
Es mag angesichts der entstandenen Schäden durchaus etwas merkwürdig klingen, aber das starke Hochwasser im Steigerwaldvorland im Einzugsbereich des Volkachbachs vor rund zehn Tagen kam zu einem "günstigen" Zeitpunkt. Bekanntlich haben sich Gerolzhofen, Michelau, Dingolshausen, Frankenwinheim, Volkach, Kolitzheim, Oberschwarzach, Lulsfeld und Sulzheim zu einem interkommunalen Hochwasserschutzkonzept zusammengeschlossen. Die Berechnungen der Computermodelle - also wie das Hochwasser fließt und wann das Wasser wo wie hoch ansteigt - sind inzwischen fast abgeschlossen. Das "echte" Hochwasser dieser Tage bot nun die Gelegenheit, zu überprüfen, ob die Theorie auch mit der Praxis übereinstimmt.
Eine Expertenrunde besichtigte in den vergangenen Tagen die neuralgischen Punkte der Überschwemmung. Die Fachleute waren auch in Michelau zu Gast, das regelmäßig von Hochwasser getroffen wird. Beim jüngsten Starkregen beispielsweise fielen innerhalb von elf Stunden 78 Liter auf den Quadratmeter. Braune Fluten ergossen sich quer durch die Ortschaft und fluteten Keller. Bürgermeister Michael Wolf präsentierte den Gästen einige Bilder und Videos, die das ganze Ausmaß der Überschwemmungen zeigen.
Leben mit dem Hochwasser
Michelau werde regelmäßig alle drei, vier Jahre vom Hochwasser heimgesucht, sagte Wolf. "Hochwasser hat es bei uns schon immer gegeben." Das liege daran, dass die Ortschaft gleich zwei Bäche hat, die aus unterschiedlichen Bereichen des Steigerwalds das Wasser abführen: Die Volkach bringe das Wasser aus dem Bereich des Staatswalds bei Neuhausen und die Sudrach bringe die Niederschläge aus dem Gemeinsamen Bürgerwald von Gerolzhofen und Dingolshausen. Erst unterhalb des Orts vereinigen sich beide Bäche.

Immer dann, wenn beide Gebiete gleichzeitig von Gewittern betroffen sind oder ein heftiger Dauerregen sich flächendeckend ausbreitet, herrsche "Land unter" in Michelau. Man habe dabei, das zeigt die Erfahrung, im Gegensatz zu den Gemeinden weiter unten am Bachlauf, wie etwa Dingolshausen und Gerolzhofen, nur relativ wenig Zeit der Vorbereitung. "In einer halben Stunde ist das Wasser da", berichtete der Bürgermeister den Experten.
Die Bevölkerung von Michelau lebe schon seit Generationen mit dem Hochwasser, sagte der Bürgermeister. Dies zeige sich auch daran, dass bei vielen alten Häusern das Erdgeschoss höher gesetzt und der Hauseingang nur über eine kleine Treppe zu erreichen sei.
Bewässerung mit dem Hochwasser
Besonders nach dem letzten schweren Hochwasser-Ereignis im Jahr 2016 wurden die Überlegungen aber konkreter, ein interkommunales Hochwasserschutzkonzept entlang des Volkachbachs und seiner Zuläufe auf die Beine zu stellen. 2019 wurde schließlich der Antrag auf staatliche Förderung eingereicht, im Mai 2020 wurde die Erstellung des Konzepts genehmigt, verbunden mit der Zusage einer 75-prozentigen Förderungen durch den Freistaat Bayern. Neun Gemeinden mit ihren Ortsteilen, von Neuhausen im Steigerwald bis nach Escherndorf am Main, schlossen sich zusammen. Die Koordination läuft - wie mehrfach berichtet - über die ILE-Region "Main-Steigerwald" mit Allianzmanagerin Carina Hein, die ihr Büro in Gerolzhofen hat.
Berechnungen vor dem Abschluss
Anfang 2022 soll das Konzept von den Ingenieuren fertig gestellt sein. Eng verzahnt mit dem Hochwasserschutzkonzept ist ein Bewässerungskonzept. Man will quasi zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Das zurückgehaltene Hochwasser soll zugleich als Reservoir für Bewässerungsanlagen dienen.

Mit der Ausarbeitung des Hochwasserschutzkonzepts beauftragt wurde die "Hydrotec Ingenieurgesellschaft für Wasser und Umwelt" mit Sitz in Aachen. Ein Spezialgebiet des Büros ist es, mittels Rechenmodellen mögliche Hochwasserlagen zu simulieren und dann entsprechende Schutzmaßnahmen zu entwerfen. Einer der Projektleiter ist Leandro Mücke, der sich nun in Michelau, Dingolshausen, Gerolzhofen und in den anderen betroffenen Gemeinden entlang der Volkach ein Bild machte, um abzugleichen, ob seine Computerberechnungen auch deckungsgleich sind mit der Realität der Naturgewalten.
Rechenmodelle eichen
Es gehe jetzt darum, so Mücke gegenüber der Main-Post, "die Rechenmodelle zu eichen" und das Schutzkonzept "einer Validierung zu unterziehen". Gegebenenfalls werde man noch Anpassungen oder Änderungen der Planungen vornehmen müssen. Insofern sei das aktuelle Hochwasser zu einem "günstigen" Zeitpunkt gekommen. Gemeinsam mit Bürgermeister Michael Wolf, 2. Bürgermeister Elmar Gather (Hundelshausen), Leonhard Rosentritt (Leiter des Wasserwirtschaftsamts Bad Kissingen) und Allianzmanagerin Carina Hein schaute sich Mücke nochmals kritische Stellen zwischen Michelau und Prüßberg an, wo die Volkach bei Hochwasser ihr Bett verlässt, dann aber nicht mehr zurückfließen kann, weil weiter unten das Bachbett höher liegt als die umliegenden Äcker. Das Wasser sucht sich so seinen Weg Richtung Ortsmitte.
Das Büro Hydrotec wird ein ganzes Bündel an möglichen baulichen Maßnahmen - individuell abgestimmt auf die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten - vorschlagen, wie man künftig die Fluten eindämmen könnte oder sie zumindest nicht so hoch steigen lässt wie bisher. Dazu zählt laut Leandro Mücke insbesondere der "technische Rückhalt", also das Anlegen von Rückhaltebecken in der Landschaft, deren Wasser bei Trockenheit später auch für das Bewässern genutzt werden kann. Weitere Ideen sind beispielsweise der Bau und das Verstärken von Dämmen, das Tieferlegen bestehender Teiche, das Vergrößern enger Brückendurchlässe, der Einbau von stärker dimensionierten Rohren in den Bereichen, wo die Bäche verrohrt sein müssen, aber auch das komplette Entfernen solcher Rohre und Öffnen des Bachbetts, wo dies räumlich möglich ist.
Privat-Initiative gefordert
Die vorgeschlagenen Schutzmaßnahmen würden teilweise schon bedeutsame Eingriffe in das Landschafts- und Ortsbild mit sich bringen, sagte Leonhard Rosentritt, der Behördenleiter des Wasserwirtschaftsamts. Dies könne mitunter zu Widerständen aus der Bevölkerung führen. Deshalb sei es um so wichtiger, so Rosentritt, die Bürgerinnen und Bürger frühzeitig in den Prozess einzubinden. Dies werde geschehen, versicherte Allianzmanagerin Hein. Es seien bereits Informationsveranstaltungen geplant.

Das Mittun der Bevölkerung sei auch deshalb so wichtig, sagte Leandro Mücke, weil nicht alles von den Gemeinden allein umsetzbar sein wird. Auch die Anlieger an den Gewässern seien aufgefordert, selbst in private Schutzmaßnahmen zu investieren. Dies könnten beispielsweise bauliche Vorkehrungen wie Schutzmauern vor den Kellerfenstern sein.
Wertvolles nicht im Keller lagern
Ein Problem sehen die Experten in der weit verbreiteten neuen Nutzung der Kellerräume. Während man früher im Keller mit seinem Lehmboden nur die Kohlen, die Kartoffeln oder die Futterrüben lagerte und der Schaden dort bei einem Wassereinbruch überschaubar war, sieht dies heutzutage gänzlich anders aus. In vielen Untergeschossen moderner Häuser wurden Hobbyräume und Partykeller eingerichtet, es gibt voll möblierte Gästezimmer und in anderen Räumen stehen Waschmaschine, Trockner, Tiefkühltruhen und Kühlschränke. Man müsse durch eine entsprechende Informationspolitik den Bürgerinnen und Bürgern verdeutlichen, dass diese weit verbreitete moderne Nutzung der Kellerräume sich wieder ändern muss. "Wertvolle Sache gehören nicht in den Keller", betonte Leandro Mücke. Und dazu zähle auch die Heizungsanlage.
Frage der Wirtschaftlichkeit
In die gleiche Kerbe schlug Amts-Chef Leonhard Rosentritt. Eines müsse klar sein: Man werde bei der späteren Umsetzung des Schutzkonzepts - auch aus Gründen der Wirtschaftlichkeit - niemals eine hundertprozentige Sicherheit vor Hochwasser erreichen können. Dass bei Hochwasser auch mal der Keller nass werden kann, das sei normal. Die Anwohner müssten nur entsprechend darauf vorbereitet sein. Wie bei allen Projekten, die der Freistaat Bayern fördert, werde auf die Wirtschaftlichkeit der Maßnahmen geachtet, erklärte Rosentritt. Es gelte dabei den Aufwand mit dem Nutzen abzuwägen, indem man sich frage: "Was kostet es und welche Schäden kann ich damit vermeiden?"
Wasserfluten aus dem Wald
Große Wassermengen kommen bei starken Niederschlägen auch aus den Bereichen des Staatswalds oberhalb von Michelau/Prüßberg/Neuhausen. Dies liegt laut Leonhard Rosentritt unter anderem an der früheren Forstpolitik, als man im Wald immer breitere Wege samt Entwässerungsgräben baute, wo nun das Wasser aus dem Wald regelrecht herausschießt. Mittlerweile, auch unter dem Eindruck der vergangenen trockenen Jahre und dem Auftreten gravierender Trockenschäden an den Bäumen, habe hier aber ein Umdenken eingesetzt. Möglichst viel Wasser soll im Wald zurückgehalten werden.

Das auf den ersten Blick Verwunderliche dabei ist: Die Waldgebiete werden vom Büro Hydrotec zwar begutachtet und es werden dafür auch Lösungsvorschläge ausgearbeitet, trotzdem gehören die Bayerischen Staatsforsten nicht dem interkommunalen Hochwasserschutzkonzept an. Der Grund dafür sei einfach, so Rosentritt: "Der Staat kann sich nicht selbst fördern." Die Staatsforsten können nicht an einem staatlich finanzierten Projekt teilnehmen.
Staatsforsten sind aufgeschlossen
Unabhängig davon seien die Staatsforsten aber sehr aufgeschlossen, sich an den von den Ingenieuren vorgeschlagenen Maßnahmen zu beteiligen, berichtete der Chef des Wasserwirtschaftsamts. Kleinere bauliche Veränderungen, beispielsweise an den Abflussgräben, könnten schon große positive Wirkungen haben. "Und ich gehe davon aus, dass die Verantwortlichen des Gemeinsamen Bürgerwalds von Gerolzhofen und Dingolshausen auch so denken."
Wann es mit der baulichen Umsetzung der von Hydrotec erarbeiteten Vorschläge, die Anfang 2022 vorliegen werden, dann tatsächlich losgehen kann, ist noch unklar. Zu klären ist bis dahin, wie die beteiligten Kommunen bei den verschiedenen Bauarbeiten auftreten werden, ob als Einzelkämpfer oder gemeinsam, beispielsweise im Rahmen einer Zweckverband-Konstruktion. Eine wichtige Frage ist auch, wie die Kosten auf die Anrainergemeinden verteilt werden.
Behördenleiter Leonhard Rosentritt signalisierte auch für die einzelnen Projekte bei der baulichen Umsetzung des Konzepts schon mal eine staatliche Förderung. Hier seien sicherlich Quoten zwischen 50 und 75 Prozent möglich, sagte er. Allerdings: Für private Hochwasserschutzmaßnahmen gibt es aus diesem Topf kein Geld.