Er galt als Senkrechtstarter unter Deutschlands Fußballschiedsrichtern. Mit gerade einmal 26 Jahren war Benjamin Brand in der Bundesliga angekommen. Der Gerolzhöfer leitete Spiele wie Köln gegen Dortmund und Leipzig gegen Frankfurt. Dann stand plötzlich die Bilderbuchkarriere auf der Kippe – Bandscheibenvorfall. Fast zwei Jahre war Brand von der Bildfläche verschwunden. Im Steilpass-Interview erzählt der 33-Jährige, wie es ihm heute geht, wer ihm in der schweren Zeit geholfen hat und ob die Spieler ihn duzen dürfen.
Benjamin Brand: Jürgen Pfau aus Frankenwinheim, Vize-Präsident des Bayerischen Fußball-Verbands und wie ich in der Schiedsrichtergruppe Gerolzhofen. Um von erfahrenen Kollegen zu lernen, war ich in der Anfangszeit einige Male sein Assistent an der Linie. Später haben die Rollen gewechselt, und er war mein Assistent, etwa beim unterfränkischen Pokalfinale 2006 zwischen Schweinfurt 05 und Großbardorf, das ich mit 16 Jahren leiten durfte.
Brand: Ich komme aus einer Schiedsrichter-Familie. Mit 14 habe ich die Prüfung abgelegt und in den Anfangsjahren 90 Spiele pro Saison gepfiffen. Fast jedes Jahr ging es eine Klasse hoch. Seit 2015 pfeife ich in der Bundesliga und bin auch international als Videoassistent im Einsatz. Ich hatte immer Spaß, selbst gegen den Ball zu treten – zehn Jahre in der Jugend des FC Gerolzhofen. Im Zweikampf habe ich gerne mal hingelangt. Diese Erfahrungen helfen, um sich als Schiedsrichter in die Spieler hineinzuversetzen. Ein Knöchelbruch hat mit 15 meine Spielerkarriere beendet.
Brand: Ich bin Betriebswirt. Dass ich vor dem Ende des Studiums in die Bundesliga gekommen bin, war für den Berufseinstieg problematisch. Welcher Arbeitgeber erlaubt einem Absolventen, kurzfristig Urlaub zu nehmen, wenn Spiele unter der Woche anstehen? Ein internationales Spiel bedeutet, drei Tage unterwegs zu sein. Eine Woche vorher erfahre ich, wo ich eingeteilt bin. Ich habe ein Traineeprogramm bei einer Bank in Schweinfurt begonnen, aber nach einem halben Jahr festgestellt, dass sich selbst eine Teilzeitstelle nicht mit den Einsätzen in der Bundesliga oder im Ausland vereinbaren lässt. Seitdem konzentriere ich mich ausschließlich auf die Schiedsrichterei.
Brand: Die Vorstellung, den Ball ins Stadion zu tragen, hat mich schon als Jugendlicher angetrieben. Jedes Spiel ist eine wahnsinnig reizvolle Aufgabe, die mich sehr erfüllt. Mit den Spielern interagieren, Entscheidungen treffen, die Atmosphäre erleben – das erzeugt Adrenalin, das ist unfassbar spannend und hat mir während meiner Verletzung sehr gefehlt.
Brand: 2017 bekam ich ununterbrochen starke Nacken- und Schulterschmerzen, die sich bis in den Arm ausgebreitet haben. Ein Stück der Bandscheibe hatte sich gelöst und einen Nerv eingeklemmt. Die erste Operation hat nicht so funktioniert, dass die Schmerzen dauerhaft verschwunden sind. Ich bin durchs ganze Land getingelt, um den richtigen Arzt zu finden. Das war eine frustrierende Zeit, in der ich nicht mal Fußball im Fernsehen schauen wollte. Bis zum zweiten Eingriff ist ein Jahr vergangen, und die Reha hat noch einmal acht Monate gedauert. Heute fühle ich mich wieder wohl und habe keine Einschränkungen.
Brand: Nach der missglückten Operation kamen solche Gedanken. Aber meine Familie, der DFB und mein Arzt meinten, dass es dafür noch zu früh sei. Von meinem Arzt habe ich viel Zuspruch erhalten. Er hat mein ganzes Vertrauen, so dass ich gerne die 350 Kilometer zu den Kontrollterminen fahre. Die Rolle als Videoassistent bei zwei Spielen pro Wochenende hat mir geholfen, um im Thema zu bleiben und den Kontakt zu den Kollegen zu halten.
Brand: Als Schiedsrichter kann man auf das Netzwerk des DFB zurückgreifen, aber man muss alles selbst koordinieren. Du fährst alleine zu Ärzten und Physiotherapeuten, kümmerst dich um einen Platz in der Reha, gehst zu irgendeinem Sportplatz und stellst dir die Hütchen auf, um zu trainieren. Das erfordert große Selbstmotivation.
Brand: Der DFB hat für die Schiedsrichter der ersten und zweiten Bundesliga vor Jahren ein Grundgehalt eingeführt – zusätzlich zur Einsatzprämie. Das war ein entscheidender und gerechtfertigter Schritt. Seitdem ist auch ein länger verletzter Schiedsrichter ein Stück weit abgesichert. Davor gab es nur die Bezahlung pro Spiel.
Brand: Bei einigen meiner Kollegen, die schon länger dabei sind und die Topspiele pfeifen, ist das der Fall. Ich bin in der glücklichen Situation, dass das bei mir noch nicht vorkommt und ich mit meiner Frau und meinem Sohn unerkannt ins Schwimmbad gehen kann. Wenn ich mir in der Region Amateurspiele anschaue, kommt schon mal der ein oder andere auf mich zu, was ich als angenehm empfinde.
Brand: Alles ist erlaubt. Dass mich die Spieler siezen, ist aber die Ausnahme. Die Art und Weise, wie man miteinander spricht, ist mir wichtiger als die Anrede.
Brand: Mein Steilpass geht in die Rhön zu Johannes Geis, der Profi beim 1. FC Nürnberg ist. Als ich am 22. August 2015 zum ersten Mal in der Bundesliga gepfiffen habe, spielte er noch für Schalke – gegen Darmstadt. Bei meinem Debüt war er also der zweite Unterfranke auf dem Platz.