu Fehlern in der Berichterstattung kommen. Wenn das der Fall ist, korrigiert die Redaktion der Main-Post diese Fehler umgehend und transparent.

 
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Kommentare
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  • Ralf Eberhardt
    Ein wichtiger Punkt ist sicherlich die Quellenprüfung. Und da ist es oft so, dass zunächst einmal anonyme Informationen oder Informantinnen und Informanten vorhanden sind. Dort ist es umso wichtiger, seitens der Redaktion tiefer zu forschen.
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  • Lutz Saubert
    Was passiert mit denen, die zu Unrecht Opfer journalistischer Verdachtsartikel werden? Warum sehen sich immer mehr Journalisten als Aktivisten und machen es dem Leser äußerst schwer, Meinung und Tatsache zu unterscheiden?
    Die SZ hat die Darstellungen von Hubert Aiwanger hinter einer Bezahlschranke versteckt. Gegendarstellung erreichen selten die Reichweite der Beschuldigungen.
    Warum wundert man sich, wenn immer weniger Menschen bereit sind, öffentliche Verantwortung in der Politik und in Organisationen zu übernehmen. Die Gefahr der Demontage durch die Presse ist zu groß. Nur die Skrupellosen trauen sich. Für die Demokratie ist das ein Schaden.
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  • Anton Sahlender
    Lesen Sie ergänzend zu dieser wichtigen Ansage direkt aus der Chefredaktion aber auch: https://www.mainpost.de/ueberregional/meinung/leseranwalt/leseranwalt-ueber-die-kontrollfunktion-der-presse-und-den-namen-eines-beschuldigten-stadtrates-art-11142778
    Oder: https://www.mainpost.de/ueberregional/meinung/leseranwalt/die-straftat-und-der-verdacht-art-10207062
    Anton Sahlender, Leseranwalt (www.mainpost.de/leseranwalt)
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  • Alfred Holler
    hätte sich da doch nur im ersten Satz irgendwo ein freundliches "bitte" eingeschlichen....
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