Obwohl er selbst nie Fußball spielte, vertrauten viele Vereine und Spieler auf sein Wissen und seine Erfahrung: Walter Curtius aus Niederwerrn war ein gefragter Physiotherapeut, der neben seiner Arbeit wie ein Besessener für die Triathlon-WM trainierte. Im Interview spricht der 76-Jährige über seine lange sportliche und berufliche Karriere.
Walter Curtius: Daniel Tomitza, der schon vor 30 Jahren als Jugendspieler des 1. FC Nürnberg zu mir in die Praxis kam, um sich behandeln zu lassen. Als er Trainer war, hat er mich als Masseur verpflichtet. Wir haben jedes Mal erfolgreich zusammengearbeitet und sind mit dem TSV Eßleben und dem TSV Grafenrheinfeld Meister geworden. Bei seiner letzten Station beim FC Arnstein waren wir uns auch schon einig, doch dann hat er plötzlich seine Karriere beendet.
Curtius: Ich war ein Spätberufener. Angefangen habe ich mit Radsport daheim im Schwarzwald. Mit 19 Jahren bin ich erste Rennen gefahren. Durch den Beruf kam ich 1970 nach Schweinfurt und bin für den RV 89 Schweinfurt gestartet. Mehrmals wurde ich für die Bayernauswahl und einmal für die Nationalmannschaft nominiert. Im Winter habe ich Skilanglauf in der Rhön betrieben und für den RWV Haselbach an Meisterschaften teilgenommen. Einmal habe ich in Schweden den legendären Wasalauf über 90 Kilometer absolviert.
Als ich zum ersten Mal von der damals neuen Sportart Triathlon gehört habe, war ich sofort begeistert. 1988 habe ich mich als erster Schweinfurter für die WM auf Hawaii qualifiziert, insgesamt viermal hintereinander, und bin beim Ironman immer ins Ziel gekommen. Für den TV/DJK Hammelburg und die TG Schweinfurt bin ich zudem Marathon gelaufen, 37 Mal, bei einer Bestzeit von 2:48 Stunden. Ich war auf der Lang- und Mittelstrecke unterwegs und habe zwei 100-Kilometer-Straßenläufe gemacht. 50 Jahre war ich im Wettkampfsport aktiv, ehe mich Herzprobleme zum Aufhören gezwungen haben.
Curtius: Gelernt habe ich ursprünglich als Mechaniker im Maschinenbau. Anschließend wurde ich Einfahrer für Radnaben bei Fichtel & Sachs in Schweinfurt. Ich war also Testfahrer, saß täglich bei jedem Wetter 130 Kilometer auf dem Sattel und habe abends meinen Bericht abgegeben. In einem Jahr bin ich auf 30.000 Kilometer gekommen. Das war mir irgendwann zu viel. Ich habe umgeschult zum Masseur und bin seit 45 Jahren selbstständig mit eigener Praxis in Niederwerrn. Mit 76 arbeite ich noch Vollzeit.
Curtius: Als ich mich in Niederwerrn niedergelassen habe, war ich der Einzige, der in der Umgebung Sportphysiotherapie angeboten hat. Spezialverbände am Oberschenkel und am Knöchel waren damals eine Innovation. Die Fußballer des FC 05 Schweinfurt kamen alle in meine Praxis. Daraufhin hat mich der Verein geholt. Ich war anschließend Masseur bei den Freien Turnern, wieder beim FC 05, bei der DJK Schweinfurt, in Sennfeld, Eßleben und Gerolzhofen. Manchmal kam ich nur für ein paar Spiele – wie beim TSV Grafenrheinfeld und beim TSV Oerlenbach/Ebenhausen. Dagegen war ich zehn Jahre bei der DJK Schwebenried/Schwemmelsbach. Insgesamt war ich 40 Jahre auf den Fußballplätzen unterwegs.
Curtius: Mein Erfolgsgeheimnis lag darin, dass ich selbst Sportler war und mitreden konnte, auch wenn ich nie Fußball gespielt habe. Ich konnte meine Erfahrungen mit Verletzungen weitergeben, weil ich Faserrisse und Zerrungen am eigenen Leib verspürt habe und mein Wissen nicht nur aus dem Lehrbuch hatte. Manchmal spielten auch andere Dinge eine Rolle: Trainer Werner Lorant hatte jedem Spieler des FC 05 Schweinfurt 1000 Mark für einen Sieg versprochen. Alle wollten, dass ich sie fit mache. Kein Einziger hat sich verletzt gemeldet, selbst wenn die Verletzung nicht auskuriert war. Wir haben 3:0 gewonnen.
Curtius: Von allem ein bisschen was. Natürlich muss man auch ein Stück verrückt sein. Die Disziplin steht jedoch an erster Stelle. Man muss sich zwingen, bei jedem Wetter zu trainieren. Ich bin ein Kämpfertyp. Die Ausdauer war immer meine Stärke. Es war nie eine Option für mich, ein Rennen aufzugeben. Sonst hätte ich meinen Patienten erklären müssen, warum ich nicht durchgehalten habe.
Curtius: In Spitzenzeiten waren es im Durchschnitt 21 Stunden in der Woche, verteilt auf bis zu zwölf Einheiten, ohne einen Tag Pause von Januar bis Oktober. Ich habe vor der Arbeit trainiert, in der Mittagspause und spät abends, wenn ich mit dem Massieren beim FC 05 fertig war. Das Privatleben musste zurückstehen.
Curtius: Die WM auf Hawaii ist etwas ganz Besonderes. Rund 1500 Athleten durften zu meiner Zeit teilnehmen. 30.000 haben versucht, sich zu qualifizieren. Wenn man das schafft und gute Ergebnisse erzielt, ist das Motivation genug. Mein erster 100-Kilometer-Lauf in Frankreich war eine Qual. Ich bekam eine Knochenhautreizung und bin unter Schmerzen gelaufen. Dabei kommt es auf die mentale Stärke an, die ich während des Rennens mit dem Blick zum Himmel und dem Gedanken an den Herrgott gefunden habe.
Curtius: Abwechslung und die Erkenntnis: Bewegung ist Leben, Stillstand ist Tod. Man muss keinen Marathon laufen oder einen großen Triathlon absolvieren. Es reicht schon, regelmäßig mit dem Rad spazieren zu fahren oder zu walken. Nach einem guten Training habe ich mir bei einem schönen Essen ein Glas Rotwein gegönnt.
Curtius: Einen, den ich zwischen den Fingern hatte, als er beim FC 05 zwischen den Pfosten stand: das Schweinfurter Urgestein Norbert Kleider. Als jahrzehntelanger Torwarttrainer und Busfahrer steht er wie kein anderer für absolute Vereinstreue.
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