
Manchmal melden sich zu ungeklärten Mordfällen auch noch nach 20 Jahren überraschend Zeugen. Oft hilft auch die Wissenschaft, wie in Aschaffenburg: Dank verbesserter DNA-Analyse fassten Ermittler dort nach 30 Jahren einen Täter, der 1988 eine junge Frau vor der Disco abgepasst, vergewaltigt und fast getötet hatte. Vor Gericht gestand der 55-Jährige die Tat.
Oder in Schweinfurt: Dort dauerte die Suche nach dem Mörder der 18-jährigen Cornelia Hümpfer aus Dittelbrunn (Lkr. Schweinfurt) 45 Jahre. Dabei hatten schon nach vier Tagen Schweinfurter Ermittler den heute dringend Tatverdächtigen Tommy M. 1978 am Haken. Auch hier brachten erst neue DNA-Analysen den Fall der Lösung näher.
Quer durch Deutschland häufen sich Erfolgsmeldungen wie diese. Auch deshalb, weil die Zahl der Morde in Deutschland kontinuierlich zurückgeht und sich Ermittler stärker als früher auf ungeklärte Altfälle, sogenannte Cold Cases, konzentrieren können.
"Auch hier in Unterfranken haben jetzt hoffentlich einige Täter schlaflose Nächte, deren Taten lange zurückliegen", sagen langjährige Würzburger Ermittler wie Martin Hinterseer und Karl Erhard. Sie lassen selbst als Rentner ihre alten Fälle nicht aus den Augen, registrieren jede Wendung und helfen bei Bedarf aktiven Kollegen mit Ratschlägen und Erinnerungen.
Hier sind neun der bekanntesten ungeklärten Mordfälle in Unterfranken.
1. Simone Strobel: Der mysteriöse Tod 2005 in Australien

Dieser Fall ist sehr bekannt und sehr rätselhaft: der Tod der 25-jährigen Erzieherin Simone Strobel bei einer Rundreise durch Australien 2005. Nach einem nächtlichen Streit mit ihrem Freund soll die junge Frau aus Rieden (Lkr. Würzburg) vom Campingplatz in Lismore im australischen Bundesstaat New South Wales verschwunden sein.
Sechs Tage lang wurde nach ihr gesucht, dann fanden Polizisten ihre Leiche, versteckt nur unter Palmenblättern, keine hundert Meter vom Zeltplatz entfernt. Ihr Freund und zwei Mitreisende aus Unterfranken verstrickten sich in Widersprüche. Aber bis heute ist nicht klar, was passiert ist und wie Simone zu Tode kam - auch wegen der schnellen Zersetzung der Leiche in der Hitze.
Simone Strobels damaliger Freund Tobias M. ist seit Sommer 2022 am Tatort in Lismore angeklagt. Er lebt in Australien. Die beiden damaligen Mitreisenden, seine Schwester Katrin und ein Freund namens Jens, kehrten nach Unterfranken zurück. Gegen ihre Auslieferung nach Australien gibt es rechtliche Hindernisse.
Ob es gegen Tobias M. (und vielleicht die beiden anderen Mitreisenden) zu einem Prozess kommt, war lange ungewiss. Jetzt fiel die Entscheidung in Australien: 18 Jahre nach dem Tod der Erzieherin hat die Staatsanwaltschaft in Lismore ihre Anklage gegen Simones Ex-Freund zurückgezogen. Die Beweise reichten nicht.
2. Sharon Harper: Die Leiche einer Anhalterin lag 1990 beim Würzburger Tierheim

Seit 1990 sucht die Würzburger Kripo den Mörder der jungen Irin Sharon Harper. Wurde die 19-jährige Irin Opfer eines Sexualdelikts – oder gar eines Serientäters, weil ihr Fall vom Profil zu mehreren anderen passen könnte?
Die junge Irin mit Kontakten in die Szene der US-Soldaten war im Stadtteil Frauenland zu einem Unbekannten in ein Auto gestiegen, um sich in der Stadt mit einer Freundin zu treffen. Dort kam sie aber nie an. Am Tag darauf wurde ihre Leiche von einem Spaziergänger in der Nähe des Tierheims gefunden. Harper war vergewaltigt und brutal erstochen worden.
An der Kleidung der Toten wurde DNA gefunden, zu der aber zunächst kein Vergleichsmaterial von Verdächtigen passte. Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach bestätigte vor kurzem, dass in dem Fall gerade routinemäßig erneut überprüft wird, ob sich neue Ermittlungsansätze ergeben.
Unter Verdacht stehen zwei ehemalige US-Soldaten, die wegen ähnlicher Tötungsdelikte an Frauen in Giebelstadt, Ansbach und El Paso zu langjährigen Haftstrafe verurteilt wurden. Auch in den USA soll einer der Männer als möglicher Serienmörder weiterer Taten verdächtigt werden, die dem von Sharon Harper in der Vorgehensweise ähneln.
3. Klaus Berninger: Mord an einem Bäckerlehrling im Dezember 1990 in Wörth am Main

An diesem ungeklärten Mordfall aus Unterfranken sind Ermittler gerade intensiv an der Arbeit: der Mord am 16-jährigen Klaus Berninger in Wörth am Main (Lkr. Miltenberg). Der Bäckerlehrling war am 20. Dezember 1990 verschwunden. Drei Tage später fanden zwei Spaziergänger morgens seine Leiche in einem Wald nahe der Kleinstadt an der bayerisch-hessischen Landesgrenze.
Die Polizei geht davon aus, dass der Jugendliche umgebracht wurde. Nach damaliger Erkenntnis starb der junge Mann durch Gewalteinwirkung mit einem scharfkantigen Werkzeug gegen den Hals.
Als die Ermittler 2022 den Fall Klaus Berninger mit intensiven Apellen an die Öffentlichkeit wieder aufnahmen, erhielten sie über 50 neue Hinweise, denen sie jetzt nachgehen. Eine erneute Suche am Tatort im Wald förderte ein Messer zutage. Ob das den Fall weiterbringt, muss sich erst zeigen.
4. Waltraud Ess: Geschäftsfrau wurde 1993 in Bad Neustadt in ihrer Wohnung überfallen

In einem lange zurückliegenden Fall gehen Ermittler in Schweinfurt den Spuren zum Mord an Waltraud Ess nach: Die 51-jährige Geschäftsfrau wurde 1993 in ihrer Wohnung in Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) überfallen, gefesselt und mit einem Kabel am Türgriff erhängt.
Bis auf 3500 Mark entwendeten die Unbekannten nichts und ließen die Wohnung der Geschäftsführerin eines örtlichen Autohauses unberührt. Jetzt hätten sich durch neue Methoden in der Kriminaltechnik Spuren im Fall von Waltraud Ess ergeben, denen nun nachgegangen wird, versicherten 2022 Sprecher des Polizeipräsidiums.
Bei der akribischen Neuauswertung der damaligen Ermittlungsarbeiten ergaben sich Hinweise auf mögliche Täter mit Bezug nach Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Denen gehen Ermittler seither nach. Aber die berühmte "heiße Spur" war bisher noch nicht darunter.
5. Evelyn Höbler: Spaziergänger finden 1986 bei Veitshöchheim am Kasernenzaun eine Leiche

Die Leiche der 24-jährigen Eveline Höbler wurde 1986 von einem Spaziergänger am Rand von Veitshöchheim gefunden. Die 24-Jährige aus Veitshöchheim (Lkr. Würzburg) war am Abend zuvor mit einer Freundin im Bavaria-Kino in Würzburg. Danach fuhr sie mit dem Bus nach Hause.
Wie sie von dort aus später an das Kasernengelände in gut drei Kilometer Entfernung kam, ist unbekannt. Spaziergänger fanden am Tag darauf ihre Leiche an einem einsamen Weg entlang des Kasernenzauns in Richtung Oberdürrbach, den eigentlich nur Ortskundige kennen.
Der Mörder hatte die Leiche – vermutlich mit einem Auto – an den Fundort am Kasernenzaun gebracht. Erstmals in Würzburg wurden damals in diesem Fall genetische Spuren gesichert. Sie könnten über 30 Jahre später den Täter überführen.
6. Würzburgs geheimnisvoller Fall von 1983: Der Thallium-Mörder an der Uni

Es waren Bier- und Saftflaschen, die mit dem geruchs- und geschmacksneutralen Schwermetall Thallium versetzt waren. Am 31. Januar 1983 waren die Getränke an insgesamt drei Orten in Würzburg abgestellt worden: vor dem Hörsaal der Medizinstudenten und in zwei Wohnheimen. Zwölf Studenten wurden vergiftet. Einer davon starb an den Folgen der Vergiftung, einer wurde zum Invaliden.
Bis heute ist der Täter nicht gefunden. Manche Ermittler wollen nicht ausschließen, dass es ein missglückter Faschingsscherz war, der tragisch endete. In einem Aufsatz von 1983 in einer medizinischen Fachzeitschrift war kurz vor der Tat die Wirkung des Thalliums verharmlosend beschrieben: Man verliere nach dem Einnehmen seine Haare.
Doch dann wurde 2015 eine zunächst schon kalte Spur wieder warm. Die Exfrau und die ehemalige Freundin eines Würzburger Arztes hatten die Kripo und diese Redaktion auf den Mediziner hingewiesen, der einen anderen Mord begangen hatte - und gerade wegen Mordes aus Habgier auf der Anklagebank saß.
Ermittler gingen dem Verdacht nach, verhörten den Arzt im Gefängnis. Doch für den Zeitpunkt der Thallium-Morde hatte der Arzt ein Alibi: Er will selbst im Krankenhaus gelegen haben, die Ermittlungen gegen ihn wurden eingestellt, doch für einen anderen Mord bekam er lebenslänglich. Bis heute ist die Ex-Geliebte überzeugt, dass sein Alibi im Thallium-Fall falsch ist. Als Insider habe er unbemerkt aus der Klinik verschwinden können, sagt sie.
Der Frau gegenüber hatte der Arzt dunkle Andeutungen über angebliche Kenntnisse zu dem Anschlag gemacht. Im Winter 1983 war sie selbst plötzlich zusammengebrochen. Es gab zu der Zeit eine Häufung von Vergiftungserscheinungen im Umfeld des Mediziners, auch eine Sprechstundenhilfe klagte über Symptome.
Es wurde ermittelt. Doch schließlich wurde der Fall der vergifteten Geliebten wegen Mangels an Beweisen eingestellt. Der Arzt sitzt lebenslänglich für einen anderen Mord aus Habgier.
7. Brigitte Volkert: Wo ist seit 2005 die Leiche der Frau aus Burgsinn versteckt?

Die 27-jährige Brigitte Volkert verschwand in den frühen Morgenstunden des 23. November 2005 aus ihrem Haus in Burgsinn (Lkr. Main-Spessart). Neben ihrem Ehemann ließ sie auch ihre vier Kinder im Alten von 2,5, 8 und 10 Jahren zurück. Seitdem fehlt jede Spur von ihr. Ihr Handy sandte das letzte Signal am Tag des Verschwindens gegen 6 Uhr.
Brigitte Volkert muss ohne Papiere und Geld aus dem Haus gegangen sein. Die Polizei geht davon aus, dass die 27-Jährige einem Gewaltverbrechen zum Opfer fiel – und irgendwo im Spessart ihre Leiche versteckt ist.
Mit Nachdruck suchte die Polizei in den Wochen nach Volkerts Verschwinden unter anderem mit Hunden, Hubschraubern und der Bereitschaftspolizei in der Umgebung. Parallel dazu ermittelte die Kripo Würzburg im sozialen Umfeld der Vermissten.
War eine geheime Beziehung der lebenslustigen jungen Frau aus dem Ruder gelaufen? Fühlte sich jemand unter Druck gesetzt? 2018 machten die Mordermittler im Fall Brigitte Volkert einen neuen Anlauf. Im Oktober wurde ein Beitrag bei "Aktenzeichen XY" gezeigt, daraufhin gingen vereinzelt Hinweise ein.
Die Beamten gehen bis heute davon aus, dass die vierfache Mutter Opfer eines Gewaltverbrechens wurde. Bis heute waren jedoch alle Anstrengungen vergebens – es gibt nach wie vor kein Lebenszeichen von Brigitte Volkert.
8. Fritz Schmidt: Im Juli 1982 mit mehr als 30 Messerstichen bei Oberaltertheim getötet

Unter dubiosen Umständen wurde am 4. Juli 1982 der Maurer Fritz Schmidt in Oberaltertheim erstochen. Bei einem nächtlichen Spaziergang schickte er seine Frau in dem kleinen Ort im Landkreis Würzburg nach Hause: "Geh heim! Ich muss noch was besorgen." Während sie umkehrte, ging er weiter in Richtung Ortsausgang – und traf dort wohl auf seinen Mörder.
Möglich, dass er seinen Mörder kannte. Denn der muss eine fürchterliche Wut auf Schmidt gehabt haben: Über 30 Mal stach er auf den Mann ein. Der 26-Jährige wehrte sich verzweifelt gegen die Stiche, die ihn an Körper, Armen, Beinen und Füßen trafen. Die Mordwaffe fand die Kripo nicht. Der blutige Schuhabdruck am Tatort half nicht weiter, ebenso wenig, dass Schmidts Zigaretten, Feuerzeug und ein 50-Mark-Schein verschwunden waren, die er eingesteckt hatte.
Der Täter ging ein hohes Risiko ein. Denn auf dem Fußweg, neben dem Schmidts Leiche hinter einem Holzstapel gefunden wurde, waren in jener Nacht Heimkehrer vom Feuerwehrfest aus dem benachbarten Steinbach unterwegs. Der damalige Mordermittler Martin Hinterseer grübelt bis heute übe die Frage: "Warum hat keiner etwas gehört von dem Kampf, obwohl es schwül war und viele Menschen bei offenem Fenster schliefen?"
Vor kurzem griffen Ermittler den Fall erneut auf. Nach Informationen der Redaktion ließ ein anonymer Brief mit Hinweisen auf den Mörder die Hoffnung auf einen Durchbruch keimen. Doch die Hoffnung trog, bis heute konnte der Fall nicht geklärt werden.
9. Selma Öztürk: Mord im Drogenmilieu im Juni 1987

Nach einer telefonischen Verabredung verließ die junge Mutter Selma Öztürk am 10. Juni 1987 eine Kneipe in Frankfurt, um sich mit dem Anrufer zu treffen. Drei Tage später wurde sie in einem Waldstück bei Alzenau (Lkr. Aschaffenburg) erschossen aufgefunden. Ein Täter wurde nie gefasst. Gerade rollt die Polizei den Fall wieder auf, um ihn mithilfe neuer Hinweise doch noch zu klären.
Die Leiche von Selma Öztürk wurde mit einem Fahrzeug in das Waldstück gebracht und vermutlich von mindestens zwei Personen vom geparkten Fahrzeug zum Ablageort gebracht. Die Täter wurden nie gefasst. Öztürk war – wie ihr Mann – im Drogenhandel tätig und selbst süchtig.
Öztürk soll laut Polizei selbst Zeugin eines anderen Mordes im Rauschgiftmilieu 1987 in Amsterdam geworden sein. Darüber hinaus war sie im Besitz eines Schuldenbuchs und einer Pistole ihres inhaftierten Freundes, mit dem sie ein Verhältnis gehabt haben soll. Das könnte sie nach Einschätzung der Ermittler zur Bedrohung für das Drogenhändler-Milieu gemacht haben.
Seit Frühjahr 2023 intensivieren Bundeskriminalamt, Landeskriminalamt und regionale Ermittler ihre Anstrengungen, um den Fall zu klären. Offenbar gibt es neue Erkenntnisse, die nicht näher beschrieben werden. Für entscheidende Tipps sind 10.000 Euro als Belohnung ausgesetzt.
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Mit freundlichen Grüßen aus der Redaktion
Dominik Förster