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Windheim
Seit 1940 an der Orgel: Adelheid Back aus Windheim spielt auch mit 97 Jahren noch bei jedem Gottesdienst
Ihren ersten Gottesdienst an der Orgel begleitete Adelheid Back mitten im Zweiten Weltkrieg. Es sind rund 20.000 Messen dazugekommen. Das Porträt einer außergewöhnlichen Frau.
'Es macht mir immer noch Freude:' Adelheid Back ist 97 Jahre alt und spielt inzwischen seit 82 Jahren die Kirchenorgel in Windheim bei Münnerstadt.
Foto: Thomas Obermeier | "Es macht mir immer noch Freude:" Adelheid Back ist 97 Jahre alt und spielt inzwischen seit 82 Jahren die Kirchenorgel in Windheim bei Münnerstadt.
Simon Snaschel
 |  aktualisiert: 23.02.2024 14:58 Uhr

Der kurze Weg zur Wallfahrtskirche Mariä Geburt ist für Adelheid Back anstrengend geworden. Zu Fuß kann ihn die 97-Jährige bereits länger nicht mehr bewältigen. Einen Führerschein besitzt sie nicht. Doch Freunde helfen gerne, holen sie zuhause ab: Woche für Woche, Gottesdienst für Gottesdienst spielt die rüstige alte Dame in ihrem Heimatort Windheim (Lkr. Bad Kissingen) die Orgel in der Kirche. Noch immer – wie seit mittlerweile unglaublichen 82 Jahren.

Wie oft Adelheid Back das Instrument in der Heiligen Messe schon gespielt hat, das hat sie nie gezählt. Alleine in Windheim, einem Ortsteil von Münnerstadt, dürften es rund 20.000 Gottesdienste gewesen sein, die sie über die Jahre musikalisch begleitet hat. Dazu kommen unzählige weitere Messen in benachbarten Orten, in denen sie immer gerne ausgeholfen hat. Und zuhause, auf ihrem Keyboard in der Küche, da spielt die 97-Jährige ohnehin fast jeden Abend ihre Kirchenlieder. "Da komme ich nicht aus der Übung", sagt sie.

Ihren ersten Gottesdienst spielte sie als 15-Jährige

Es ist ein warmer Julitag. Adelheid Back sitzt an ihrem kleinen Küchentisch, zuhause in Windheim, im Hohner Weg, wo sie so lange schon lebt. In dem Haus, das ihr Bruder einst gebaut hat. Verheiratet war sie nie. Sie widmet ihr Leben der Kirche und der Musik. Fotos von Freunden und Verwandten schmücken die Wände. Bilder von früher. Erinnerungen an vergangene Zeiten: Adelheid Back als junge Frau, die auf dem Hof der Familie anpackt. Und natürlich: Adelheid Back an der Orgel.  

Die richtigen Tasten trifft Adelheid Back auch mit 97 Jahren noch.
Foto: Thomas Obermeier | Die richtigen Tasten trifft Adelheid Back auch mit 97 Jahren noch.

An ihren ersten Gottesdienst an der Orgel erinnert sie sich genau. Fast auf den Tag 82 Jahre liegt er zurück. "Am 29. Juni 1940", sagt sie. An Peter und Paul, dem Fest der Apostel Petrus und Paulus. 15 Jahre war Adelheid Back damals alt. Das Mädchen hatte sich beim Klavierunterricht gut angestellt und war vom Kaplan gewissermaßen an die Orgel geschoben worden. "Es war Kriegszeit, Nazizeit", erinnert sie sich. Dorflehrer durften an Wochentagen die Orgel nicht spielen, und die Schülerin sollte einspringen.

Nur eine Handvoll Besucher sitzt im Gottesdienst

"Ich habe am Vorabend noch gebetet: 'Herrgott, schick mir eine Krankheit'. Ich hatte wirklich solche Angst, es war ja gleich ein Festgottesdienst. Aber der Papa hat mich beruhigt, und es hat dann doch geklappt. Von da an musste ich eben spielen." Adelheid Back erzählt die Geschichte ihrer Premiere mit leuchtenden Augen, voller Begeisterung, als wäre es gestern gewesen. "Es macht mir immer noch Freude", sagt sie, "ich spiele immer noch sehr gerne".

Die Wallfahrtskirche Mariä Geburt im Münnerstädter Ortsteil Windheim.
Foto: Simon Snaschel | Die Wallfahrtskirche Mariä Geburt im Münnerstädter Ortsteil Windheim.

Einige Tage später: Die Kirche in Windheim ist spärlich besetzt an diesem Donnerstagabend. Eine Handvoll Frauen und Männer betet in den hinteren Reihen den Rosenkranz. Am Altar bereitet Dekan Stephan Hartmann seinen Gottesdienst vor.

Fotoserie

Mit kurzen Schrittchen durchquert Adelheid Back das Kirchenschiff, Krücken geben ihr Sicherheit. Der Dekan begrüßt seine Organistin, reicht ihr einige Seiten mit den Liedern für die Messe. Ein kurzer Blick, ein Nicken. Keine Einwände.

Adelheid Back ist die ewige Organistin von Windheim

Die hat Adelheid Back selten, verrät Stephan Hartmann nach dem Gottesdienst. Auch, wenn im Zweifel immer die Organistin das letzte Wort hätte. "Sie wagt eigentlich alles zu spielen", sagt der Dekan. "Würdig, korrekt, akkurat bis in die Kleidung hinein", so beschreibt er die ewige Organistin von Windheim. "Sie hat ihre Talente immer mit dem Gedanken gelebt: 'Ich bin von Gott beschenkt und das muss ich für die Gemeinschaft leben'. Das zieht sie bis heute, mit 97 Jahren, konsequent durch."

Das beschauliche Windheim im Landkreis Bad Kissingen hat rund 350 Einwohnerinnen und Einwohner.
Foto: Simon Snaschel | Das beschauliche Windheim im Landkreis Bad Kissingen hat rund 350 Einwohnerinnen und Einwohner.

Dekan Stephan Hartmann hat Vergleichbares in seiner Kirchenlaufbahn noch nicht erlebt. Überhaupt dürfte die 97-Jährige mit hoher Wahrscheinlichkeit eine der ältesten und freilich auch dienstältesten Organistinnen in Deutschland sein.

Im Bistum Würzburg ist man stolz auf die alte Dame

Zwar will man sich darauf zumindest im Bistum Würzburg nicht verbindlich festlegen, Diözesanmusikdirektor Gregor Frede sagt aber: "Das Bistum ist stolz auf Menschen wie Adelheid Back. Sie zeichnet eine lebenslange musikalische Erfahrung an der Orgel aus. Sie war immer da, wenn sie gebraucht wurde." Für ihre große Treue zur Kirchenmusik und zur Kirche ist Frede voller Dankbarkeit: "Gottes Segen möge sie begleiten."

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Auch wenn nur fünf, sechs Besucher da sind: Adelheid Back begleitet auch diesen Donnerstags-Gottesdienst souverän, fokussiert, sicher. Für diese Dreiviertelstunde merkt man der bald Hundertjährigen ihr Alter kaum an. Eine Messe ohne sie, das können die Gläubigen in Windheim sich nicht vorstellen. "Das gab es auch sehr selten", sagt Rosemarie Müller nach dem Gottesdienst.

Und Helga Hein, die 28 Jahre lang den Pfarrgemeinderat geleitet hat, weiß: "Adelheid ist nicht unterzukriegen. Als ich angefangen habe im Kirchendienst, war sie ja auch schon eine ältere Dame und ich hätte nie geglaubt, dass sie, wenn ich aufhöre, noch immer Orgel spielt. Adelheid ist einfach immer zur Stelle."

Nach dem Gottesdienst: Dekan Stephan Hartmann und die Windheimerinnen Helga Hein und Rosemarie Müller (von links) sprechen voller Hochachtung von Adelheid Back.
Foto: Simon Snaschel | Nach dem Gottesdienst: Dekan Stephan Hartmann und die Windheimerinnen Helga Hein und Rosemarie Müller (von links) sprechen voller Hochachtung von Adelheid Back.

Zurück im Hohner Weg, am Küchentisch, einige Tage zuvor. Da sagt auch Adelheid Back, dass sie nicht viele Gottesdienste versäumt habe. Auch nach einer schweren Krankheit nicht. "So bald es gegangen ist, habe ich wieder gespielt." Manchmal sei sie mit Fieber am Instrument gesessen. "Ich bin auch in die Kirche gegangen, wenn es mir richtig mies gegangen ist. Aber ich habe es immer gerne gemacht. Und es ist dann halt auch Pflicht", sagt die 97-Jährige bestimmt.

Nur einmal hat Adelheid Back ans Aufhören gedacht

Ans Aufhören hat Adelheid Back nur einmal gedacht: "Das war noch beim Lernen, als der Bassschlüssel drangekommen ist. Da habe ich gedacht: 'So ein Blödsinn, warum soll man denn die Noten jetzt anders lesen, als sie dastehen?' Das ging nicht in meinen Kopf. Da wollte ich aufhören, ja." Wieder war es ihr Vater, der sie beruhigte. "Er hat mir gesagt, dass ich so viel geschafft habe und dass ich das jetzt auch schaffen würde. Gott sei Dank."

Später sei ihr der Gedanke ans Aufhören nie mehr gekommen.

Eine Aufnahme aus dem Jahr 1990 zeigt Adelheid Back, natürlich an der Orgel.
Foto: Repro Simon Snaschel | Eine Aufnahme aus dem Jahr 1990 zeigt Adelheid Back, natürlich an der Orgel.

Geändert haben sich die Umstände. Seit fünf Jahren ist die Empore mit der Orgel für Adelheid Back nicht mehr erreichbar. "Wegen der Hüfte", sagt sie. Eine Lösung gab es rasch: "Ich hatte ja selber eine Orgel, die haben sie mir dann in die Kirche gebracht", erzählt sie. Das elektronische Instrument steht seitdem im Kirchenschiff.

In Großenbrach warten sie auf die versprochene Orgel

"Dabei ist die schon so lange versprochen", sagt Adelheid Back mit einem schelmischen Lächeln im Gesicht: ins Nachbardorf Großenbrach, wo sie auch oft schon ausgeholfen hat. "Die haben da so eine Funzel von Orgel, da habe ich immer gesagt, dass sie meine kriegen, wenn ich mal sterbe. Die warten jetzt schon ein paar schöne Jahre."

Ihre Emotionen versteckt Adelheid Back auch mit 97 Jahren nicht. Auch nicht, wenn sie ins Schimpfen gerät. Wie, wenn es um das 2013 und 2014 neu aufgelegte Gotteslob, das Gebet- und Gesangsbuch der römisch-katholischen Kirche, geht: "Zehn Jahre haben sie gebraucht, bis es kommt. Und dann war es vermurkst", sagt sie. Warum? "Wir hatten dafür keine Orgelbücher, die Leute aber schon die neuen Gesangsbücher. Dann haben wir aus den alten Büchern gespielt, aber die neuen Liednummern angezeigt. Das war wirklich eine Zumutung." Ein junger Mensch komme damit zurecht, sagt sie, ein alter Mensch müsse damit zurechtkommen.

Da Adelheid Back die Treppen zur Orgel nicht mehr bewältigen kann, wurde ihr ein Instrument ins Kirchenschiff gestellt.
Foto: Thomas Obermeier | Da Adelheid Back die Treppen zur Orgel nicht mehr bewältigen kann, wurde ihr ein Instrument ins Kirchenschiff gestellt.

Grundsätzlich ist die Windheimerin offen für neue Entwicklungen. Noch immer übt sie zuhause neue Stücke ein, will auf dem Stand der Anforderungen bleiben. Mit den Pfarrern, die die Liedauswahl treffen, sei sie immer zurechtgekommen.

Einer habe sie in Anlehnung an die Schutzpatronin der Kirchenmusik einst als die "Heilige Cäcilia von Windheim" vorgestellt. So recht erzählen mag sie das aber gar nicht. Überhaupt verstehe sie die Aufregung um sich selbst und ihr Orgelspiel oft nicht. "Ich habe es doch immer gerne gemacht."

Zeitweise hat Adelheid Back vier Chöre geleitet

Freude bereitet der alten Dame mit ihren langen, weißen Haaren vielmehr, was sie von den Menschen zurückbekommt. Unheimlich viele seien ihr über die Jahre begegnet, natürlich. Und auch viel Idealismus. Alleine 27 Jahre hat sie den Chor im sechs Kilometer entfernten Burglauer geleitet. Stets wurde sie abgeholt und wieder nach Hause gebracht, "zu jeder Probe und zu jedem Auftritt". Zeitweise waren es vier Chöre gleichzeitig. Als sie davon erzählt, wird Adelheid Back nachdenklich. Die Dankbarkeit ist ihr anzumerken.

Freudig erinnert sich Adelheid Back an ihrem Küchentisch an ihre Anfänge an der Orgel.
Foto: Thomas Obermeier | Freudig erinnert sich Adelheid Back an ihrem Küchentisch an ihre Anfänge an der Orgel.

Aus gesundheitlichen Gründen kann sie selbst nicht mehr singen. Trotzdem leitet sie bis heute das "Chörle" im heimischen Windheim. Und auch dort hat sie ihren persönlichen, verlässlichen Fahrdienst: Freunde, Freundinnen oder Bekannte bringen sie gerne vom Hohner Weg zur Chorprobe oder eben zum Gottesdienst.

Die Wege mögen anstrengend geworden sein. Aber bewältigen wird Adelheid Back sie auch weiterhin.

Weil es ihre Pflicht ist.

Aber vor allem, weil sie es immer noch gerne tut.

Wie der Autor seinen Besuch bei Adelheid Back erlebt hat

Simon Snaschel
Foto: Steffen Schneider | Simon Snaschel
Als ich den Hinweis auf diese besondere Frau erhalten habe, dachte ich im ersten Moment, mich verhört zu haben: Seit 82 Jahren sei die Organistin in Windheim aktiv, sagte man mir. Und das mit 97 Jahren. In diesem Alter noch Woche für Woche Gottesdienste musikalisch zu begleiten, erschien mir kaum vorstellbar. Bei meinem Besuch in ihrer Wohnung in Windheim habe ich Adelheid Back als unheimlich bescheidene Frau kennengelernt, die die Aufregung um ihre Person beim besten Willen nicht verstehen konnte. "Sie sind extra wegen mir aus Würzburg gekommen?", fragte sie meinen Kollegen und Fotografen Thomas Obermeier. Für sie ist der Kirchendienst an der Orgel nicht mehr und nicht weniger als ihre Pflicht, der sie voller Freude und mit eiserner Konsequenz nachkommt.
 
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  • W. B.
    Ich (selber 76 Jahre alt) hätte noch eine nette Anekdote beizusteuern. Die Mutter meiner Frau war (2018 im Alter von 96 Jahren verstorben) eine Cousine zu Adelheid Back und lebte im Nachbarort Reichenbach. Beide Mädchen hatten unabhängig voneinander das Angebot bekommen, das Orgelspiel zur Gottesdienstbegleitung zu erlernen. Regina Back aus Reichenbach hatte das Angebot ausgeschlagen- warum auch immer- Adelheid Back aus Windheim hatte angenommen, wie man sieht mit Erfolg.
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  • G. E.
    Vielen, vielen Dank, für diese wunderbare Würdigung der Organistin aus Windheim. Ihr meinen allergrößten Respekt für diese unglaubliche Leistung.
    Hatte vor einiger Zeit einen ähnlichen Bericht - ich bin selbst Organist, seit unglaublich kurzer Zeit
    (32 Jahre) in Anbetracht der Kollegin aus Windheim.
    Ich durfte über Emil Jäger schreiben und es hat mir wahnsinnig Freude bereitet grinsen
    https://www.mainpost.de/regional/schweinfurt/orgelspiel-zu-ehren-gottes-art-10545913
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  • G. B.
    Meine innerste Hochachtung!
    Ich wünsche Frau Back weiterhin Gesundheit und Lebensfreude - und noch einige Jahre an der Orgel!!!
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  • M. D.
    Ein super Porträt über eine leidenschaftliche Organistin. Inspirierend!
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  • C. K.
    Sehr schöne Geschichte. Alles Gute für Adelheid Back.
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  • T. R.
    Tolle Geschichte, gut, dass es solche Menschen gibt !
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