
Wer auf das Jahr 2022 in Unterfranken zurückblickt, dem ist der extreme Dürre-Sommer im Gedächtnis. Fast drei Monate lang fiel kaum ein Tropfen Regen. Ganz Nordbayern war so trocken wie seit 62 Jahren nicht. "Der August 2022 gehört in vielen Teilen Unterfrankens zu einem der niederschlagsärmsten seit Vorliegen flächendeckender Aufzeichnungen im Jahr 1881", sagt Lothar Bock vom Regionalen Klimabüro des Deutschen Wetterdienstes (DWD) in München.
Das hatte für die Region extreme Folgen: Drei Dutzend Bachabschnitte in Unterfranken trockneten aus. Im Main floss zeitweise zu einem Viertel Wasser aus dem Brombachsee und dem Rothsee in Mittelfranken. Erste Engpässe bei der öffentlichen Trinkwasserversorgung gab es in Bad Königshofen im Landkreis Rhön-Grabfeld. Die Regierung von Unterfranken rief alle Bürgerinnen und Bürger zum Wassersparen und zum Verzicht auf Rasensprengen auf. 40 Prozent aller Grundwassermessstellen in Unterfranken hatten im August nur noch sehr niedrige Wasserstände. Und Landwirtinnen und Landwirte hatten in diesem Jahr extreme Ernteeinbußen.
Vielerorts in Unterfranken herrschte höchste Waldbrandgefahr. In Stockstadt am Main im Landkreis Aschaffenburg gab es Ende Juni den verheerendsten Waldbrand seit über zehn Jahren in Unterfranken. 25.000 Quadratmeter Wald standen in Flammen.

Ist diese extreme Trockenheit eine direkte Folge des menschengemachten Klimawandels?
"Es ist sehr schwierig, einzelne Extremwetterereignisse - die ja schon per Definition sehr selten auftreten - dem Klimawandel zuzuordnen", sagt Lothar Bock. Erst wenn sich ein langfristiger Trend abzeichne, also eine Häufung oder eine Abnahme dieser Extrem-Wetterereignisse, sei es möglich, diese dem Klimawandel zuzuordnen.
Was nicht heißen soll, dass es den Klimawandel nicht gebe, sagt der Klimatologe des Deutschen Wetterdienstes: "Es ist unumstritten, dass der menschengemachte Anteil am Klimasystem, durch Treibhausgasemissionen, Abholzung und Besiedlung, seit der Industrialisierung dominiert." Lebten im Jahr 1800 eine Milliarde Menschen auf der Erde, sind es heute schon acht Milliarden Menschen. Während in früheren Erdzeitaltern Plattentektonik, Vulkanismus oder Meeresströmungen das Klimasystem beeinflussten, seien es heute vor allem die Emissionen der Menschen.

Ist das Wetter noch normal oder ist das schon der Klimawandel? Diese Frage stellt sich ein relativ junger Wissenschaftszeig, die sogenannte Attributionsforschung, an dessen Forschung sich auch der Deutsche Wetterdienst beteiligt. Ziel ist es, herauszufinden, ob konkrete Extrem-Wetterereignisse auf die Klimaerwärmung der letzten 200 Jahre zurückzuführen sind.
Wie sieht es mit drei Extrem-Wetterlagen der vergangenen fünf Jahre in Unterfranken aus? Eine Analyse.
1. Extreme Trockenheit im Sommer 2022

Vom 1. Mai bis 11. August 2022 regnete es in Nordbayern im Mittel 125 Millimeter. Das war weniger als die Hälfte des langjährigen Mittelwerts im Zeitraum 1971 bis 2000. Und: "Es war der niedrigste Wert in einer 62-jährigen Beobachtungsreihe, deutlich unterhalb der 148 Millimeter im Jahr 1964", sagt ein Sprecher des Bayerischen Landesamts für Umwelt (LfU) auf Anfrage.
Ganz Unterfranken war von der Dürre in diesem Jahr betroffen, sagt Lothar Bock. Die Trockenheit begann bereits im Frühjahr. Mitte März war die Waldbrandgefahr so hoch, dass die Regierung von Unterfranken in Absprache mit der Bayerischen Forstverwaltung erste Luftbeobachtungsflüge anordnete.
Von Juni bis August fielen an der Wetterstation in Bad Kissingen nur 28,5 Liter pro Quadratmeter Niederschlag. "Das war die trockenste Station in ganz Deutschland. Und in Bad Kissingen war es der trockenste Sommer seit 1946", sagt der Klimatologe des DWD. Von März bis August fielen in Bad Kissingen nur 145 Liter Niederschlag pro Quadratmeter. Noch trockener war dieser Zeitraum seit 1881 dort nur einmal: im Jahr 1976 mit 114 Litern pro Quadratmeter.
Einordnung des DWD-Experten: Extrem trockene Sommer gab es in Bayern bereits Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts, zum Beispiel 1904, 1911, 1947 und 1952. Und doch gebe es einen gravierenden Unterschied, erklärt Lothar Bock: "Das Temperaturniveau in der warmen Jahreszeit ist heute aufgrund des Klimawandels um zwei bis drei Grad höher. Und die Sonne scheint oft länger." Beide Faktoren, höhere Temperaturen und längere Sonnenscheindauer, sorgen für eine höhere Verdunstung. Die Folge: Die Böden trocknen schneller und intensiver aus. Die Auswirkungen auf das Pflanzenwachstum sind gravierender - und die Schäden in Land- und Forstwirtschaft.
2. Extreme Hitze im Sommer 2018

Im Sommer 2018 ächzte ganz Deutschland unter einer extremen Hitzewelle. Die heißen Tage mit Temperaturen über 30 Grad, oft gefolgt von Tropennächten, in denen die Temperaturen nicht unter 25 Grad abkühlen, sind vor allem für ältere Menschen und Säuglinge lebensbedrohlich.
Einer Studie zufolge haben die Rekord-Temperaturen im Sommer in den Jahren 2018 bis 2020 jeweils zu Tausenden hitzebedingter Sterbefälle in Deutschland geführt. Erstmals seit 1992 sei eine Übersterblichkeit aufgrund von Hitze in drei aufeinanderfolgenden Jahren aufgetreten, berichteten Forschende von Robert Koch-Institut (RKI), Umweltbundesamt (Uba) und Deutschem Wetterdienst (DWD) im "Deutschen Ärzteblatt" im Juli 2022 . Demnach sind in Deutschland etwa 8700 Menschen im Jahr 2018, dem zweitwärmsten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1881, hitzebedingt gestorben.
Die höchste Temperatur in Unterfranken wurde laut Deutschem Wetterdienst im Sommer 2018 in Kitzingen mit 39 Grad Celsius gemessen. 2019 kletterte das Thermometer in Kahl am Main im Lkr. Aschaffenburg sogar auf 40,4 Grad und in Kitzingen auf 39,5 Grad.
Einordnung des DWD-Experten: Hier sei die Lage eindeutig, sagt Klimatologe Lothar Bock. Im Zuge des Klimawandels steigen die Temperaturen. Die Sommertage mit mehr als 25 Grad und Hitzetage mit über 30 Grad nehmen stetig zu. Die Eistage mit Temperaturen durchgehend unter dem Gefrierpunkt und die Frosttage, an denen die Temperatur mindestens einmal unter den Gefrierpunkt sinkt, werden weniger.
Dieser Trend zeigt sich laut DWD auch in Bayern: Hier haben die Hitzetage im Vergleich zu den 1950er-Jahren im Durchschnitt um neun Tage zugenommen. Die Zahl der Eistage hat um 16 Tage abgenommen. Und dass die Temperaturen seit dem Jahr 2018 nahezu jeden Sommer an der 40-Grad-Marke kratzen oder diese sogar überschreiten, sei eindeutig eine Folge des Klimawandels, sagt Lothar Bock. Derartige Hitze-Extreme habe es früher in Bayern nur selten gegeben: etwa 1947 und 1983.
3. Extreme Starkregen im Sommer 2021

Der höchste, je gemessene Niederschlag in Deutschland wurde 2002 an der Elbe erreicht: Innerhalb von 24 Stunden fielen in Zinnwald im östlichen Erzgebirge 312 Liter Regen pro Quadratmeter. Betroffen vom damaligen Rekord-Wert war allerdings nur dieser eine Ort.
Mitte Juli 2021 war das anders: Erstmals fielen in Deutschland bundeslandübergreifend Niederschlagsmengen von 150 bis zu 200 Liter pro Quadratmeter - innerhalb von ein bis zwei Tagen. Besonders schlimm war es im Katastrophengebiet im Landkreis Ahrweiler, in dem auch Hunderte Ehrenamtliche aus Unterfranken im Einsatz waren.
Eine Woche vor den Rekordniederschlägen in Rheinland-Pfalz gab es in Unterfranken Starkniederschläge. An der Mainschleife wurden über 140 Liter pro Quadratmeter gemessen. Von Überschwemmungen und Sturzfluten betroffen waren unter anderem Zeil am Main (Lkr. Haßberge), Reichenberg (Lkr. Würzburg), Kolitzheim (Lkr. Schweinfurt) und Volkach (Lkr. Kitzingen).
Einordnung des DWD-Experten: Einzelne Starkregen-Ereignisse direkt dem Klimawandel zuzuschreiben, sei mit dem jetzigen Stand der Forschung schwierig, sagt Lothar Bock. Kleinräumige Überschwemmungen und Sturzfluten treten immer wieder auf, wobei es einzelne Orte nur alle 20, 30, 50 oder 100 Jahre erwische. Einen klaren Trend gebe es noch nicht. Wohl aber die physikalische Annahme: In einer durch den Klimawandel wärmeren Atmosphäre wird mehr Wasserdampf gespeichert, was zu intensiveren Starkregenfällen führen kann. Hier seien aber die bisher beobachteten Daten nicht eindeutig, so der Klimatologe.
Fazit: Das Narrativ "Im Klimawandel nehmen die Extreme zu" ist im Moment noch Gegenstand der Forschung. Bei der Temperatur sei dieser Trend anhand gemessener Daten bereits eindeutig belegt, sagt Lothar Bock. Bei Starkregenereignissen, Hagel oder Stürmen sei dies schwierig und teils nur in Modellrechnungen oder in zukünftigen Klimasimulationen zu sehen.
Warum? In der Klimatologie werden sehr lange Zeiträume betrachtet, sagt Lothar Bock. "Und die natürliche Variabilität des Wetters in unseren Breitengraden könnte diese Trends heute noch überlagern."