
Fast drei Jahrzehnte lang schien der Mord an der Geschäftsfrau Waltraud Ess in Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) ungeklärt zu bleiben - und der Täter unentdeckt. Jetzt aber wollen Schweinfurter Ermittler in dem sogenannten Cold Case beweisen, dass der Spruch "Mord verjährt nie" keine leere Floskel ist. Nach Informationen dieser Redaktion verfolgen sie aktuell eine heiße Spur, die nach 29 Jahren zum Mörder führen könnte.
Kripo hat nach neuen Hinweisen Ermittlungen wieder aufgenommen
Die Kriminalpolizei habe "die Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Tötungsdelikt an der 51-Jährigen im Jahr 1993 wieder aufgenommen", teilt Pressesprecher Enrico Ball vom Polizeipräsidium Unterfranken mit. "Innovative Möglichkeiten in der Spurenauswertung" hätten neue Hinweise ergeben, denen die Mordermittler nun nachgehen. Offenbar geht es dabei um die Auswertung von DNA-Spuren, die am Tatort gesichert worden waren.
Die Bad Neustadter Geschäftsfrau Waltraud Ess war in der Nacht zum 8. September 1993 Opfer eines grausamen Verbrechens: Die 51-Jährige wurde in ihrer Wohnung überfallen, brutal niedergeschlagen, geknebelt, mit Klebeband umwickelt und mit einem Elektrokabel am Türgriff erhängt.
Überfall in der Wohnung: Täter machten wenig Beute
Merkwürdig war: Bis auf 3500 D-Mark machen die Unbekannten bei der Geschäftsführerin des damaligen Autohauses Kuhn keine Beute, Schmuck und Tresorschlüssel bleiben unangetastet. Und die Wohnung wurde der Polizei zufolge nicht durchwühlt. Wurden die Täter gestört? Oder ist Waltraud Ess einer Beziehungstat zum Opfer gefallen?

Die damalige 24-köpfige Sonderkommission der Kripo Schweinfurt konnte trotz der umfangreichen Ermittlungen bis heute keinen Tatverdächtigen überführen. Aber: "Wie in allen ungeklärten Mordfällen üblich, wurde auch die Akte in diesem Fall nie vollständig geschlossen und immer wieder hinsichtlich neuer Ermittlungsansätze überprüft", sagt Hauptkommissar Enrico Ball.
Bei Recherchen zur Serie "Ungeklärte Kriminalfälle" dieser Redaktion war 2015 auch der Fall der getöteten Geschäftsfrau ein Thema. Und die Spur führte nach Flensburg, wo ein Jahr nach dem Fall in Unterfranken 1984 ein Immobilienmakler in seiner Wohnung überfallen wurde – wie Waltraud Ess niedergeschlagen, mit Klebeband umwickelt und stranguliert.
Ermittlungen zu Einbrecherbande brachte Bezüge nach Bad Neustadt
Die Polizei ermittelte eine siebenköpfige Bande. Einer der Verdächtigten wurde 1995 vom Schwurgericht in Flensburg für den mörderischen Einbruch mit zwei Mittätern zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Die Ermittler fanden heraus: Mitglieder der Bande hatten zuvor in einem Wohnheim nur 45 Minuten von Bad Neustadt entfernt gelebt.
Dann erhärtete sich der Verdacht. 1998 gab ein 22-Jähriger in einem anderen Prozess zu Protokoll, dass der in Flensburg verurteilte Mann ihm gegenüber den Mord an der Bad Neustädter Geschäftsfrau gestanden habe. Die Ermittler holten den damals 30-Jährigen aus dem Gefängnis zum Verhör nach Schweinfurt. Doch der Verdacht gegen ihn ließ sich trotz der großen Parallelen nicht weiter erhärten. Und die Aussage des 22-Jährigen reichte nicht aus, um Anklage zu erheben.

Auch ein Beitrag in der Sat.1-Sendung "Fahndungsakte" lieferte 1998 den Ermittlern keine neuen Anhaltspunkte. Das Format des Privatsenders war als Pendant zu der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ungelöst" angelegt und wurde von 1997 bis 2000 ausgestrahlt. Eine Berliner Produktionsfirma drehte dazu an Originalschauplätzen in Bad Neustadt, stellte mit maskierten Schauspielern den Einbruch nach - und den Abend, den Waltraud Ess mit ihren Freundinnen verbracht hat. Für die Ermittlungen brachte das keinen Durchbruch.
Ermittler des Falls von 1993: "Wir geben nie auf"
Jetzt aber ließen die Ermittler die Spuren am Tatort erneut mit modernen Methoden prüfen – und erzielten offenbar einen Treffer. "Wir haben jedes Stückchen Klebeband aufgehoben und noch weitere Spuren zur Untersuchung auf Halde. Wir geben nie auf", sagt der damalige Ermittler Erster Kriminalkommissar Herbert Then.
Kripo und Staatsanwaltschaft Schweinfurt suchen aktuell mit der neuen "Soko Ess" nach dem Mörder. Der gefasste Einbrecher aus Flensburg ist es wohl nicht. Mit weiteren Details aber halten sich die Ermittler noch bedeckt. Bei der "akribischen Neuauswertung" hätten sich Hinweise ergeben, heißt es vage. Man suche nun in Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen sowie Baden-Württemberg.