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WÜRZBURG
Ungelöste Kriminalfälle: Die Tote am Tierheim
1990 erschütterte ein Mord Würzburg: Die Nordirin Sharon Harper wurde erstochen, als sie sich gegen Zudringlichkeiten ihres Mörders wehrte. Trotz Aufrufs meldeten sich kaum Zeugen. Die Kripo verfolgte Spuren in die US-Garnison.
Spurensuche: Am Fundort von Sharon Harpers Leiche unterhalb des Tierheims nahmen Ermittler die Arbeit auf.
Foto: Theresa Müller | Spurensuche: Am Fundort von Sharon Harpers Leiche unterhalb des Tierheims nahmen Ermittler die Arbeit auf.
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 16.12.2020 12:02 Uhr

 Trotz Aufrufs meldeten sich kaum Zeugen. Die Kripo verfolgte Spuren in die US-Garnison.

Nach allem, was die Würzburger Kripo heute weiß, muss der Mörder von Sharon Harper Angst gehabt haben, gesehen zu werden, als er die blutige Leiche versteckte. Der Tatort am Zweierweg unterhalb des Tierheimes liegt zwar abgelegen. Der Bahndamm wirkt dort wie eine Sichtblende. Der Zweierweg liegt etwas abseits. Von der Nürnberger Straße geht es zum Tierheim und von dort hinauf in Richtung der damaligen US-Kaserne Leighton Baracks.

Aber an jenem Abend im Juli 1990 muss es in der Nähe des Tatortes bei einbrechender Dunkelheit lebhaft zugegangen sein. Ein Autofahrer in einem roten Wagen fuhr herum, ein Jogger soll dort unterwegs gewesen sein – und ein junger Jongleur, berichteten Zeugen.

Ob einer von ihnen die junge Irin Sharon Harper, ein attraktives Mädchen mit auffallend langen, dunkelblonden Haaren und ihren Mörder sah? Hörte man Schreie, als er auf die zierliche 19-Jährige einstach? Oder sah ihn jemand, wie er mit blutigen Frauenkleidern in der Hand aus den Büschen kam, in denen er Sharon getötet hatte?

Keiner dieser Zeugen meldete sich bei der Würzburger Polizei, obwohl der Mordfall Sharon Harper hohe Wellen schlug, als am nächsten Mittag Spaziergänger eher zufällig Sharons Leiche hinter den Büschen entdeckten. Ihre Bluse und ihre Schuhe fehlten.

Ein Raubmord war es wohl nicht: Die 1,60 Meter große Frau trug ihre goldene Armbanduhr der Marke „Lorus“, einen schmalen goldenen Armreif, ein silberfarbenes Armkettchen mit vier Herzen sowie an beiden Ohren je zwei Ohrringe, einer mit türkisfarbenen Steinchen und einen orientalischen Ohranhänger.

Sharon war Irin aus Carrick. Sie hatte schon ein Jahr in Würzburg gelebt und bis kurz vor ihrem Tod bei einer US-amerikanischen Offiziersfamilie gearbeitet. In Polizeikreisen hieß es, sie sei eine lebensfrohe und aufgeschlossene junge Frau gewesen. Viel spricht dafür, dass der Mann, der ihr das Leben nahm, aus der US-Garnison stammt – und sie ihm an jenem Abend im Juli eher zufällig begegnete, als er mit dem Auto aus Richtung Leighton-Kaserne die Rottendorfer Straße hinunter Richtung Innenstadt fuhr.

Kriminalhauptkommissar Karl Erhard ist sich sicher: Sharon wäre nur zu einer ihr bekannten Person ins Auto gestiegen. „Es war auch sicher so, dass sie kaum Kontakte zu Deutschen pflegte, sondern nahezu ausschließlich mit US-Amerikanern befreundet und bekannt war.“

Vermutlich kam der Mann mit dem Auto Sharon wie gerufen. Sie hatte gegen 21 Uhr mit einer ebenfalls aus Nordirland stammenden Freundin in Würzburg telefoniert und sich eine halbe Stunde später mit ihr in einem Lokal in der Innenstadt verabredet.

Sharon erzählte ihr, sie rufe von der Telefonzelle am Biergarten im Bereich des „Letzten Hiebes“ an – unweit von den Missionsärztlichen Kliniken, in der Rottendorfer Straße. Ihre Freundin hörte im Hintergrund Kindergeschrei – und ein Zeuge, der an jenem Abend auf einer Mauer am Rand des Biergartens am „Letzten Hieb“ saß, will Kinder dort gesehen haben. Aber trotz aller Aufforderungen der Polizei meldeten sich auch deren Eltern später nicht – obwohl sie gesehen haben könnten, zu wem Sharon von der nahen Telefonzelle ins Auto stieg. Die Polizei geht davon aus, dass der Täter sie zum nicht weit entfernten späteren Fundort fuhr.

Dort muss sich die junge Irin zunächst gegen sexuelle Zudringlichkeiten gewehrt haben, bis der Mann zum Messer griff. Mordermittler Heinz Ross ging später davon aus, dass es Sharon gelang, aus dem Auto zu fliehen. Der Mörder verfolgte sie und tötete sie mit fünf Stichen in den nackten Oberkörper. Den Verletzungen nach versuchte das Mädchen verzweifelt, die Angriffe abzuwehren.

Ein Zeuge sah um die Tatzeit ein weinrotes Auto am Zweierweg mitten in der Fahrbahn stehen, so hindernd, dass er kaum daran vorbeikam. Die hintere Tür stand offen.

Vielleicht erinnern sich Zeugen an ein wichtiges Detail: „Bei der Tat hat sich Sharon heftig zur Wehr gesetzt,“ weiß nämlich Ermittler Erhard. „Nach meiner Einschätzung müssten am Körper des Mörders Kratzspuren – möglicherweise an Armen, Gesicht oder Hals – gewesen sein.“ Möglicherweis erinnert sich daran jemand aus Sharons Bekanntenkreis, der zu jener Zeit auch in der Würzburger Diskothek „Green Goose“ in der Haugerpfarrgasse verkehrte.

In die Ermittlungen schaltete sich die US-Militärpolizei ein, nachdem es Hinweise auf ein US-Nummernschild an dem roten Auto gab, das zwischen 21.30 Uhr und 22.10 Uhr auf dem Fußweg zwischen Elferweg und Sauleite stand. Der Wagen, in dem später nur ein Fahrer saß, musste einem jungen Jogger mit Brille und langen Haaren ausweichen. Wertvolle Hinweise erhoffte sich die Kripo auch von dem Jongleur, der gegen 22 Uhr oberhalb des Bolzplatzes in der Nähe des Wendeplatzes Stöhrstraße mit Keulen trainierte.

Doch auch er meldete sich nicht – trotz einer Belohnung von 5000 Mark. Später vermutete man, ob es sich bei dem Jogger und dem Jongleur nicht um die gleiche Person gehandelt haben könnte.

Die Eltern von Sharon Harper kamen nach Würzburg und legten am Tatort Blumen für ihre ermordete Tochter nieder. Einen Tatverdächtigen konnte ihnen die Kripo nicht nennen, auch wenn sich der Verdacht immer stärker auf einen Täter aus der US-Garnison richtete.

Sogar US-Medien berichteten aus Würzburg. Der damalige Pressesprecher Heinz Henneberger erinnert sich an einen seiner ersten Einsätze: „Es war praktisch mein erster größerer Fall – und ich musste gleich Live-Interviews vor laufender Kamera auf Englisch für den US-Sender AFN geben,“ erinnert er sich. „Mir schlug das Herz bis zum Hals.“ Als das Interview zu seiner Erleichterung fertig war, sagte der Fernsehmann zu Henneberger: „Das war schon sehr gut. Aber leider hatten Sie im ersten Satz einen Versprecher, noch mal!“ Zähneknirschend begann der damals junge Pressesprecher von vorne.

Auch die Ermittler machten immer neue Anläufe, den Mörder zu finden. Aber es tauchte keine heiße Spur auf. Die Kripo ging davon aus, dass der Täter seinen roten Wagen inzwischen verkauft oder beseitigt hatte.

Flächendeckend wurden im Bereich des Tatortes und der amerikanischen Kaserne alle Müllcontainer durchsucht. Doch weder Sharons hellblaue Jeansjacke noch eine pfirsichfarbene Bluse oder die weißen Turnschuhe wurden gefunden.

Erschreckend war damals für Ermittler Heinz Ross die „geringe Resonanz der Bevölkerung auf Zeugenaufrufe.“ Tausende Flugblätter in deutscher und englischer Sprache wurden verteilt. In den Medien wurden Zeugenaufrufe gestartet – doch mit wenig Erfolg. Auf das Auto des Mörders kamen die meisten der gut 200 Hinweise. 180 bis 200 Autos, auf die die Beschreibung passte, wurden in den US-Kasernen untersucht. US-Soldaten gaben Blutproben ab – vergeblich.

Und doch gibt es eine Spur, die heute mit Fortschreiten der Kriminaltechnik mehr denn je zum Mörder führen könnte: Ein zwölf Millimeter langes Haar mit Wurzel wurde auf Sharon Harpers entblößtem Oberkörper gefunden. Möglicherweise gehört es zum Mörder, der mit dem genetischen Fingerabdruck identifiziert werden könnte.

Und als Karl Erhard Jahre später den Fall mit (inzwischen verbesserten Methoden) unter die Lupe nahm, fand man an Sharons Jeanshose DNA-Spuren, die wohl vom Täter stammen. Dass sie nicht mit hiesigen Verdächtigen übereinstimmte, ist für die Ermittler ein weiteres Indiz dafür, dass der Täter ein Auswärtiger, möglicherweise ein US-Amerikaner ist.

Erhard filterte aus dem Kreis von Sharon Harpers Bekannten 23 Personen heraus, die als Tatverdächtige infrage kamen. Über die Staatsanwaltschaft Würzburg wurde ein Rechtshilfeersuchen an die USA gestellt, um diese Verdächtigen zu überprüfen. Auf die Antwort aus den USA warten die Ermittler schon seit geraumer Zeit. Zwar fokussierte sich der Verdacht auf einen US-Soldaten, der in der gleichen Zeit in Giebelstadt eine Frau erstochen hatte und in El Paso seine Haftstrafe absitzt. Aber seine DNA passte nicht – und so wartet der Fall Sharon Harper noch immer auf Aufklärung.

Wer kann zur Aufklärung beitragen? Die Polizei hofft auf Zeugen, die im Fall Sharon Harper auch heute noch mit einem Tipp zur Klärung des Falles beitragen können. Hinweise nimmt die Kriminalpolizei Würzburg unter Tel. (09 31) 4 57 17 32 entgegen.

So funktioniert eine DNA-Analyse

Für eine DNA-Analyse genügen winzige Mengen von Körperzellen wie Blut- oder Speichelspuren, Hautfetzen oder Haare, die am Tatort gefunden werden. Die DNA (englisch: Desoxyribo-Nuclein-Acid) oder DNS (Desoxyribo-Nukleinsäure) ist eines der wichtigsten Moleküle der Welt. Die gesamte Erbinformation lebender Zellen und Organismen ist in ihr enthalten.

Jeder Mensch trägt diese Information in sich.

Der chemische Aufbau und die molekulare Struktur der DNA ist in allen Lebewesen identisch, gleichgültig ob es sich um Mensch, Pflanze oder Bakterium handelt. Da sie aussieht wie eine Strickleiter, die um sich selber gedreht ist, könnte man sagen, die DNA ist die Strickleiter des Lebens. Die Strickleiter besteht aber nicht allein aus Erbinformationen für den jeweiligen Zellaufbau, sondern zu einem großen Teil aus Abschnitten, die keine speziellen Erbinformationen tragen. In diesen sozusagen „blinden“ Abschnitten zwischen den Informationsträgern wiederholen sich bestimmte Kombinationen der Basen in typischer Weise, und zwar je nach Individuum unterschiedlich.

Im Labor wird die DNA mithilfe chemischer Substanzen zerteilt und so die Abschnitte ohne Erbinformation freigelegt. Die werden der Länge nach sortiert und fotografiert. So entsteht das DNA-Muster. Das vergleicht man mit im Computer gespeicherten DNA-Analysen von bereits bekannten Personen. Außerdem werden verdächtigen Personen Körperzellen entnommen, indem mit einem Wattestäbchen einige Zellen der Mundschleimhaut abgelöst werden. Nun kann man DNA-Muster der verdächtigen Personen mit denen der am Tatort gefundenen Zellen vergleichen.

DNA-Analysen werden nicht nur zu kriminalistischen Zwecken angefertigt, sondern auch für Abstammungsgutachten oder um genetische Grundlagen einer bereits bestehenden Krankheit aufzuklären. Bei Lebensmittelkontrollen erkennt man damit genetisch veränderte Sorten, die mit einem Importverbot belegt sind.

Sharon Harper auf einem Foto, mit dem die Polizei nach dem Mord Zeugen suchte.
| Sharon Harper auf einem Foto, mit dem die Polizei nach dem Mord Zeugen suchte.
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