Vor einem Jahr, im März 2020, traten in Unterfranken die ersten Fälle des "neuartigen" Coronavirus auf. Es stellte Mediziner, Wissenschaftler und Politiker vor enorme Herausforderungen. Mittlerweile hat Sars-CoV-2 sein Adjektiv verloren, in ungezählten Studien wurde das Virus untersucht. Was wissen Experten heute über Corona? Wie werden Patienten behandelt? Welche Rolle spielen Kinder in der Pandemie? Und wie gut schützen die Impfungen? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Das Coronavirus ist gefährlicher als die Influenza: Im Januar 2021 sind in Deutschland 20 Prozent mehr Menschen gestorben als im Januar-Durchschnitt der vier Jahre zuvor. Bereits im April 2020 lag die Übersterblichkeit, also die höhere Zahl an Todesfällen im Vergleich zu den Vorjahresmonaten, bei zehn Prozent, so das Statistische Bundesamt in einer Sonderauswertung. Nach Angaben des Robert Koch-Institutes (RKI) litten die meisten Corona-Toten in Deutschland an Vorerkrankungen. Fast die Hälfte war in Alten- oder Pflegeheimen untergebracht. Obduktionen zeigten, dass bei rund 86 Prozent der Verstorbenen Covid-19 die unmittelbare Todesursache war. Immer wieder erkranken in Einzelfällen auch jüngere Menschen schwer an Covid-19. Risikofaktoren für schwere Verläufe sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Krebs oder Lungenerkrankungen.
Patienten mit leichten Corona-Symptomen wie Husten, Schnupfen, Fieber oder Kopfschmerzen können sich meist zu Hause erholen, eventuell betreut vom Hausarzt. "Bei schweren Verläufen mit Luftnot und Entwicklung einer Lungenentzündung ist eine Behandlung im Krankenhaus notwendig", sagt Prof. Patrick Meybohm, Intensivmediziner und Direktor der Klinik für Anästhesiologie des Uniklinikums Würzburg. In solchen Fällen bekommen die Patienten zusätzlichen Sauerstoff, teilweise auch antivirale oder entzündungshemmende Medikamente. Wenn Covid-19 sehr schwer oder lebensbedrohlich verläuft, werden die Erkrankten auf die Intensivstation verlegt und maschinell beatmet oder sogar durch eine künstliche Lunge (ECMO) versorgt.
Zahlreiche medikamentöse Substanzen und Verfahren wurden mittlerweile auf ihre Wirksamkeit gegen Covid-19 getestet. Insgesamt habe sich dadurch das "Repertoire an medizinischen Maßnahmen für die behandelnden Teams vergrößert", sagt Intensivmediziner Patrick Meybohm. In der Uniklinik in Würzburg kämen beispielsweise Kortison (Dexamethason) und auch Antikoagulantien (Blutverdünner) zum Einsatz. Gleichzeitig seien einheitliche Behandlungsstandards entwickelt worden, die die Versorgung der Patienten optimieren, aber auch Angehörige und Pflegende schützen. Beispiel künstliche Beatmung: Hier hat sich gezeigt, dass Corona-Patienten von einer Bauchlagerung profitieren, denn dann werden hintere Lungenabschnitte im Bereich des Rückens besser belüftet.
"Die Langzeitfolgen nach einer Covid-19 Erkrankung sind breit gestreut, sie können fast alle Organsysteme betreffen", sagt der Epidemiologe und Kardiologe Prof. Stefan Störk. Er ist einer der beiden Leiter einer neuen Studie an der Uniklinik Würzburg, die Spätfolgen nach einer Corona-Infektion untersucht. Bekannt als Langzeitfolgen sind bislang unter anderem Störungen des zentralen Nervensystems, Schwindel, Erschöpfung, Kopfschmerzen oder Konzentrationsschwierigkeiten. Gleichzeitig sehen Mediziner Auswirkungen auf die Muskeln, Geh- oder Gleichgewichtsstörungen, und auch die Psyche trägt manchmal Spuren davon. Über die Ursachen von Langzeitfolgen weiß man noch wenig.
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Kinder bis zum alten von neun Jahren haben sich bislang weniger häufig mit dem Coronavirus infiziert, sagt Professor Johannes Liese, Leiter für pädiatrische Infektiologie an der Uni-Kinderklinik Würzburg. Ab einem Alter von zehn Jahren nehme sowohl die Ansteckungshäufigkeit als auch die Ansteckungsverbreitung zu. Unterschied zu Erwachsenen: Kinder haben häufiger keine bis leichte Symptome. Mediziner vermuten, dass sie deshalb nicht so ansteckend sind wie schwer erkrankte Erwachsene, die husten und dadurch mehr Aerosole freisetzen.
Seit Beginn der Pandemie tritt das "multisystemische Inflammationssyndrom" bei Kindern um die zehn Jahre weltweit häufiger auf. Bei der Krankheit kommt es zu einer starken Entzündungsreaktion einzelner Organe (Darm, Herz, Haut). Sie wird häufig durch eine bereits zuvor abgeklungene Coronavirus-Infektion ausgelöst, so Infektiologe und Kinderarzt Johannes Liese.
Laut RKI arbeiten Forscher derzeit an mehr als 150 möglichen Impfstoffkandidaten. In der EU zugelassen sind bislang drei Covid-19-Impfstoffe: die Präparate der Hersteller Biontech/Pfizer, Moderna und Astrazeneca. Bei den Vakazinen von Biontech und Moderna handelt es sich um sogenannte mRNA-Impfstoffe, das Präparat von Astrazeneca ist ein Vektor-basierter Impfstoff. In Deutschland wird der Astrazeneca-Impfstoff aufgrund der Empfehlung der Ständigen Impfkommission bisher nur für Menschen unter 65 Jahren genutzt. Mitte März könnte ein vierter Corona-Impfstoff in Europa auf den Markt kommen: Der US-Hersteller Johnson & Johnson hat die Zulassung für ein Vektor-basiertes Vakzin beantragt. Und das deutsche Unternehmen Curevac rechnet mit einer EU-Zulassung seines mRNA-Impfstoffs bis Anfang Juni.
Die mRNA-Impfstoffe von Biontech und Moderna bieten laut RKI eine hohe Wirksamkeit von bis zu 95 Prozent. Nötig seien zwei Impfungen. Der Vektor-basierte Impfstoff von Astrazeneca zeigt laut RKI eine Wirksamkeit von 70 Prozent gegen Covid-19. Empfohlen wird, das Vakazin zwei Mal im Abstand von neun bis zwölf Wochen zu impfen. Neue Studien legen nahe, dass die Astrazeneca-Wirksamkeit bei einem Abstand von zwölf oder mehr Wochen zwischen beiden Impfungen auf mehr als 80 Prozent steigen kann. Wie lange der Impfschutz anhält, ist bei allen Präparaten noch nicht bekannt.
Der Impfstoff von Biontech enthält ein Botenmolekül, die sogenannte RNA. Unsere Gene bestehen aus DNA. Obwohl das ähnlich klingt, gibt es zwischen den beiden Stoffen einen erheblichen chemischen Unterschied, sagt Professor Oliver Kurzai vom Institut für Hygiene und Mikrobiologie der Uni Würzburg. Im menschlichen Körper werde aus einer DNA-Vorlage ständig RNA gebildet. Es gebe aber keine einzige Körperzelle, die in der Lage sei, aus einer RNA-Vorlage DNA zu bilden. Daher können durch den Impfstoff keine Gene unseres menschlichen Genoms geändert werden.
Diese Frage ist noch nicht abschließend geklärt. Wahrscheinlich sei, so Oliver Kurzai, dass geimpfte Personen nicht erkranken, weil sie viel weniger Virusvermehrung zulassen. Daher sei zu erwarten, dass sie das Virus zumindest deutlich schlechter weiterverbreiten als ohne Impfung. Auch eine Analyse britischer Daten kommt zu dem Schluss, dass der Impfstoff von Biontech Ansteckungen mit dem Coronavirus verhindert und das Risiko für eine Infektion senkt. Allerdings sind die Daten noch nicht von unabhängigen Experten geprüft. Gleiches gilt für eine bislang unveröffentlichte Publikation von Biontech und Pfizer mit dem israelischen Gesundheitsministerium.
Anfang Februar wurde erstmals die britische Corona-Mutation B1.1.7 in Unterfranken entdeckt – bei drei rumänischen Saisonarbeitern im Landkreis Kitzingen. Mittlerweile breitet sich diese Mutation immer stärker aus. In ganz Deutschland hat sich ihr Anteil Ende Februar binnen zwei Wochen von sechs auf 22 Prozent erhöht. Nach Angaben des Landratsamtes Rhön-Grabfeld weist derzeit schon ein Drittel der infizierten Landkreisbewohner diese Virusvariante auf. Bis Ende Februar wurden außerdem Mutationsfälle in den Landkreisen Würzburg, Main-Spessart, Main-Tauber und der Stadt Schweinfurt bestätigt.
Die verschiedenen Corona-Mutationen (britische, brasilianische und südafrikanische Variante) gelten als ansteckender. Deshalb herrscht in den Kliniken erhöhte Wachsamkeit. Ein Beispiel: Auf den Isolierstationen werden Corona-Patienten nun zwingend immer einzeln isoliert, um Ansteckungen zwischen Patienten mit verschiedenen Untererregern zu verhindern, berichtet Dr. Matthias Held, Ärztlicher Direktor am Klinikum Würzburg Mitte.
Virologen gehen davon aus, dass dievorhandenen Vakzine bislang alle vor schwerer Krankheit und Tod schützen. Zwar könne bei Mutationen der Impfschutz etwas sinken – aber ein Stück weit schütze die Impfung immer. Die britische Variante bereitet den Medizinern dabei am wenigsten Kopfschmerzen. Anders bei der südafrikanischen Mutante: Hier warfen Studienergebnisse jüngst Zweifel an der Wirksamkeit des Astrazeneca-Impfstoffs auf. Allerdings war die Studie relativ klein, es fehlen aussagekräftige Daten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt daher den weiteren Einsatz. Beim Impfstoff der Hersteller Biontech/Pfizer deuten erste Laborergebnisse darauf hin, dass er auch gegen die britische und die südafrikanische Virusvariante wirkt.
"Bis zum Spätsommer sollten wir die Pandemie deutlich besser unter Kontrolle haben, wenn sich genügend Menschen impfen lassen", sagt Biontech-Chef Ugur Sahin. Das bedeute nicht, dass es keine neuen Ansteckungen mehr gebe. "Aber, dass wir ein normales Leben haben können." Ähnlich schätzt der Würzburger Infektiologe und Tropenmediziner Professor August Stich, Chefarzt an der Missio-Klinik unter dem Dach des Klinikums Würzburg Mitte, die Lage ein. Ende Januar zeigte er sich im Interview optimistisch, "dass wir im Sommer den wirklichen Durchbruch haben und dann auch die Pandemie überwinden – auch wenn bis dahin noch keine Herdenimmunität erreicht worden ist".
Mitarbeit: Folker Quack, Andreas Jungbauer