
Es ist der emotionalste Moment im Würzburger Dom. Und der schwerste für die Familie. Claudia Stamm schildert in ihrem Nachruf einen der letzten Augenblicke mit ihrer Mutter: Wie sie mit ihr am Sterbebett noch Musik gehört hat. Wie sie gemeinsam gebetet haben, wie sie ihr noch lange vorgelesen hat. Und, wie "Mutti" noch einmal herzlich gelacht hat.
"Ein wunderschöner Moment", sagt die älteste Tochter von Barbara Stamm beim Rückblick an die letzten gemeinsamen Stunden.
Äußerlich gefasst sitzt Ludwig Stamm in der ersten Reihe, schaut auf das große schwarz-weiße Porträtfoto seiner verstorbenen Frau, das neben dem in eine weiß-blaue Fahne gehüllten Sarg steht. Der 84-Jährige wirkt wie die Stütze der Familie an diesem Freitagnachmittag im Kiliansdom. Der Jüngsten, ihrer Schwester Sissi, werde es besonders schwer fallen, dass "Mama" jetzt nicht mehr die erste ist, die ihr zum Geburtstag gratulieren wird, sagt Claudia Stamm am Rednerpult. Und über ihren Bruder Thomas erzählt sie, dass er nie verstanden habe, warum seine Mutter für ihre emotionale Art Politik zu machen verspottet worden sei.
Die Familie hatte Angst vor dem öffentlichen Abschiednehmen
Claudia Stamm erzählt aus dem Leben ihrer Familie, es sind schöne Geschichten. Wie die Enkelkinder mit ihrer Oma eine Modenschau veranstaltet haben, freilich auch mit dem berühmten "blauen Klääd" aus der Fastnacht in Franken. Und sie beschreibt wie bescheiden und nachdenklich ihre Mutter gewesen sei. Selbst kurz vor ihrem Tod habe Barbara Stamm noch darüber nachgedacht, ob sie einmal zurecht als "Präsidentin der Herzen" begrüßt worden sei.
Die Antwort ihrer Kinder war eindeutig: "Ja"!
Claudia Stamm gewährt diese sehr privaten Einblicke am Freitag im Dom vor mehr als 1000 Trauergästen und vielen Zuschauerinnen und Zuschauern an den Fernsehgeräten, die den Trauerstaatsakt für Barbara Stamm live im Bayerischen Fernsehen mitverfolgen. "Die Familie hatte Angst vor dieser Art des Abschiednehmens", sagt die 52-jährige Tochter, "weil hier kein Raum für Privates bleibt." Sie haben sich aber auch bewusst dafür entschieden, weil ihre Mutter eine öffentliche Person war.
"Je länger sie im Amt war, desto größer wurde ihre Fangemeinde", sagt Claudia Stamm. "Manchmal habe ich nicht verstanden, warum meine Mutter, die so schlecht laufen konnte, noch so viele Termine wahrgenommen hat", räumt sie ein. Und erzählt, dass die 77-Jährige trotz ihrer wahnsinnigen Schmerzen jüngst noch nach Rumänien reiste, um sich dort für Kinder in Not einzusetzen. "Es war gut, dass sie gefahren ist, denn sie hat aus ihren Terminen immer viel Energie gezogen."
Eine halbe Stunde mit einem Obdachlosen auf der Straße unterhalten
Am 5. Oktober ist Barbara Stamm "nach längerem, tapfer ertragenen Leiden an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gestoßen", sagt Würzburgs Bischof Franz Jung, der das Pontifikalrequiem zelebriert. Die zahlreichen emotionalen Reaktionen auf ihren Tod hätten "ihre Verbundenheit mit den Menschen" gezeigt. Und viele Menschen fühlten sich offensichtlich auch verbunden mit ihr: Jene, die im Dom an diesem Nachmittag keinen Platz mehr finden, verfolgen das Requiem in Neumünster, wo der Gottesdienst auf einer Leinwand übertragen wird. Rund 800 Menschen waren schon am Freitagvormittag in den Dom gekommen, um am Sarg selbst Abschied zu nehmen.

Wie Frank Popp. Er lebe als Obdachloser in Würzburg, sagt der 56-Jährige im Gespräch mit der Redaktion. Vor eineinhalb Jahren habe er Barbara Stamm auf der Straße kennengelernt. "Sie ist einfach stehengeblieben und wir haben uns unterhalten. Das war für mich einfach toll." Eine halbe Stunde hätten sie sich unterhalten, "danach ist jeder seiner Wege gegangen". Er verbinde "sehr viele positive Gefühle mit ihr", sagt Popp. "Und ich bin sehr froh, dass ich die Möglichkeit hatte, mich heute von ihr zu verabschieden."
Politische Power und Übermaß an Lebensfreude
Auch der Bischof würdigt Stamms soziales Herz, ihr "politisches Engagement für Menschen in Not". Sie habe "bis tief in die Nacht Telefondrähte zum Glühen gebracht", wenn sie helfen wollte. Die 77-Jährige habe bis zuletzt "runde Tische organisiert, um Verantwortliche aus allen sozialen Aufgabenfeldern mit den politischen Entscheidungsträgern" zusammenzubringen.

Es ist wohl diese Eigenschaft, die Ministerpräsident Markus Söder im Sinn hat, als er in seiner Trauerrede Stamm eine Frau mit "politischer Power" nennt. Gleichzeitig habe sie, die ihm als jungem Politiker einmal geraten habe, "nicht immer so vorlaut zu sein", und später als Ministerpräsident mahnte, die Worte "sensibler" zu wählen, ein "Übermaß an Lebensfreude" ausgezeichnet. "Der fränkische Fasching wäre ohne sie so nie möglich gewesen", spricht Söder von einer Herzensangelegenheit, die er mit Stamm teilte. Inzwischen gingen – "wenn wir ehrlich sind" – alle zu Fastnacht in Franken, gesteht der Ministerpräsident, und "sonnen uns im Glanz" der Sendung mit der traditionelle hohen Einschaltquote. "Barbara war schon da, bevor es ein Mega-Event war."
Fastnacht in Franken: ein Höhepunkt in Stamms Kalender
Als Söder von der Fastnacht redet, wischt sich Volker Heißmann, der in einem Seitenschiff des Doms in der ersten Reihe sitzt, eine Träne aus dem Auge. Der Kabarettist, der mit seinem Komödianten-Partner als "Waltraud und Mariechen" auftritt, spricht eine der Fürbitten. "Fastnacht in Franken war ein Höhepunkt in Barbara Stamms Kalender", sagt Heißmann. "Wir beten für alle, die anderen Freude bereiten."
Stamms Lebensfreude, ihre Geselligkeit, ihre Liebe zum Karteln, die Fähigkeit zu genießen – all das ist immer wieder Thema in den Reden. So passt es auch, dass bei aller Trauer die Atmosphäre auf dem anschließenden Empfang in der Würzburger Residenz eher gesellig ist. So hätte es Barbara Stamm, der Fröhlichen, wohl gefallen.
Inklusions-Projekt sorgte für Essen beim Empfang
Noch besser passt, dass die 650 geladenen Gäste, unter denen neben zahlreichen politischen Weggefährten auch Fastnachts-Größen wie Michl Müller oder Sebastian Reich sind, fränkische Hausmannskost von InklusionCatering Mainfranken aufgetischt bekommen: eine Initiative, bei der Menschen mit und ohne Behinderung zusammenarbeiten. Unterstützt wurden sie bei den Vorbereitungen von fünf Köchen des Würzburger Hotels Rebstock. Ganz im Sinne des Inklusiongedankens, den Barbara Stamm stets unterstützte.

Als die ersten der Trauergesellschaft gehen wollen, hätte Barbara Stamm wohl auf ihre Uhr geklopft, wie sie es so oft in geselligen Runden getan hat. "Es is' fei noch net halb", sagte sie stets, wenn sich eine Runde zu früh auflöste, erzählt Claudia Stamm über ihre Mutter. Doch: "Jetzt ist es halb für meine Mutter."