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Erschossen bei der Verfolgungsjagd
Mord am Bischofspalais: Ein Räuber, der die Geldbombe eines Schuhgeschäfts erbeutet hat, schießt auf der Flucht durch Würzburg wild um sich und tötet den Versicherungsvertreter Walery Gonsiorczyk. Der Schütze ist bis heute unbekannt.
Tatort: Vor dem Bischofspalais schoss der Räuber auf seinen Verfolger. Der Pfeil auf dem Tatort-Bild zeigt den Standort des Schützen, die 5 hinter dem Mercedes den Platz, an dem das Opfer in seinem Blut lag.
Foto: Polizei | Tatort: Vor dem Bischofspalais schoss der Räuber auf seinen Verfolger. Der Pfeil auf dem Tatort-Bild zeigt den Standort des Schützen, die 5 hinter dem Mercedes den Platz, an dem das Opfer in seinem Blut lag.
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 16.12.2020 12:02 Uhr

Mord am Bischofspalais: Ein Räuber, der die Geldbombe eines Schuhgeschäfts erbeutet hat, schießt auf der Flucht durch Würzburg wild um sich und tötet den Versicherungsvertreter Walery Gonsiorczyk. Der Schütze ist bis heute unbekannt.

Langsam verblassen die 35 Jahre alten Farbbilder aus dem Aktenordner der Ermittler vom Tatort: Ein heller Mercedes steht vor dem Bischofspalais. Dahinter eine große Blutlache. Die mit Kreide gezogenen Umrisse der Spurensicherung zeigen eine Figur – wie man es aus den Fernseh-Krimis kennt. Sie bezeugen: Auf dem Parkplatz vor dem Haus des Würzburger Bischofs starb am 1. März 1980 ein Mann, als er einen Räuber verfolgte.

Bis heute fragen sich die Mordermittler Martin Hinterseer und sein Kollege Karl Erhard: Wer war der Räuber – nicht sehr sportlich und auf der Flucht schnell außer Atem, aber ebenso schnell mit dem Finger am Abzug seines großkalibrigen Revolvers? „Er war kräftig bis untersetzt“, wissen die Kripo-Beamten. Ein Phantombild zeigt ein volles Gesicht und „sein Laufstil war eigenartig schwerfällig“.

Es muss eine Szene wie im Wilden Westen gewesen sein an jenem Samstagabend kurz nach Geschäftsschluss. Damals war der „lange Samstag“ noch neu, kurz vor 18 Uhr wollte die Geschäftsführerin des City-Schuhgeschäfts in der Würzburger Eichhornstraße die Tageseinnahmen zur Bank bringen. Die Strecke von etwa 60 Metern zur damaligen Bayerischen Vereinsbank legte sie mit der Geldbombe (Inhalt: 4500 Mark in bar und Schecks in gleicher Höhe) alleine zurück.

Als sie die Martinstraße vor dem Textilgeschäft Wohner überquerte, sprang ein dort wartender Mann auf sie zu. Er muss gewusst haben, dass die Plastiktüte, die sie unter dem Arm hatte, die Geldbombe enthielt. Der nicht maskierte Räuber riss der Frau die Plastiktüte weg und rannte durch die Martinstraße in Richtung Dom davon.

Einige Passanten hatten den Raub beobachtet und machten sich an die Verfolgung. Nach kurzer Wegstrecke hatten sie den Flüchtigen eingeholt.

Plötzlich zückte er einen Revolver: „Geht weg oder ich schieße“, rief er. Die Männer gingen hinter parkenden Autos in Deckung. Der Räuber schoss zweimal, traf Fahrbahndecke und Gehsteig, und hetzte dann weiter.

In Höhe der Weinstube Buhl war ein kleiner Durchgang von der Martin- zur Herrnstraße, den eigentlich nur Eingeweihte kannten. Damals war dort die Taxizentrale, die von hier aus die Fahrten der Mietwagen koordinierte.

Der Mann am Funk, der die Schüsse gehört hatte, trat vor die Tür – und stand dem Räuber von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Als der auf ihn zielte, ließ er sich rückwärts in den Raum der Taxizentrale fallen. Der Räuber setzte seinen Weg statt durch die Abkürzung um das Haus herum fort.

Am Kardinal-Döpfner-Platz verfolgten ihn aber schon zwei Männer mit dem Auto. An den Parkplätzen vor dem Bischofspalais ging dem Räuber wohl wieder die Luft aus oder die zwei Verfolger hatten ihn eingeholt. Sie sprangen aus dem Wagen. Der Räuber schoss auf den einen, verfehlte ihn. Dann traf er den zweiten in den Hals.

Die Kugel vom großen Kaliber 3,57 traf den 29-jährigen Versicherungsangestellten Walery Gonsiorczyk aus drei bis vier Metern Entfernung. Der russische Spätaussiedler, der im Würzburger Stadtteil Heidingsfeld lebte, brach auf dem Pflaster zusammen, der Räuber entkam. Das Opfer war nicht mehr zu retten, starb gegen 19 Uhr im Luitpold-Krankenhaus. Die Polizei, die bereits um 18.01 Uhr von einer Schießerei in der Martinstraße erfahren hatte und der um 18.07 Uhr ein Überfall gemeldet worden war, nahm die Fahndung auf.

Der Fall schien sich schnell zu klären. Bereits zwölf Minuten später wurde auf den Hinweis von Taxifahrern hin ein Verdächtiger festgenommen. Der Mann war in der Kapuzinergasse in ein Haus gelaufen, erinnert sich der Kripo-Beamte Hinterseer. „Er musste aber wieder auf freien Fuß gesetzt werden, er war es nicht.“ Zuvor hatte weder eine intensive Wohnungsdurchsuchung noch eine Befragung von sechs Zeugen bis 22 Uhr den Verdacht erhärten können.

Nun wurde zur öffentlichen Fahndung geblasen mit einer Belohnung von zunächst 3000 Mark und einer – nicht sehr hilfreichen – Täterbeschreibung durch die Zeugen. Daraus entstanden zwei Phantombilder, die einen Mann im Alter von 25 bis 30 Jahren zeigten, etwa 1,70 bis 1,75 Meter groß, mit langem dunklem Haar und wahlweise schmalem oder rundem Gesicht. Der Mann trug eine jeansartige Hose und einen verwaschen wirkenden olivgrünen Parka oder Anorak. Er trug eine dunkle wollene Pudelmütze, die er bis zu den Augenbrauen gezogen hatte.

Die Kripo stellte fest: Die Tatwaffe war ein Revolver der Firma Colt des Typs Trooper oder Python. Alle Waffenbesitzer, die legal einen solchen Revolver in Würzburg und Umgebung hatten, wurden gebeten, ihn für einen Projektilvergleich mitzubringen. Aber keine der untersuchten Kugeln entsprach jener, die Walery Gonsiorczyk getötet hatte .

Sechs Tage nach den Verbrechen ging die Polizei auch der Frage nach, ob der Täter auf den Raub zu Lasten von Schuhgeschäften spezialisiert war. Denn in Mainz und Frankfurt waren – ebenfalls gegen Ladenschluss – Schuhgeschäfte überfallen worden. Der Täter war auch dort bewaffnet, erbeutete einmal Bargeld, einmal die Geldbombe, am Montag und Donnerstag nach dem Überfall in Würzburg. Die Beschreibung stimmte teilweise überein.

Dieser Mann wurde nach insgesamt 14 Überfällen am 11. März festgenommen. Doch sein Modus operandi war ein ganz anderer: Er ging in die Läden, probierte Schuhe und ging dann mit der Waffe in der Hand an die Kasse. Auch die Spur zu einem Nachahmer, der eine Woche später in Schweinfurt in einem Schuhgeschäft 1000 Mark erbeutete, führte nicht zu dem mörderischen Räuber vom Bischofspalais.

Dann schien unter einem von 98 Hinweisen endlich die heiße Spur: Es sehe „verdammt gut aus“, freuten sich die Ermittler: Anfang April 1980 wurde in Schweinfurt ein Mann aus dem Verkehr gezogen, auf den die Beschreibung des gesuchten Würzburgers passte. Nach einem Selbstmordversuch mit einem Gemisch aus Cognac und Schlaftabletten war ein 23 Jahre alter Mann in eine Schweinfurter Klink eingeliefert worden.

In seinem Pkw fand man neben einem Abschiedsbrief auch ein Funkgerät, ein Blaulicht und einen Revolver des Kalibers, wie er bei dem Verbrechen in Würzburg verwendet worden war. Doch auch diese Spur war schnell wieder kalt: Der Mann hatte für den 1. März ein hieb- und stichfestes Alibi. Er wollte wegen einer Liebesaffäre aus dem Leben scheiden.

Danach wurde es still um den Fall. Doch Mord verjährt nicht. Immer wieder wird er bis heute aus den Akten genommen, immer wieder nehmen ihn Ermittler unter die Lupe – auf der Suche nach dem einen Indiz, das man übersehen haben könnte. Vielleicht lebt der Täter ja noch, vielleicht sogar hier – und hat den 3,57er Revolver noch.

Martin Hinterseer, der den Fall aus dem Effeff kennt, hat sich den alten Fall gerade wieder vorgenommen. Am Computer hat er sich einen Stadtplan von Würzburg aufgerufen, verfolgt den Fluchtweg des Täters. „Es spricht vieles dafür, dass er sich hier auskannte“, sagt er und deutet auf den kleinen Durchgang am Weinhaus Buhl. „Eine gewisse Ortskunde . . .“

Wer kann zur Aufklärung beitragen? Die Polizei hofft auf Zeugen, die auch heute noch zur Klärung des Falles beitragen können. Hinweise nimmt die Kriminalpolizei Würzburg entgegen, Tel. (09 31) 4 57 17 32.

Spurensuche: Die Ermittler Martin Hinterseer (links) und Karl Erhard suchen in den Akten nach neuen Ansätzen, um den Mörder doch zu finden.
Foto: Manfred Schweidler | Spurensuche: Die Ermittler Martin Hinterseer (links) und Karl Erhard suchen in den Akten nach neuen Ansätzen, um den Mörder doch zu finden.
 
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