Sehr geehrter Herr Gerlinger,
die Nachricht, dass Sie Ihre berühmte Sammlung mit Bildern der "Brücke"-Maler versteigern lassen, stimmt mich traurig. Da droht uns allen ein Stück Kulturgut verloren zu gehen: Die Gemälde, Holzschnitte und Zeichnungen der expressionistischen Künstler Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein, Fritz Bleyl oder Otto Mueller sind das Größte, was die klassische Moderne in der Kunst zu bieten hat. Die Vorstellung, dass diese Werke künftig womöglich in den Tresoren von Kapitalanlegern aus aller Welt verschwinden, ist zum Heulen.
Das Schicksal Ihrer Sammlung berührt mich zum einen, weil ich zwischenzeitlich auch von einem "Brücke"-Museum in unserer gemeinsamen Heimatstadt Würzburg geträumt habe, das die Gerlinger-Sammlung ausstellt - und so ein Anziehungspunkt für Kunstfreunde weit über Deutschland hinaus gewesen wäre. Zum Zweiten bin ich angefasst, weil ich Sie persönlich mit Ihren Bildern erlebt und Sie von Ihrer Sammelleidenschaft erzählen gehört habe. Dass dieses Lebenswerk, das auch das Lebenswerk Ihrer Frau Hertha ist, so zu Ende geht, ist jammerschade.
Führung durch die Ausstellung in Halle
Vor zehn Jahren, im Herbst 2011, hatten Sie mich eingeladen, doch mal mit nach Halle zu fahren, wenn Sie eine Besuchergruppe aus Würzburg durch ihre damals im Museum Moritzburg ausgestellte Sammlung führen. Der Ehrenrat der Karnevalsgesellschaft Elferrat, dem sie selbst angehören, hatte einen Bus gechartert. Mit viel Herzblut führten Sie die muntere Truppe durch die Räume, schwärmten vor den großen, farbenfrohen Ölgemälden von Kirchner oder Pechstein, zeigten aber auch die kleinen Besonderheiten, Holzschnitte, Zeichnungen, die dem Auge eines Museumsbesuchers häufig entgehen.
Sie haben uns damals auch erzählt, wie die Bilder zu Ihnen in die Sammlung gekommen sind. Rührende Anekdoten. Schon der Start war besonders: Als Student der Wärmetechnik entdeckten Sie Anfang der 1950er Jahre in einer Münchner Galerie den Holzschnitt "Melancholie" von Schmidt-Rottluff - und waren fasziniert. Nachdem der Galerist Ihnen angeboten hatte, den Kaufpreis von 30 Mark in Raten à fünf Mark abzustottern, konnten Sie das Werk für ihre Studentenbude kaufen. Es war der Beginn Ihrer Sammelleidenschaft.
Hoch emotional wurde es, als wir vor dem Bild "Du und ich", einem Highlight Ihrer Sammlung, standen. Das Doppelporträt hatte Schmidt-Rottluff 1919 seiner Frau zur Hochzeit gemalt. Als Sie in den 1970er Jahren bei dem Künstler im Atelier saßen - Sie kannten ihn mittlerweile gut - hätten Sie ihn beim Tee gefragt: Ob er sich vorstellen könne, dass das Bild einmal Teil der Sammlung Gerlinger werde? Der hochbetagte Maler habe zunächst nicht geantwortet, erzählten Sie. Und sagten, mit Tränen in den Augen: "Nach einigen Monaten meldete er sich. Er hatte sein Bild für mich reserviert." Im Museum in Halle hätte man in diesem Augenblick die berühmte Stecknadel fallen hören.
Beispielhaftes Engagement eines privaten Sammlers
Lieber Herr Gerlinger, Ihr Enthusiasmus für die Maler des Expressionismus war immer mitreißend. Ihre Bereitschaft, die wertvolle Kunst mit der Öffentlichkeit zu teilen, sie zu zeigen, ist beispielhaft. Längst nicht jeder private Sammler tut das. Warum es dennoch nicht mit einer dauerhaften Präsentation geklappt hat? Müßig, darüber jetzt noch zu diskutieren. Sie als Sammler, die Museumsleute und die Politiker auf der anderen hatten immer wieder zu unterschiedliche Vorstellungen - leider auch in Würzburg.
Wenn die Bilder jetzt unter den Hammer kommen, muss es Ihnen und Ihrer Frau das Herz brechen. Dass Sie den Erlös der Versteigerung - Experten erwarten einen hohen zweistelligen Millionenbetrag - zu gleichen Teilen dem Bund Naturschutz, der Stiftung Denkmalschutz und der Juliusspital-Stiftung zukommen lassen wollen, ehrt Sie.
Bleibt die Sammlung in Deutschland?
Und trotzdem: Meine Hoffnung stirbt zuletzt. In einem Radio-Interview hat dieser Tage Frédéric Bußmann, der Generaldirektor der Kunstsammlungen Chemnitz, gefordert, Kunstmuseen in Deutschland sollten sich zusammentun und einige Ihrer Werke möglicherweise gemeinsam bei der Auktion erwerben. Die Museen sollten dafür "kämpfen", zumindest einen Teil Ihrer Sammlung in Deutschland und damit öffentlich zugänglich zu halten.
Bußmann äußert in dem Interview die Hoffnung, dass so eine Lösung auch in Ihrem Interesse liegen könnte. Ich frage Sie also mit aller Zurückhaltung: Können Sie sich vorstellen, so eine Initiative zu unterstützen? Wir Kunstfreunde würden es Ihnen danken.
Herzliche Grüße
Michael Czygan, Redakteur