
Es war wie früher. Wobei früher erst drei Jahre zurück ist, und doch wie eine Ewigkeit entfernt scheint. Ein bestens aufgelegter Urban Priol ist am Mittwoch im Würzburger Bockshorn und das Bockshorn ist bis auf den letzten Platz besetzt. "Die Franzosen schauen schon neugierig rüber zu uns." Gleich mit dem ersten Satz ist er mittendrin im "Quasi-Generalstreik vom Montag" und damit in der aktuellen Tagespolitik.
Inflation an Inflations-Experten
Auch die spitzen Bemerkungen zum 30-Stunden-Marathon des Koalitionsausschusses, dem Staatsbesuch des englischen Königs Charles III. und zur soeben im Bundestag verabschiedeten Wahlrechtsreform zeigen: Urban Priol ist nicht nur, wie immer, top aktuell, sondern auch top informiert. Und angriffslustig wie früher, sogar noch angriffslustiger, weil noch unduldsamer mit dem politischen Personal der Republik und dessen öffentlichen Auftritten.
"Im Fluss" ist daher der passende Programmtitel, alles fließt täglich frisch aus allen Kanälen, im Zeitalter der sozialen Medien schneller denn je. Immer aktuell zu sein, ist daher unverzichtbare Pflicht für den Kabarettisten, da "lohnt sich das Auswendiglernen eines festen Textes längst nicht mehr." Frei und blitzschnell assoziierend fegt Priol durch die Krisen unserer Zeit (Corona-, Ukraine-, Energie- und Klimakrise), knüpft verbindende Fäden und bringt komplexe Zusammenhänge auf den satirischen Punkt.
Auch die Medien bekamen ihr Fett weg
Er mokiert sich über die Inflation der Experten in der Inflation und deren mediale Omnipräsenz - "und alle sitzen sie bei Lanz!" Und auch Medien jeder Couleur und Darreichungsform werden nicht verschont: "Wichtig sind nur noch die möglichst viele Clicks erzeugenden Schlagzeilen des Tages, die Inhalte verschwinden hinter der Bezahlschranke."
Sein immer ausgefeilteres parodistisches Können beweist Priol, auch das ist wie früher, an seinen "Lieblings"-Politikern. Perfektioniert hat er diese Imitationskunst bei den Ministerpräsidenten Markus Söder und Winfried Kretschmann, neu und ausbaufähig ist sie bei Finanzminister Christian Lindner, während er bei Kanzler Olaf Scholz resigniert hat ("Scholz kann man nicht parodieren, da müsste man Pantomime können"). Friedrich Merz und natürlich die 16-Jahre-Regierungschefs Kohl und Merkel kommen genauso wenig ungeschoren davon, wie der aktuelle Gesundheitsminister und sein Vorgänger.
Vom warmen zum kalten Hefeweizen
Aber auch kulturelle und gesellschaftliche Streitfelder wie die tägliche Flut von Push-Up-Nachrichten, die Belästigung durch "Behelfs-Promis", die Pseudo-Wichtigkeit des neuen Berufsbildes Influencerin, die Debatten um "kulturelle Aneignung" ("Dürfen wir 'Winnetou' noch lesen?") und die neusten Diskussionen um jeweils gültige neue Sprachregelungen, die er mit seiner Tochter offen aushandelt, zeigen Priol mit pointierter Haltung auf der Höhe der Zeit - auch und vor allem, weil er dem vorherrschenden Zeitgeist mit den Mitteln der Aufklärung gehörig Paroli bietet.
Bei dieser Themen vergeht die Zeit wie im Flug, und man kann kaum glauben, dass Urban Priol nach handgestoppten drei Stunden und drei Minuten und kurzer Zugabe vom warmen alkoholfreien zum kalten alkoholhaltigen Hefeweizen an die Theke verschwindet. Stürmischer Applaus!