Die eine beeindruckt durch ihre Hilfsbereitschaft, ein anderer hat keine Angst vor großen Namen in der Internet-Industrie: Die Redaktion hat zehn Menschen ausgewählt, die 2022 in Unterfranken für besondere Schlagzeilen gesorgt haben.
1. Stephan Schwab aus dem Bistum Würzburg: Der Priester, der sich öffentlich als schwul outet
Es ist ein mutiger Schritt, den Stephan Schwab Anfang des Jahres geht. Im Zuge der deutschlandweiten Aktion #OutInChurch bekennt der Diözesanjugendseelsorger, der aus Oberndorf (Lkr. Main-Spessart) stammt, schwul zu sein. Öffentlich berichtet der 51-Jährige von jahrelanger Seelenqual, weil diese sexuelle Orientierung angeblich nicht gottgewollt ist, und von einem Versteckspiel gegenüber den Gläubigen.
In der katholischen Kirche sorgt das bundesweite Outing von über 125 nicht-heterosexuellen hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für eine heftige Debatte. Meist stoßen die Betroffenen, darunter mit Schwab und Burkhard Hose zwei geweihte Priester aus dem Bistum Würzburg, auf große Solidarität. Mittlerweile stellt die beschlossene Änderung des kirchlichen Dienstrechts sicher, dass transsexuelle Religionslehrer oder lesbische Erzieherinnen, die bei katholischen Trägern angestellt sind, nicht mehr um ihren Job fürchten müssen, wenn sie sich zu ihrer sexuellen Identität bekennen.
2. Nele Gößwein aus Waldfenster: Die Zwölfjährige, die einem anderen Kind das Leben rettet
Es ist einer der heißen Tage im Juli 2022, die zwölfjährige Nele Gößwein aus Waldfenster (Lkr. Bad Kissingen) ist mit ihrer kleinen Schwester und ihrem Vater im Schwimmbad in Bad Kissingen. Sie spielt gerade im Nichtschwimmerbecken Wasserball, als ihr ein kleines Mädchen auffällt, das alleine im Becken ist und immer wieder Tauchversuche startet. Plötzlich bemerkte Nele, dass die Kleine nicht mehr an die Oberfläche kommt. Da stimmt etwas nicht.
"Ich bin gleich hingeschwommen und runtergetaucht, um sie hochzuholen", sagt die Retterin später. Das Mädchen bekommt erst mal keine Luft, am Beckenrand dann kommt der Atem der Vierjährigen zurück. "Und dann hat sie erstmal geweint." Nele bringt das Mädchen zur Mutter, die schon nach ihrer Tochter gesucht hat. Der lebensrettende Einsatz der Zwölfjährigen macht schnell die Runde. Schließlich lädt Bad Kissingens Oberbürgermeister Dirk Vogel die begeisterte Sportlerin ins Rathaus ein und würdigt ihre Zivilcourage: "Ohne deinen Einsatz wäre das Kind gestorben."
3. Hermann Gerlinger: Der Kunstsammler aus Würzburg, der Millionen für gute Zwecke gibt
Die Nachricht, dass der Würzburger Unternehmer Hermann Gerlinger seine berühmte "Brücke"-Sammlung auflöst und versteigern lässt, stimmt viele Kunstfreunde traurig. Sie hätten die über 1000 Gemälde, Holzschnitte und Zeichnungen von Malern wie Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel und Max Pechstein lieber in einem Museum in der Region ausgestellt gesehen. Der 91-Jährige, der die Werke seit den 1950er Jahren gemeinsam mit seiner Frau Hertha erworben und immer wieder in Museen der Öffentlichkeit präsentiert hat, bekennt zuletzt in einem Gespräch mit TV-Moderator Günther Jauch, wie sehr ihn die Trennung von der Expressionismus-Kunst berühre. Gleichzeitig tröste ihn die Hoffnung, dass neue Besitzer so viel Freude an den Bildern haben wie er.
Allein bei den ersten beiden Versteigerungsrunden in München kommen über 25 Millionen Euro zusammen, die Gerlinger nun der Stiftung Juliusspital, dem Bund Naturschutz und der Stiftung Denkmalschutz zugutekommen lassen will.
4. Adelheid Back aus Windheim: Die 97-Jährige, die seit über acht Jahrzehnten die Kirchenorgel spielt
Adelheid Back ist die "ewige Organistin" von Windheim (Lkr. Bad Kissingen). Seit 82 Jahren begleitet sie in der Kirche Mariä Geburt im kleinen Stadtteil von Münnerstadt die Gottesdienste musikalisch. Gut 20.000 dürften es im Lauf des Lebens gewesen sein. An ihren ersten Einsatz erinnert sich die 97-Jährige noch ganz genau. 15 Jahre war sie damals alt, am Festtag "Peter und Paul", dem 29. Juni 1940. Die Jugendliche hatte sich beim Klavierunterricht gut angestellt und war vom Kaplan ein bisschen an die Orgel geschoben worden. "Es war Kriegszeit, Nazizeit", da sollte sie für den Dorflehrer einspringen. "Ich habe am Vorabend noch gebetet: Herrgott, schick mir eine Krankheit", erzählt Adelheid Back, die zeitweise auch noch vier Chöre in der Region geleitet hat, rückblickend von ihrer "Angst". Aber ihr Vater habe sie damals beruhigt - und es klappte: "Von da an musste ich eben spielen." Bis heute mache ihr das Musizieren an der Orgel Freude, sagt Adelheid Back: "Ich spiele immer noch sehr gerne."
5. Chan-jo Jun aus Würzburg: Der Anwalt, der unermüdlich gegen Hass und Hetze im Netz streitet
Chan-jo Jun, der Würzburger Anwalt "mit niedersächsischem Migrationshintergrund", wie er selbst mit einem Augenzwinkern sagt, engagiert sich nicht erst seit diesem Jahr gegen Hass und Hetze in den sozialen Netzwerken. Gleichwohl erzielt der 48-Jährige 2022 gleich in zwei Gerichtsverfahren Erfolge, die für Schlagzeilen sorgen. Die Internet-Riesen Facebook/Meta und Twitter werden von Richtern in Frankfurt verpflichtet, gefälschte Zitate, Fake-Nachrichten und ehrabschneidende Äußerungen konsequent von ihren Plattformen zu entfernen, und zwar nicht nur in der ursprünglich gemeldeten Version, sondern auch bei sinngleichen Veränderungen.
Experten sprechen von Urteilen mit Pilot-Charakter, die allerdings beide noch nicht rechtskräftig sind. Anwalt Jun sieht sich bestätigt als Streiter für Rechtsstaat und Demokratie. Die brandenburgische Hauptstadt Potsdam würdigt dieses Engagement mit dem Max-Dortu-Preis für Zivilcourage, der an einen Revolutionär der Demokratiebewegung von 1848 erinnert.
6. Gabi Marx aus Würzburg: Die starke Frau, die Elvis ihren Orden aufs Grab legt
Solche Courage ist beeindruckend: Als sie am 25. Juni 2021 bemerkte, dass ein Mann in mörderischer Absicht mit gezücktem Messer durch das Kaufhaus Woolworth am Würzburger Barbarossaplatz hetzt, trieb Verkäuferin Gabi Marx nicht nur ihre Kundinnen und Kunden zur Tür. Draußen warf sie sich schützend vor ein elfjähriges Mädchen, dessen Mutter der Somalier bereits getötet hatte. Sie selbst erlitt dabei drei tiefe Stiche in Hals und Nacken, kämpfte tagelang um ihr Leben und lag wochenlang im Krankenhaus.
"Eine starke Frau" nennt der Vorsitzende Richter im Prozess um den Messerangriff Gabi Marx, als sie dort als Zeugin aussagt. Digitalministerin Judith Gerlach verleiht der 53-Jährigen im Sommer in Würzburg den bayerischen Verdienstorden - und würdigt ihren Mut und ihre Bescheidenheit. Gabi Marx wiederum, schon immer ein glühender Fan der Rock'n'Roll-Ikone Elvis Presley, reist anschließend nach Memphis in die USA, um ihrem Idol die Auszeichnung aufs Grab zu legen.
7. Heiko Paeth: Der Professor der Uni Würzburg, der den trockenen Sommer erklären muss
Fast drei Monate fällt vielerorts in Unterfranken überhaupt kein Regen. Der Sommer 2022 geht als einer der trockensten überhaupt in die Geschichte ein. Nur eine Wetterlaune oder doch ein Zeichen, dass die Klimaerwärmung auch in der Region voranschreitet? "Der Nachweis des menschengemachten Klimawandels ist erbracht", sagt Professor Heiko Paeth. Der Klimaforscher der Uni Würzburg ist ein gefragter Experte in diesem Hitzesommer. Und ein Warner dazu.
Wenn sich nicht schnell etwas ändere, werde sich die Zahl der Hitzetage, also der Tage, an denen die Temperaturen mehr als 30 Grad betragen, im Maintal auf mehr als 30 jedes Jahr versechsfachen, sagt Paeth. Die Folgen für die Gesundheit, vor allem von Säuglingen und älteren Menschen, seien lebensbedrohlich. Der 52-Jährige betont, neben der Politik könne jeder Einzelne selbst dazu beitragen, den Klimawandel abzumildern. Er empfiehlt unter anderem, kleinere Autos zu fahren, auf Flugreisen zu verzichten, weniger Fleisch zu essen sowie Lebensmittel saisonal und aus regionaler Landwirtschaft zu kaufen.
8. Juliana Seelmann: Die Oberzeller Ordensschwester, die sich nicht einschüchtern lässt
Erleichtert verlässt Schwester Juliana Seelmann im Juli den Gerichtssaal: Angeklagt wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt, wird die Ordensfrau aus dem Franziskanerkloster Oberzell (Lkr. Würzburg) im Berufungsverfahren vor dem Landgericht Würzburg freigesprochen. In erster Instanz war die 39-Jährige noch zur Zahlung von 500 Euro an eine gemeinnützige Organisation verurteilt worden, weil sie zwei Zwangsprostituierten aus Nigeria Zuflucht im Kloster gewährt hatte - trotz eines vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnten Asylantrags.
Den Vorwurf, sie habe die Frauen gedrängt, im Kloster zu bleiben, weist Seelmann zurück. Sie zeigt sich überzeugt, richtig gehandelt zu haben. Mit der Ordensschwester freuen sich zahlreiche Mitstreiterinnen und Mitstreiter von Flüchtlingshilfsorganisationen. Als "starkes und wichtiges Signal in die Gesellschaft" wertet der Würzburger Bischof Franz Jung das Urteil. Bereits im Februar 2022 war der Benediktinermönch Abraham Sauer aus Münsterschwarzach (Lkr. Kitzingen) in einem ähnlichen Fall in Bamberg freigesprochen worden.
9. Igor Turin: Der Arzt aus Karlstadt, der seit Monaten Hilfe für die Ukraine organisiert
Das Leid von Millionen Ukrainerinnen und Ukrainern lässt auch die Menschen in Unterfranken nicht kalt. Die Hilfsbereitschaft ist groß, viele Initiativen entstehen, um den Geflüchteten hierzulande beizustehen, aber auch um Hilfsgüter in die Ukraine zu bringen. Eine der größten Hilfsaktionen startet der Arzt Igor Turin in Karlstadt (Lkr. Main-Spessart) unmittelbar nach dem russischen Überfall. Er könne "nicht nichts machen", sagt der Rheumatologe, also legt er los. Kurz vor Weihnachten chartern Turin und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter bereits den 40. und 41. Lastwagen mit Technik und Materialien, die in der Ukraine dringend benötigt werden. Ein Schwerpunkt liegt bei der Ausstattung von Krankenhäusern unter anderem mit Spezialbetten, Beatmungsgeräten, OP-Besteck sowie Medikamenten aller Art. Turin und sein Team haben über den Lions-Förderverein Karlstadt-Mittelmain mittlerweile allein in der Region über eine halbe Million Euro an Spendengeldern gesammelt, dazu kommen jede Menge Sachspenden.
10. Claudia Stamm: Die Tochter, die in Würzburg so berührend Abschied von ihrer Mutter nahm
Als die ehemalige bayerische Landtagspräsidentin und Sozialministerin Barbara Stamm am 5. Oktober stirbt, ist für die Familie schnell klar, dass sie ihre Trauer mit vielen, mehr oder weniger bekannten Menschen aus ganz Bayern wird teilen müssen - auch wenn es schwerfällt. Zu aktiv, zu beliebt ist die CSU-Politikerin bis zuletzt gewesen. Ihrer Tochter Claudia Stamm gelingt es, beim Trauerstaatsakt im Würzburger Dom - nach den Nachrufen der politischen Weggefährten - sehr persönliche Abschiedsworte zu finden. Berührend, wie die Älteste der drei Kinder aus dem Leben ihrer Mutter berichtet, vor allem aber, wie sie die letzten Stunden mit der "Mutti" schildert.
Claudia Stamm erzählt, wie sie mit ihrer Mutter am Sterbebett Musik gehört hat, wie sie gemeinsam gebetet haben, wie sie ihr vorgelesen hat. Und wie Barbara Stamm noch einmal herzlich lachte. Es sind sehr private Einblicke, die die 52-Jährige den mehr als 1000 Trauergästen und vielen Zuschauerinnen und Zuschauern an den Fernsehgeräten gewährt. Ihrer Mutter hätte es gefallen.
Einige machen Nachdenklich und können schon Emotional sein.
Aber jeder ist da anders “ gestrickt “