Er habe den Bundespräsidenten, einige Ministerpräsidenten und viele Minister kennengelernt in seinem Leben, sagt Hermann Gerlinger, "und jetzt auch noch Günther Jauch". Gut gelaunt erscheint der Würzburger Kunstsammler im Ingelheim-Saal der Würzburger Residenz. Dort ist alles angerichtet für einen Filmdreh: TV-Star Jauch ist nach Würzburg gekommen, um den 91-Jährigen und sein Lebenswerk im gemeinsamen Gespräch zu würdigen - jetzt, wo die berühmte Sammlung des Würzburger Unternehmers mit Werken der "Brücke"-Künstler aufgelöst und versteigert wird.
Ketterer Kunst hatte die Idee, mit einem Film, der ab sofort auf der Homepage des Münchner Auktionshauses zu sehen ist, Gerlinger ein Denkmal zu setzen. Der Sammler selbst hat sich etwas geziert. Nach all der Aufregung, als er und seine Frau Hertha Anfang dieses Jahres bekannt gegeben hatten, sich von den über 1000 Werken der Expressionismus-Maler Karl Schmidt-Rottluff, Ernst Ludwig Kirchner, Friedrich Heckel, Max Pechstein oder Emil Nolde zu trennen, wollte er künftig in Ruhe gelassen werden. Der Name Günther Jauch und das Ambiente in der Residenz weckten dann aber doch seine Neugierde. Allerdings stellt Gerlinger gleich zu Beginn des Treffens klar, dass er nur "maximal 45 Minuten Zeit" für die Dreharbeiten habe.
Günther Jauch lässt sich nicht aus der Ruhe bringen
Eine Ansage, die Profis wie Jauch und das Produktionsteam von TVT creative media unter der Leitung von Franz Stepan, einem Tochterunternehmen der Mediengruppe Pressedruck, zu dem auch die Main-Post gehört, nicht aus der Ruhe bringt. Mit seinem Charme und seinem Einfühlungsvermögen gelingt es dem Moderator, den Sammler schnell in ein munteres Gespräch zu verwickeln.
Gerlinger schildert, wie er als junger Mensch seine Passion für die Künstlergruppe entwickelte, die von 1905 bis 1913 bestand und so wegweisend für die klassische Moderne ist. Daran hätten auch die Nationalsozialisten, die die Bilder von Kirchner, Heckel und Co. als "entartet" verfemten, nichts ändern können.
Mit dem Holzschnitt "Melancholie" fing alles an
Einmal mehr berührend die Anekdote, wie alles begann: Hermann Gerlinger, Student der Wärmetechnik, entdeckte Anfang der 1950er Jahre in der Münchner Galerie Günther Franke den Holzschnitt "Melancholie" von Schmidt-Rottluff - und war fasziniert. Nur leisten konnte er sich die 30 D-Mark für das Kunstwerk damals nicht. Als Galerist Franke ihm schließlich anbot, in Raten zu fünf Mark zu zahlen, schlug der junge Mann aus Würzburg ein - und kaufte den Holzschnitt für seine Studentenbude.
Es war der Start einer Sammlung, die Kunstexperten vor allem ob ihrer Vielfalt und Geschlossenheit beeindruckt. Ihn habe das Lebenswerk der Künstler über die "Brücke"-Zeit hinaus fasziniert, erläutert Gerlinger vor den Kameras so leidenschaftlich, wie man ihn von früheren Führungen durch die Sammlung kennt.
Viele hundert Gemälde, Zeichnungen, Holzschnitte und Skizzenbücher hat er über die Jahrzehnte erworben - im Kunsthandel, bei Nachlass-Versteigerungen, manchmal - wie im Fall Schmidt-Rottluff - auch vom Künstler selbst.
Von der Sammlung Gerlinger hat Günther Jauch erst vor wenigen Wochen gehört
Ein Lebensweg, der Jauch sichtlich beeindruckt. Er habe von der Sammlung Gerlinger bis vor wenigen Wochen tatsächlich nie gehört, gesteht er im Gespräch mit dem Reporter. Auktionator Robert Ketterer sei dann mit der Idee, das Interview zu führen, auf ihn zugekommen - und er habe gerne zugesagt.
Expressionistische Kunst sei ihm nicht fremd, das "Brücke"-Museum in Berlin liege nicht weit entfernt von seinem Wohnort Potsdam, erzählt Jauch. Dass der Fernsehjournalist kunstgeschichtlich interessiert ist, ist generell kein Geheimnis. So leiht er dem Barberini-Museum in der brandenburgischen Hauptstadt, das vor allem Bilder aus dem Impressionismus zeigt, seine Stimme für den Audioguide.
Mit vielen Millionen Euro hat sich der 66-jährige Jauch zudem am Wiederaufbau und der Renovierung historischer Bauten in Potsdam beteiligt - wie dem Fortuna-Portal am Stadtschloss, dem Schloss Belvedere am Pfingstberg oder dem Turm der Garnisonskirche. Mitnichten aber investiere er nur in Steine, betont Jauch - und verweist auf sein Engagement bei der Potsdamer Arche, einer Einrichtung, die eine tägliche Nachmittagsbetreuung und Mittagessen für 80 Kinder aus sozial benachteiligten Familien organisiert. Dort finanziere er seit vielen Jahren den Unterhalt.
Jauch ist zum ersten Mal in Würzburg
Und Würzburg? "Ich bin tatsächlich das erste Mal hier", räumt Günther Jauch ein. Er wirkt ein wenig ungläubig über sich selbst: "Schließlich habe ich 14 Jahre für den Bayerischen Rundfunk gearbeitet." Es war der Beginn seiner Karriere in den 70er und 80er Jahren - zunächst als Reporter und Moderator beim Radio. "Randersacker kenne ich noch", fällt ihm ein, "da war immer Stau". Bis zu "achtmal am Tag" habe er den Namen der Würzburger Vorortgemeinde an der Autobahn in den Verkehrsmeldungen erwähnen müssen.
Münnerstadt sei ihm auch ein Begriff, sagt Jauch und schmunzelt. Reinhold Vöth, damals Intendant des Bayerischen Rundfunks, habe den jungen Journalisten im Sender immer von dem Städtchen vorgeschwärmt, in dem er einst zur Schule ging. Gleichzeitig habe Vöth das Wort Mainfranken immer "so komisch" ausgesprochen. "Mein Franken" habe er gesagt, "so als würde ihm ganz Franken gehören". Was die Erinnerung 40 Jahre später so alles freisetzt ...
Apropos Erinnern. Von Hermann Gerlinger will Jauch im Verlauf des Interviews wissen, nach welchen Kriterien er seine Bilder all die Jahre ausgewählt habe. Zunächst habe er gekauft, was ihm gefallen habe, was er bezahlen konnte, antwortet dieser. Später habe er dann versucht, gezielt Lücken zu schließen. Ob er Meilensteine seiner Sammlung benennen könne, fragt Jauch. Der 91-Jährige ziert sich, man spürt, dass ihm viele, sehr viele Bilder ans Herz gewachsen sind. Er will sich nicht entscheiden müssen: "Was einmal in der Sammlung war, blieb in der Sammlung."
Die Trennung von den Bildern fällt Gerlinger schwer: "Das ist für mich ein schlimmer Zustand"
Dass der wertvolle "Brücke"-Fundus trotz mehrfacher Versuche nicht dauerhaft in einem Museum heimisch wurde und nun zerschlagen wird, auch diese Entwicklung thematisiert Jauch. Sammler Gerlinger beklagt einmal mehr die Zurückweisung durch die Verantwortlichen in Würzburg in den 1990er Jahren. Einem Unternehmer der Heizungs- und Sanitärtechnik habe man eine hochwertige Kunstsammlung offensichtlich nicht zugetraut, lautet einmal mehr sein bitteres Resümee.
Ja, die Trennung von den Bildern, die sein und das Leben seiner Frau so geprägt haben, falle ihm schwer. "Das ist für mich ein schlimmer Zustand", gesteht Gerlinger und rückt Jauch, der ihm gegenüber sitzt, ein wenig näher. Schnell löst sich die Anspannung: Ihn tröste die Hoffnung, so sagt der 91-Jährige, dass die neuen Besitzer der "Brücke"-Werke "so viel Freude an der Kunst haben, wie ich sie in meinem Leben hatte".
Am 9. Dezember ist die nächste Auktion von Gerlinger-Bildern
Die nächste Gelegenheit, einen Kirchner oder Heckel aus der Gerlinger-Sammlung zu erwerben, bietet sich Kunstinteressierten am 9. und 10. Dezember in München. Dann steigt im Auktionshaus Ketterer in München die zweite Versteigerungsrunde. Aufgerufen werden so markante Gemälde wie "Das blaue Mädchen in der Sonne", 1910 gemalt von Ernst Ludwig Kirchner. Schätzpreis laut Katalog: zwei bis drei Millionen Euro. Oder: "Rote Düne", ein Hauptwerk von Karl Schmidt-Rottluff aus dem Jahre 1913. Schätzpreis hier: 800.000 bis 1,2 Millionen Euro. Weitere Auktionen sollen bis 2025 folgen.
Schon im Juni, als die ersten 45 Werke aus der Sammlung Gerlinger in München versteigert wurden, kamen rund sechs Millionen Euro als Erlös zusammen. Geld, das Hertha und Hermann Gerlinger nun zu gleichen Teilen an den Bund Naturschutz, die Deutsche Stiftung Denkmalschutz und an die Stiftung Juliusspital in Würzburg spenden. Mitgeboten hätten, so heißt es bei Ketterer, überwiegend private Sammler, darunter viele jüngere, aber auch Museen in den USA.
In der Residenz liegt Günther Jauch derweil gut in der Zeit. Die 45 Minuten, die ihm Gerlinger genehmigt hatte, sind noch nicht ganz vorüber. Ob er denn für ein paar Aufnahmen mit dem Fernsehstar durchs Treppenhaus der Residenz laufen würde, fragt Produktionsleiter Stepan. Der 91-Jährige zögert: "Wenn es sein muss, ja. Aber macht schnell, sonst kostet's Geld."
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Zimmermann, Main-Post Digitales Management
Und das alles nur. weil dem Würzburger Stadtrat öfters mal der Weitblick fehlt.....
Für diese einmalige Sammlung hätte man in Würzburg einen Platz finden können, wenn man gewollt hätte!