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Würzburg
"Warum nicht Kirchen zu Wohnhäusern umbauen?": Unterfrankens Heimatpfleger Klaus Reder will den offensiven Wandel
Das Bundesverdienstkreuz hat er heuer schon bekommen - jetzt auch den Frankenwürfel. Warum der 65-jährige Bezirksheimatpfleger Veränderung will statt Stillstand.
Geehrt mit dem Frankenwürfel 2023: Unterfrankens Bezirksheimatpfleger Prof. Klaus Reder.
Foto: Silvia Gralla | Geehrt mit dem Frankenwürfel 2023: Unterfrankens Bezirksheimatpfleger Prof. Klaus Reder.
Alice Natter
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:15 Uhr

Alljährlich am Namenstag des Frankenheiligen Martin verleihen die  Regierungspräsidenten aus Würzburg, Ansbach und Bayreuth den "Frankenwürfel": an drei Persönlichkeiten, bei denen "das Prägende des fränkischen Charakters" - das Wendige, Witzige, Widersprüchliche - "besonders deutlich zum Ausdruck kommt". An diesem 11. November geht der Frankenwürfel 2023 an Oberfränkin und Festival-Intendantin Sissy Thammer, den früheren Rother SPD-Landrat Herbert Eckstein aus Mittelfranken. Und an Klaus Reder, den Bezirksheimatpfleger von Unterfranken.

Seit 40 Jahren ist der gebürtige Obereßfelder Klaus Reder für den Bezirk tätig - und bekannt fürs Anstoßen, Fördern und für klare Worte. Doch wie pflegt man Heimat heute? Im Interview sagt der 65-jährige Honorarprofessor, was Unterfranken für ihn ausmacht. Und warum man pragmatisch und offensiv an Dinge rangehen sollte.

Was sind für den Bezirksheimatpfleger von Unterfranken die drei wichtigsten Dinge, die Unterfrankens Heimat ausmachen?

Klaus Reder: Die Offenheit! Man ist ja ständig Veränderungen ausgesetzt. Wenn ich an mich denke, ich bin im Zonengrenzgebiet aufgewachsen, plötzlich war die Grenze offen. Ich habe in Münnerstadt Boat People aus Vietnam betreut, ich mache Flüchtlingsarbeit bei Sant'Egidio, die Obdachlosigkeit steigt wieder. Man muss immer offen sein und die Heimat nicht als etwas Statisches definieren, sondern sehen, dass sie jeden Tag neu gestaltet werden muss.

Das macht Heimat, macht Unterfranken aus?

Reder: Wenn man sieht, wie wahnsinnig integrativ die Vereine in vielen Orten tätig sind – da könnten sich die Kirchen etwas abschauen! Die Sportvereine, die Musikkapellen und Chöre, die merken, dass man die anderen braucht. Die Offenheit ist im Konkreten da.

Aber typisch für Unterfranken ist das nicht, oder?

Reder: Typisch, und das ist das zweite, dass man sehr pragmatisch ist. Man geht die Dinge nicht theoretisch an und redet viel herum. Sondern man macht. Man sieht ein Problem: Leerstände, Nachwuchsmangel im Verein . . . Man kann entweder den Kopf in den Sand stecken. Oder eben pragmatisch rangehen. Da ist die Situation hier ganz anders als zum Beispiel in den Bezirken meiner oberbayerischen Kolleginnen und Kollegen.

Wie ist es da?

Reder: Da wird von vielen Vereinen in Trachten oder Uniformen vor laufender Kamera und bei staatstragenden Anlässen scheinbar unverrückbare Tradition präsentiert. Da heißt es: Mia san mia. War schon immer so und soll immer so bleiben. Da wird das Statische, das Bewahrende wesentlich stärker gefeiert. Zum Fränkischen mit seiner kleinteilig angelegten Ortstruktur gehören Pragmatismus und Offenheit. Haus oder Äcker – in der Realteilung wurde alles geteilt. Man musste mit dem anderen also auskommen.

Offenheit, Pragmatismus – und das Dritte?

Reder: Was ich im Bereich Kultur sehe: Wir haben viele "Hidden Champions" hervorgebracht. Meine Amtsvorgänger haben sich immer um Dialekt, um Mundart gekümmert und man hat diese unsäglichen Heimatdichter auftreten lassen, die eine oft verkitschte, hermetisch abgeschlossene heile Welt erfunden haben. Wir sind einen ganz anderen Weg gegangen: Wir haben das Unterfränkische Dialektinstitut gegründet, das auch rausgeht, in die Schulen. Und "Fastnacht in Franken" und auch Erwin Pelzig und Urban Priol haben für das Mundart-Bewusstsein, für die regionale Identität wesentlich mehr getan als rückwärtsgewandte Heimatdichter. Da stellen wir ein bisschen unser Licht unter den Scheffel: Ohne große staatliche Unterstützung haben wir eine selbstbewusste, qualitätvolle Mundartszene.

Der Porzellanwürfel der drei fränkischen Regierungsbezirke wird alljährlich an drei Personen aus Unterfranken, Mittelfranken und Oberfranken verliehen, bei denen das Prägende des fränkischen Charakters besonders deutlich zum Ausdruck kommt.
Foto: Thomas Obermeier | Der Porzellanwürfel der drei fränkischen Regierungsbezirke wird alljährlich an drei Personen aus Unterfranken, Mittelfranken und Oberfranken verliehen, bei denen das Prägende des fränkischen Charakters besonders ...
Dass es ums Bewahren, Erhalten geht, würde man eigentlich nicht nur vom oberbayerischen Bezirksheimatpfleger erwarten. Sondern auch von Ihnen.

Reder: Wir nennen uns hier im Bezirk "Kulturarbeit und Heimatpflege". Das Bewahren ist das eine. Aber was will ich denn bewahren? Auch als Wissenschaftler muss ich doch anerkennen: Bräuche entwickeln sich immer weiter. Denken Sie an Weihnachten, an Halloween . . . Uns geht es auch nicht darum zu entscheiden, was ist ein guter Brauch, was ist ein schlechter? Sondern wir fragen nach dem Kern. Das Sinnstiftende, das Verbindende und Gemeinschaftsstiftende – das wollen wir bewahren. Es beginnt schwierig zu werden, wenn alles Kommerz ist und Mogelpackung.

"Bewahren heißt, nicht ständig Angst zu haben."
Klaus Reder, Unterfrankens Bezirksheimatpfleger
Bewahren heißt also?

Reder: Nicht ständig Angst zu haben. Nicht den Verlust und den Untergang zu bejammern mit Massen von schlecht gemachten Heimatmuseen als Ergebnis. Bewahrung heißt nicht Stillstand, Bewahrung heißt immer Fortschritt, Veränderung. Zum Beispiel muss auch die Energiewende in der Denkmalpflege ankommen.

Sie haben nichts gegen Solaranlagen auf dem denkmalgeschützten Haus?

Reder: Ich wäre froh, wenn der Freistaat alle seine Gebäude mit Solaranlagen bestücken würde. Die Erlöserschwestern in Würzburg machen es gerade vor, wie es an historischen Gebäuden geht. PV-Module auf dem Regensburger Dom sind natürlich jetzt vielleicht nicht gerade der Burner . . . Aber wir müssen mit der Zeit gehen und das, was qualitätvoll ist, so bewahren.

Wenn Sie die Bezirke und die Heimatpflege in Bayern vergleichen – wo sehen Sie Unterfranken?

Reder: Oberfranken hat mit der riesigen Oberfranken-Stiftung der Regierung ganz andere Mittel für große Events zur Verfügung. Schwaben zum Beispiel hat enorm viele Einrichtungen, zum Beispiel Museen, Bildungseinrichtungen. Und Oberbayern mit München ist ein Riesenmoloch. Wir haben nicht viele eigene Einrichtung. Aber wir sind gut aufgestellt in einigen Förderbereichen: Kleinkunst, Erinnerungskultur, Popularmusik. Wir haben als erste einen hauptamtlichen Beauftragten für Popularmusik bekommen!

Stichwort Mittel: Hat’s Ihnen bei Ihren Projekten in den 40 Jahren nie an Geld gefehlt?

Reder: Ich hatte ziemlich viel Freiheit und habe eben immer versucht, politische Mehrheiten zu organisieren und Allianzen zu schmieden, um bestimmte Dinge zu machen.

Geld ist nicht das Entscheidende?

Reder: Nein, die Qualität der Projekte ist entscheidend. Dann findet man auch Sponsoren und Unterstützer. Denken Sie an Festivals wie "Ab geht die Luzie!". Da gibt es so viele Leute, die einsteigen und mitziehen, wenn die Qualität stimmt.

Wie ist es in Unterfranken um das Heimat-Wissen, das Heimat-Bewusstsein bestellt?

Reder: Ich merke, dass wahnsinnig viel geforscht wird. Es sind noch nie so viele Ortschroniken, Aufsätze, Podcasts, Dokumentationen erschienen. Und wenn ich sehe, wie viele Leute sich bei der Dorferneuerung engagieren. Wie viele Leute bereit sind, riesige Kästen im Denkmalpflegebereich zu übernehmen. Was ich mir manchmal noch mehr wünsche: revolutionärer zu sein! Über die klassischen Grenzen hinaus. Warum muss in jedes denkmalgeschützte Haus ein Museum? Warum braucht jeder Verein sein eigenes Vereinsheim? Warum muss man jede Kirche erhalten? Da muss man pragmatischer sein. Wohnraum schaffen statt mehr Vereinsheime!

Oha, Sie wollen die Kirche nicht im Dorf lassen?

Reder: Warum nicht einige zurückbauen? Warum nicht zu Wohnhäusern umbauen? Wir könnten lernen daraus, wie heute mit den wenigen verbliebenen Synagogen umgegangen wird, die leider aus den bekannten schrecklichen Gründen nicht mehr von Gläubigen genutzt werden. Manche Synagogen wurden zum Beispiel mit Respekt vor der Bausubstanz zu Wohnhäusern umgebaut. Es muss ja keine Diskothek und kein Supermarkt sein. Aber man sollte da offensiv rangehen.

Seit 40 Jahren für den Bezirk Unterfranken tätig, in diesem Jahr 65 geworden - und mit dem Verdienstkreuz am Bande und jetzt auch dem Frankenwürfel ausgezeichnet: Klaus Reder. 
Foto: Silvia Gralla | Seit 40 Jahren für den Bezirk Unterfranken tätig, in diesem Jahr 65 geworden - und mit dem Verdienstkreuz am Bande und jetzt auch dem Frankenwürfel ausgezeichnet: Klaus Reder. 
Offensiv gefragt: Was ist Ihnen bislang nicht gelungen? Ihre größte Pleite?

Reder: Die aktuelle Situation. Ich bin vor 40 Jahren gestartet mit Erinnerungskultur. Dass der Antisemitismus und auch die Fremdenfeindlichkeit so tief verwurzelt sind, wie wir es jetzt erleben, hätte ich mir nicht vorstellen können. Das erschreckt mich sehr. Dass wir doch nicht so weit sind, wie man sich immer eingeredet hat. Es war eine Fehleinschätzung von mir selbst und beschäftigt mich sehr. Heimat muss täglich erarbeitet werden. Auch Demokratie. Wir waren und sind uns der Sache zu sicher.

Zum Schluss der Dreh ins Positive: Ihr schönster Erfolg und Ihre persönlich größte Freude?

Reder: Wenn ich in meine Heimatgemeinde Obereßfeld komme, sagen so manche: Klaus, es war doch nicht ganz so falsch, dass wir dich ham studier lass. Ehrungen sind schön. Aber dass man manche Leute nicht enttäuscht, die einen seit 65 Jahren kennen, das ist mit das Schönste.

Prof. Klaus Reder

Der promovierte Volkskundler und Historiker, 1958 in Obereßfeld im Grabfeld geboren, ist seit 1999 hauptamtlicher Heimatpfleger im Bezirk Unterfranken. Das von ihm geleitete Referat Kulturarbeit und Heimatpflege unterstützt Vereine, Verbände und Privatleute, die sich in Unterfranken für Geschichte und Bräuche engagieren und sie bewahren helfen. Der 65-Jährige ist Lehrbeauftragter an der Uni Würzburg und seit 2007 Honorarprofessor am Lehrstuhl für Europäische Ethnologie und Volkskunde.
Seit Jahrzehnten engagiert sich Klaus Reder für den christlich-jüdischen Dialog und für die Gemeinschaft Sant'Egidio, deren Vorsitzender in Deutschland er ist. So initiierte er beispielsweise das Gedenken an die Deportation der Juden aus Würzburg am Jahrestag der ersten Verschleppung am 27. November 1941 mit. In diesem Februar wurde Klaus Reder für sein Wirken mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.
nat
 
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  • E. Böhrer
    Ich kann mich noch gut erinnern, wie in Oerlenbach, Landkreis Bad Kissingen, die alte Kirche abgerissen wurde. Sie war schon im Urkataster verzeichnet. Heute gehört das Gelände zum Anwesen Hauptstr. 6.
    In Holland gibt es eine Kirche, die auch schon älter ist und als Wohnhäuser umgebaut wurde, sogar mit einem verglasten Balkon. Und in Rom gibt es eine, die wurde als Restaurant genutzt.
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  • Ralf Eberhardt
    Ich verstehe die Ausführungen von Herrn Professor Reder primär so, dass es für die Verwirklichung von vielen Projekten immer notwendig ist, Menschen mit viel (Eigen-)Initiative zu finden und zu "bündeln" und immer auch einmal über den Tellerrand hinaus zu schauen. Da sind die Kirchen wohl eher als Symbol für Letzeres gemeint. Vielleicht dann eher als Nutzraum für die Gemeinden, in denen sie stehen. Problem wird da die Finanzierung dieser Erhaltung sein, selbst wenn die Kirche/n diese abgeben.
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  • Klaus B. Fiederling
    Kirchen als Wohnhäuser umzubauen ist praktisch und faktisch unmöglich! Viele Kirchen in unserem Bistum sind zum Teil 200 Jahre alt und/oder älter. Ein altes Gemäuer kann man nicht umbauen, wenn dann müsste man es schon wegreißen und einen Neubau hinstellen, wie z. B.
    letztes Jahr in Dertingen geschehen ist. Die Kirche in Dertingen wurde provanisiert und dem Abriss freigegeben.Ein Eigentümer der das Grundstück kaufte, baute sich ein Familienhaus dort an gleicher Stelle auf. Zum anderen sind Kirchen ja auch ein Ort, wo man sich außer Gottesdienstzeiten treffen kann, wie z. B. bei Konzerten o. dgl. Diese sind meist besser besucht wie der Gottesdienst selbst. Das Mango in unserer beiden Kirchen, katholisch oder auch evangelisch ist, dass der Zeitgeist fehlt, sowohl bei Priestern/Pastoren als auch bei den Gläubigen. Da ist uns der Islam ein gutes Stück voraus. Bei den wöchentlichen gebeten oder beim Ramadan sind die Moscheen immer probevoll. Woran das nur liegen mag?
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  • Walter Seubert
    Ansichtssache
    Kennen sie die alte Kirche in Waldbüttelbrunn?
    Außerdem gibt es mittlerweile einige umgebaute Kirchen sowohl als Wohnhaus als auch als Hotel
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  • Kerstin Celina
    Ein außergewöhnliches Interview mit einem außergewöhnlichen Mann. Danke dafür.
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  • Barbara Fersch
    die Frage wird wohl spannend, wer die Kosten für einen Kirchenumbau trägt.
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  • Walter Seubert
    Die Kirchen könnten ja verkauft werden dann kann der neue Eigentümer umbauen.
    Wenn nicht, dann muss das wohl die Kirche selbst machen. Ganz einfach
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