
Alljährlich am Namenstag des Frankenheiligen Martin verleihen die Regierungspräsidenten aus Würzburg, Ansbach und Bayreuth den "Frankenwürfel": an drei Persönlichkeiten, bei denen "das Prägende des fränkischen Charakters" - das Wendige, Witzige, Widersprüchliche - "besonders deutlich zum Ausdruck kommt". An diesem 11. November geht der Frankenwürfel 2023 an Oberfränkin und Festival-Intendantin Sissy Thammer, den früheren Rother SPD-Landrat Herbert Eckstein aus Mittelfranken. Und an Klaus Reder, den Bezirksheimatpfleger von Unterfranken.
Seit 40 Jahren ist der gebürtige Obereßfelder Klaus Reder für den Bezirk tätig - und bekannt fürs Anstoßen, Fördern und für klare Worte. Doch wie pflegt man Heimat heute? Im Interview sagt der 65-jährige Honorarprofessor, was Unterfranken für ihn ausmacht. Und warum man pragmatisch und offensiv an Dinge rangehen sollte.
Klaus Reder: Die Offenheit! Man ist ja ständig Veränderungen ausgesetzt. Wenn ich an mich denke, ich bin im Zonengrenzgebiet aufgewachsen, plötzlich war die Grenze offen. Ich habe in Münnerstadt Boat People aus Vietnam betreut, ich mache Flüchtlingsarbeit bei Sant'Egidio, die Obdachlosigkeit steigt wieder. Man muss immer offen sein und die Heimat nicht als etwas Statisches definieren, sondern sehen, dass sie jeden Tag neu gestaltet werden muss.
Reder: Wenn man sieht, wie wahnsinnig integrativ die Vereine in vielen Orten tätig sind – da könnten sich die Kirchen etwas abschauen! Die Sportvereine, die Musikkapellen und Chöre, die merken, dass man die anderen braucht. Die Offenheit ist im Konkreten da.
Reder: Typisch, und das ist das zweite, dass man sehr pragmatisch ist. Man geht die Dinge nicht theoretisch an und redet viel herum. Sondern man macht. Man sieht ein Problem: Leerstände, Nachwuchsmangel im Verein . . . Man kann entweder den Kopf in den Sand stecken. Oder eben pragmatisch rangehen. Da ist die Situation hier ganz anders als zum Beispiel in den Bezirken meiner oberbayerischen Kolleginnen und Kollegen.
Reder: Da wird von vielen Vereinen in Trachten oder Uniformen vor laufender Kamera und bei staatstragenden Anlässen scheinbar unverrückbare Tradition präsentiert. Da heißt es: Mia san mia. War schon immer so und soll immer so bleiben. Da wird das Statische, das Bewahrende wesentlich stärker gefeiert. Zum Fränkischen mit seiner kleinteilig angelegten Ortstruktur gehören Pragmatismus und Offenheit. Haus oder Äcker – in der Realteilung wurde alles geteilt. Man musste mit dem anderen also auskommen.
Reder: Was ich im Bereich Kultur sehe: Wir haben viele "Hidden Champions" hervorgebracht. Meine Amtsvorgänger haben sich immer um Dialekt, um Mundart gekümmert und man hat diese unsäglichen Heimatdichter auftreten lassen, die eine oft verkitschte, hermetisch abgeschlossene heile Welt erfunden haben. Wir sind einen ganz anderen Weg gegangen: Wir haben das Unterfränkische Dialektinstitut gegründet, das auch rausgeht, in die Schulen. Und "Fastnacht in Franken" und auch Erwin Pelzig und Urban Priol haben für das Mundart-Bewusstsein, für die regionale Identität wesentlich mehr getan als rückwärtsgewandte Heimatdichter. Da stellen wir ein bisschen unser Licht unter den Scheffel: Ohne große staatliche Unterstützung haben wir eine selbstbewusste, qualitätvolle Mundartszene.

Reder: Wir nennen uns hier im Bezirk "Kulturarbeit und Heimatpflege". Das Bewahren ist das eine. Aber was will ich denn bewahren? Auch als Wissenschaftler muss ich doch anerkennen: Bräuche entwickeln sich immer weiter. Denken Sie an Weihnachten, an Halloween . . . Uns geht es auch nicht darum zu entscheiden, was ist ein guter Brauch, was ist ein schlechter? Sondern wir fragen nach dem Kern. Das Sinnstiftende, das Verbindende und Gemeinschaftsstiftende – das wollen wir bewahren. Es beginnt schwierig zu werden, wenn alles Kommerz ist und Mogelpackung.
Reder: Nicht ständig Angst zu haben. Nicht den Verlust und den Untergang zu bejammern mit Massen von schlecht gemachten Heimatmuseen als Ergebnis. Bewahrung heißt nicht Stillstand, Bewahrung heißt immer Fortschritt, Veränderung. Zum Beispiel muss auch die Energiewende in der Denkmalpflege ankommen.
Reder: Ich wäre froh, wenn der Freistaat alle seine Gebäude mit Solaranlagen bestücken würde. Die Erlöserschwestern in Würzburg machen es gerade vor, wie es an historischen Gebäuden geht. PV-Module auf dem Regensburger Dom sind natürlich jetzt vielleicht nicht gerade der Burner . . . Aber wir müssen mit der Zeit gehen und das, was qualitätvoll ist, so bewahren.
Reder: Oberfranken hat mit der riesigen Oberfranken-Stiftung der Regierung ganz andere Mittel für große Events zur Verfügung. Schwaben zum Beispiel hat enorm viele Einrichtungen, zum Beispiel Museen, Bildungseinrichtungen. Und Oberbayern mit München ist ein Riesenmoloch. Wir haben nicht viele eigene Einrichtung. Aber wir sind gut aufgestellt in einigen Förderbereichen: Kleinkunst, Erinnerungskultur, Popularmusik. Wir haben als erste einen hauptamtlichen Beauftragten für Popularmusik bekommen!
Reder: Ich hatte ziemlich viel Freiheit und habe eben immer versucht, politische Mehrheiten zu organisieren und Allianzen zu schmieden, um bestimmte Dinge zu machen.
Reder: Nein, die Qualität der Projekte ist entscheidend. Dann findet man auch Sponsoren und Unterstützer. Denken Sie an Festivals wie "Ab geht die Luzie!". Da gibt es so viele Leute, die einsteigen und mitziehen, wenn die Qualität stimmt.
Reder: Ich merke, dass wahnsinnig viel geforscht wird. Es sind noch nie so viele Ortschroniken, Aufsätze, Podcasts, Dokumentationen erschienen. Und wenn ich sehe, wie viele Leute sich bei der Dorferneuerung engagieren. Wie viele Leute bereit sind, riesige Kästen im Denkmalpflegebereich zu übernehmen. Was ich mir manchmal noch mehr wünsche: revolutionärer zu sein! Über die klassischen Grenzen hinaus. Warum muss in jedes denkmalgeschützte Haus ein Museum? Warum braucht jeder Verein sein eigenes Vereinsheim? Warum muss man jede Kirche erhalten? Da muss man pragmatischer sein. Wohnraum schaffen statt mehr Vereinsheime!
Reder: Warum nicht einige zurückbauen? Warum nicht zu Wohnhäusern umbauen? Wir könnten lernen daraus, wie heute mit den wenigen verbliebenen Synagogen umgegangen wird, die leider aus den bekannten schrecklichen Gründen nicht mehr von Gläubigen genutzt werden. Manche Synagogen wurden zum Beispiel mit Respekt vor der Bausubstanz zu Wohnhäusern umgebaut. Es muss ja keine Diskothek und kein Supermarkt sein. Aber man sollte da offensiv rangehen.

Reder: Die aktuelle Situation. Ich bin vor 40 Jahren gestartet mit Erinnerungskultur. Dass der Antisemitismus und auch die Fremdenfeindlichkeit so tief verwurzelt sind, wie wir es jetzt erleben, hätte ich mir nicht vorstellen können. Das erschreckt mich sehr. Dass wir doch nicht so weit sind, wie man sich immer eingeredet hat. Es war eine Fehleinschätzung von mir selbst und beschäftigt mich sehr. Heimat muss täglich erarbeitet werden. Auch Demokratie. Wir waren und sind uns der Sache zu sicher.
Reder: Wenn ich in meine Heimatgemeinde Obereßfeld komme, sagen so manche: Klaus, es war doch nicht ganz so falsch, dass wir dich ham studier lass. Ehrungen sind schön. Aber dass man manche Leute nicht enttäuscht, die einen seit 65 Jahren kennen, das ist mit das Schönste.
In Holland gibt es eine Kirche, die auch schon älter ist und als Wohnhäuser umgebaut wurde, sogar mit einem verglasten Balkon. Und in Rom gibt es eine, die wurde als Restaurant genutzt.
letztes Jahr in Dertingen geschehen ist. Die Kirche in Dertingen wurde provanisiert und dem Abriss freigegeben.Ein Eigentümer der das Grundstück kaufte, baute sich ein Familienhaus dort an gleicher Stelle auf. Zum anderen sind Kirchen ja auch ein Ort, wo man sich außer Gottesdienstzeiten treffen kann, wie z. B. bei Konzerten o. dgl. Diese sind meist besser besucht wie der Gottesdienst selbst. Das Mango in unserer beiden Kirchen, katholisch oder auch evangelisch ist, dass der Zeitgeist fehlt, sowohl bei Priestern/Pastoren als auch bei den Gläubigen. Da ist uns der Islam ein gutes Stück voraus. Bei den wöchentlichen gebeten oder beim Ramadan sind die Moscheen immer probevoll. Woran das nur liegen mag?
Kennen sie die alte Kirche in Waldbüttelbrunn?
Außerdem gibt es mittlerweile einige umgebaute Kirchen sowohl als Wohnhaus als auch als Hotel
Wenn nicht, dann muss das wohl die Kirche selbst machen. Ganz einfach