
Fragt man den gemeinen Unterfranken - oder die Unterfränkin -, was sie mit dem Flurbereinigungsamt verbinden, fallen vielen spontan ausgeräumte Weinbergslandschaften und großräumige Agrarwüsten ein. Jürgen Eisentraut weiß um diese Klischees. So ganz falsch seien sie auch nicht. Zumindest nicht, "wenn man lediglich die 1970er Jahre betrachtet", sagt der Leiter des Amts für Ländliche Entwicklung Unterfranken, wie das Flurbereinigungsamt heute heißt.
Vor 100 Jahren wurde dieses Amt gegründet, um dem Hunger in der Bevölkerung durch das Zusammenlegen landwirtschaftlich nutzbarer Flächen zu begegnen. Heute gehe es den rund 180 Mitarbeitern seiner Behörde darum, im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern die vielen Dörfer von der Rhön bis zum Steigerwald als Arbeits-, Wohn- und Freizeitorte attraktiv zu halten, unter anderem auch durch die Förderung von lokalen Bäckern, Metzgern, Dorfläden und Wirtshäusern. Außerdem gelte es, die natürlichen Lebensgrundlagen und die Kulturlandschaft im Kampf gegen den Klimawandel zu wappnen.
Ein Treffpunkt für die Dorfgemeinschaft in Mühlhausen
Vermessungsingenieur Eisentraut hat ins Dorfgemeinschaftshaus nach Mühlhausen geladen. In dem 380-Einwohner-Ortsteil von Estenfeld im Landkreis Würzburg lasse sich gut zeigen, wie sich eine Dorfgemeinschaft zukunftsgerecht aufstellt. Vor zehn Jahren wurde hier ein Gemeindetreff neu gebaut - sozusagen die Krönung von über drei Jahrzehnten klassischer Flurbereinigung mit anschließender Dorferneuerung. Hier treffen sich seitdem junge und alte Mühlhäuser, Einheimische wie Zugezogene, an Kirchweih und an Silvester, zu Vereinsfeiern oder Familienfesten. Am Faschingsdienstag neulich seien 70 Leute zum traditionellen Schnitzelessen da gewesen, berichtet Gemeinderat Bernd Galm, der Vorsitzende des Dorfgemeinschaftsvereins Mühlhausen, der sich um den Unterhalt des gemeindeeigenen Hauses kümmert.

Für Amtsleiter Eisentraut ein "Beispiel für gelungenes Dorfleben". Allein 7000 freiwillige Arbeitsstunden hätten rund 60 Bürgerinnen und Bürger mit eingebracht, um das Dorfgemeinschaftshaus zu verwirklichen. "Das gibt es nur auf dem Dorf, so schafft man Identifikation." Probleme etwa mit Vandalismus, wie man sie aus größeren Städten im Umgang mit Gemeinschaftseigentum immer wieder hört, kenne man in Mühlhausen jedenfalls nicht.
Die Waldneuordnung in Mühlhausen hat Pilotcharakter
Im Wissen um den Gemeinschaftssinn hat das Amt für Ländliche Entwicklung in Mühlhausen vor 15 Jahren ein Pilotprojekt zur Waldneuordnung gestartet. "Ein Vorhaben, das nun hilft, die Herausforderungen durch den Klimawandel anzugehen", sagt Eisentraut. Die fränkische Realteilung hat dazu geführt, dass über Jahrhunderte hinweg nicht nur Felder, sondern auch private Wälder gleichmäßig unter den Nachkommen aufgeteilt wurden. "So wurden die einzelnen Waldstücke immer kleiner, viele wussten nicht einmal, wo ihr Grundbesitz überhaupt liegt", erklärt Landwirt Berthold Schneider. "Und weil viele Stücke gar nicht über Forstwege erreichbar waren, lagen sie brach und wurden nicht gepflegt. Das hat vor allem Schädlinge wie den Borkenkäfer gefreut."

Der 66-Jährige gilt als einer der Motoren der Neuordnung des Mühlhäuser Waldes. Das Ziel: 210 Parzellen, die meisten weniger als 0,3 Hektar groß, schlecht zugeschnitten und in Besitz von insgesamt 80 Eigentümern und Körperschafts-Anteilseignern, neu zu arrondieren. Und zwar so, dass der Waldbesitz eines jeden Eigentümers zusammenhängt und an einen mit Traktor befahrbaren Forstweg angeschlossen ist. Jeder Eigentümer musste knapp vier Prozent seiner Grundstücksfläche zur Anlage dieser Wege einbringen - und für Ausgleichsmaßnahmen wie einen Biotop-Tümpel. Heute gibt es in Mühlhausen 65 private Waldbesitzer mit eigenen Parzellen, im Durchschnitt sind sie 0,9 Hektar groß und bequem erreichbar.
Warum Wald nicht gleich Wald ist
Schwierig gestaltet sich eine Neuordnung, "weil Wald nicht gleich Wald ist". Schneider und seine Mitstreiter mussten die einzelnen Flächen nach einem ausgeklügelten Verfahren bewerten: 1000 Quadratmeter Wald mit alten Eichen oder Buchen haben schließlich einen anderen Wert als 1000 Quadratmeter, auf denen nur Sträucher wuchern. Auch die Bodenbeschaffenheit, etwa die Fähigkeit, Wasser zu speichern, beeinflusst in Zeiten des Klimawandels den Wert eines Waldgrundstücks.
"Die Kunst ist es, am Ende wirklich alle zufriedenzustellen", sagt Jürgen Eisentraut. Zwar gebe es bei der Waldneuordnung seitens des Amtes bei Bedarf fachliche und auch finanzielle Unterstützung. Entscheidend aber seien die Akteure vor Ort. Diese müssten sich nach Abschluss des Verfahrens weiter in die Augen schauen und mit dem Ergebnis identifizieren können. Deshalb setze der Freistaat inzwischen auf Transparenz und demokratische Teilhabe. Bei der Flurbereinigung in den 70er Jahren sei das noch anders gewesen. Viel zu viel sei damals aus dem Amt heraus, von oben herab entschieden worden, bekennt Eisentraut. Auch daher rühre das teilweise nicht so gute Image der Flurbereinigung her. "Aber wir haben aus den Fehlern von damals gelernt."
"Niemand im Dorf möchte die alten Verhältnisse wieder", sagt Berthold Schneider. Dank der neu gebauten Wege sei der Wald heute beliebt bei Spaziergängern, Joggern und Radfahrern, die rund um Mühlhausen Erholung suchen. Die Wege hätten auch die Voraussetzung dafür geschaffen, den nachwachsenden Rohstoff Holz in Zeiten der Energiekrise nutzen zu können - und den Wald widerstandsfähiger zu machen im Klimawandel. Gerade erst habe er Weißdorn, Lerchen und Aspen gepflanzt, erzählt der Waldbesitzer und Landwirt. Die kämen besser mit Trockenheit zurecht.

"Wälder als CO2-Speicher für kommende Generationen sichern", das sei das übergeordnete Ziel, unterstreicht Jürgen Eisentraut. Mittlerweile betreut das Amt für Ländliche Entwicklung in Unterfranken 19 Waldneuordnungsverfahren - zwischen Böttigheim (Lkr. Würzburg) an der Grenze zu Baden-Württemberg und Brüchs (Lkr. Rhön-Grabfeld) an der Grenze zu Thüringen.