Walter Curtius öffnet die Tür standesgemäß: Im Trainingsanzug und T-Shirt der DJK Schwebenried/Schwemmelsbach. Seine Praxis in Niederwerrn ist angefüllt mit Andenken aus einem langen Sportlerleben: Pokale, Erinnerungsfotos mit dem Läufer oder Radfahrer Curtius, aber auch viele Bilder mit dankbaren Widmungen verschiedener Fußballer.
Walter Curtius im Trainingsanzug, der mit der Medi-Box auf den Platz eilt und einem Fußballer wieder auf die Beine hilft. Ein Bild, das vermutlich fast jeder Fußballfan in Unterfranken in den letzten 40 Jahren irgendwann einmal gesehen hat. „Jetzt muss erstmal Schluss sein“, sagt Curtius bedauernd. Ausgerechnet bei ihm, dem Ausdauersportler, der auch mit seinen 70 Jahren noch Langstreckenläufe für den TV/DJK Hammelburg absolvierte, streikt der Körper. „Ich bin zuletzt unerklärlicherweise immer langsamer geworden. Eine Ärztin wollte mir weißmachen, ich sei ja auch wieder älter geworden, aber ich habe ihr gesagt, dass ich trotzdem innerhalb eines Jahres nicht eine Viertelstunde langsamer werde.“ Also wurde noch mal intensiv untersucht. Diagnose: Eine Herzklappe schließt nicht mehr richtig und ein neues Hüftgelenk muss her. „Die Ärzte überlegen noch, welche OP sie als erstes machen.“
Eine solche Diagnose ist bitter für den Niederwerrner Masseur. Denn Stillstand, auch wenn gesundheitlich erzwungen, ist nicht sein Ding. Sein Leben lang war Curtius in Bewegung. „Ich kam in den 70ern aus Schwenningen als Einfahrer zu Fichtel&Sachs nach Schweinfurt“. Damals produzierte Sachs noch selbst Fahrräder und Komponenten wie Gangschaltungen. „30000 Kilometer habe ich jährlich mit dem Fahrrad absolviert.“ Irgendwann orientierte sich Curtius neu, schulte zum Masseur und Krankengymnasten um. Erst angestellt in Würzburg, dann selbstständig in Niederwerrn. Mit Fußball hatte er wenig am Hut, doch irgendwann stand der FC 05 Schweinfurt vor der Tür. Der frühere Coach Otto Baum hatte Curtius zu den 05ern gelotst. „Mein Würzburger Chef war mit prominenten Sportärzten und Physiotherapeuten befreundet. Die haben ihm damals revolutionäre Neuigkeiten wie das Tapen beigebracht. Das konnten damals zwei Leute in Unterfranken: Mein Chef in Würzburg und ich.“
Lange bleib Curtius allerdings nicht beim FC 05, er wechselte auf die Maibacher Höh' zur FTS. Doch der damalige FC-05-Vorsitzende Werner Galm und Trainer Werner Lorant überzeugten ihn, zurückzukehren. Und der sportliche Ehrgeiz. „Die Turner haben mich gefragt, warum ich gehe. Da habe ich gesagt: 'Ich möchte einmal Meister werden'.“ Das hat dann auch prompt geklappt. Die Spielzeit 1989/90 mit der Bayernliga-Meisterschaft und dem Aufstieg in die 2. Bundesliga sieht der Masseur als Höhepunkte seiner langjährigen Tätigkeit.
„Bei Lorant galten vor allem drei Dinge: Disziplin, Disziplin, Disziplin.“ Sein Ruf als harter Hund sei berechtigt gewesen. „Wenn ich zu Lorant kam und sagte, 'der Mann kann nicht spielen, der hat einen Muskelfaserriss', meinte Lorant nur: 'ich seh nix' und am Samstag stand der Spieler auf dem Platz. Bei Lorant galten nur offene Brüche als Entschuldigung.“ Noch schöner sei freilich die Saison 1990/91 in der 2. Bundesliga gewesen. Dauertabellenletzter hin oder her. Legendär ist aus dieser Zeit die Anekdote, dass Trainer Niko Semlitsch nach einem schlechten Spiel den Kader mit Curtius zum Waldlauf schickte. Hinterher saßen die ersten Drei völlig ausgepumpt in der Kabine.
„Semlitsch hat die gefragt, wann sie den Curtius verloren hätten. Die Antwort vom Werner Köhler war, dass der Curtius die Spieler nach zehn Minuten abgehängt hatte. Ich war geduscht und saß schon längst wieder auf dem Rad.“
Schließlich war der heute 70-Jährige in erster Linie Ausdauersportler. Radfahrer durch den Beruf, auch Läufer. Werner Köhler berichtete Curtius in den 80ern, dass es da „was Neues gäbe, das sich Triathlon nennt und aus Schwimmen, Radfahren und Laufen besteht. Ich habe gesagt, das ist unmöglich, so etwas zu schaffen. Aber gereizt hat es mich dann doch“. Also begann Curtius auch mit dem Schwimmen. Bis heute blieb es seine große Schwäche und verhinderte Platzierungen ganz vorne, auch wenn er in seiner jeweiligen Altersklasse immer sehr gute Ergebnisse erzielte.
Trotzdem schaffte Curtius gleich bei seinem ersten Triathlon in Roth die Qualifikation für den Iron-Man auf Hawaii – als erster Schweinfurter überhaupt. Dafür trainierte er bis zum Exzess. „Es gab nur noch Arbeit und Training. Über so etwas gehen auch Freundschaften und Beziehungen in die Brüche.“ Auf Hawaii hielt er durch, kam um Platz 600 ins Ziel. Viermal in Folge. „Hawaii ist die Krönung. Trotz der Hitze und des Asphalts. Aber das Glücksgefühl, wenn man unter dem Jubel der Zuschauer das Ziel erreicht, das ist mit nichts zu vergleichen.“
Im Raum Schweinfurt zog Curtius weiter. Vom FC 05 zurück zur FTS. Weitere Stationen waren unter anderem die DJK Schweinfurt, Sennfeld, Eßleben, Gerolzhofen und zuletzt zehn Jahre die DJK Schwebenried/Schwemmelsbach. Da, wo Curtius wirkte, war meistens auch Erfolg. Manche holten ihn auch nur für ein paar wichtige Spiele. Daniel Tomitza zum Beispiel zum TSV Grafenrheinfeld. Grafenrheinfeld wurde Meister. Ende der Spielzeit 2016/17 bat ihn der von Schwebenried als Spielertrainer zum TSV Oerlenbach/Ebenhausen gewechselte Thorsten Büttner für fünf Spiele um Hilfe. Auch der TSV stieg in der Relegation auf.
Doch nicht nur wegen seiner fachlichen Qualifikation ist Curtius bekannt, auch als Typ. Manche reiben sich auch an dem Masseur, der sich nicht mit Muskelkneten zufrieden gibt, sondern sich auch für den Erfolg einmischt und immer einen Spruch parat hat. In Sennfeld trug er sogar maßgeblich zum Abschuss von Trainer Michael Weber bei. „Ich bin zum Vorstand gegangen. Nachdem er weg war, haben die Spieler Spalier gestanden und mir applaudiert. Weber hat sich dann über die Zeitung beschwert, dass ich Schuld an seiner Entlassung sei.“ Von Daniel Tomitza ist das Zitat überliefert: „Walter Curtius ist als Masseur eine Legende und als Mensch weiser als Gandalf aus dem Herrn der Ringe.“ Bekannt ist auch, dass in seiner Medizintasche immer ein Vorrat an Gummibärchen zu finden ist. „Ich kam meist direkt von meinem eigenen Lauf- oder Radtraining zu den Fußballspielen und wollte nur was für mich zum Knabbern dabei haben.“ Es dauerte nicht lange, da waren die Gummibärchen auf der Bank bei Spielern und Trainern als Nervennahrung beliebt.
Nun also hat sich Curtius von der lokalen Sportbühne verabschiedet. Doch niemand geht so ganz. Die Praxis in Niederwerrn betreibt er sowieso weiter. Auf die Frage, ob er nach seinen Operationen wieder einsteigt, grinst Curtius nur. Man darf das wohl als „ja“ interpretieren. „Vorerst habe ich den Schwebenriedern versprochen, dass sie in wichtigen Spielen auf mich zukommen können.“ So wird Walter Curtius beim Landesliga-Auftakt schon wieder mit Fachwissen, Tipps und Gummibärchen auf der Bank sitzen. Denn das Derby gegen Euerbach ist ohne Zweifel ein wichtiges Spiel.