Eigentlich haben sie die Infektion mit Sars-CoV-2 längst überstanden. Gesund aber sind sie nicht. Manche Patienten spüren noch Monate nach einer Corona-Erkrankung Einschränkungen. Am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz (DZHI) in Würzburg haben Mediziner Ende Dezember eine Studie gestartet, die Spätfolgen bei Corona-Infizierten untersuchen will. Im Januar ist der erste Patient in das Programm aufgenommen worden, berichtet der Epidemiologe und Kardiologe Prof. Stefan Störk. Im Interview spricht Störk, Leiter der klinische Forschung am DZHI und einer der beiden Studienleiter, über Kettenreaktionen im Körper, verängstigte Patienten und gefährliche Vorsicht.
Prof. Stefan Störk: Die Langzeitfolgen nach Covid-19 Erkrankung sind breit gestreut, sie können fast alle Organsysteme betreffen. Beispiel Gehirn und Nerven: Hier gibt es zahlreiche Fallberichte über Störungen des zentralen Nervensystems, am häufigsten über Geschmacksveränderungen, vereinzelt können auch das Seh- oder Hörvermögen beeinträchtigt sein. Nimmt man unspezifischere Beschwerden wie Schwindel, Erschöpfung, Kopfschmerzen oder Konzentrationsstörungen dazu, treten diese bei bis zu einem Viertel aller an Covid-19 Erkrankten auf. Oft kommt es auch zu Störungen des sogenannten peripheren Nervensystems – beispielsweise spürt man dann ein Kribbeln auf der Haut oder Ameisenlaufen auf dem Handrücken.
Störk: Ja, wir sehen auch Auswirkungen auf die Muskeln und kombinierte Probleme wie Geh- oder Gleichgewichtsstörungen. Das Tückische scheint zu sein, dass Langzeitfolgen sowohl in den Schaltzentralen des Körpers, also im Gehirn selbst, vorkommen, als auch in der Peripherie – und das in allen Ausprägungen.
Störk: Es gibt auch Spätfolgen, die die Psyche und Emotionen betreffen. Dazu gehören etwa depressive Verstimmungen, Schlafstörungen, Wahrnehmungsstörungen wie Reizüberflutungen und vor allem Angststörungen. Es kann sein, dass Patienten nach einer Corona-Erkrankung psychische Herausforderungen ganz anders verarbeiten und dass sich ihr Angstverhalten ändert.
Störk: Eine Erklärung dafür ist, dass Corona eine sogenannte Endotheliitis auslöst. Das ist eine Entzündung der innersten Auskleidung aller Gefäße. Als Folge kann die Funktion von Organen beeinträchtigt sein oder es entstehen kleinste Blutgerinnsel, die ebenfalls dazu beitragen. Da die Gefäße überall sind, im Gehirn, im Herz, in den Muskelgruppen, in den Nieren, dem Magen-Darm-Trakt oder der Lunge, können an all diesen Organen Folgeschäden auftreten. Das ist wie eine Kettenreaktion. Hinzu kommt das Phänomen, dass das Coronavirus einerseits bestimmte Zellen direkt toxisch befallen und zerstören kann. Andererseits kann es indirekte Wege nehmen, wenn das Immunsystem auf das Virus reagiert und dadurch eine Art allergische Reaktion gegen körpereigenes Gewebe ausgelöst wird.
Störk: Hier steht die Forschung noch am Anfang. Wir sehen jedoch, dass Menschen mit zusätzlichen chronischen Erkrankungen ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf haben.
Störk: Nein, da zeigt sich ein gemischtes Bild. Allerdings ist es bei sehr schwer Erkrankten oft schwierig zu unterscheiden: Welche Schädigung im Körper ist auf das Virus selbst zurückzuführen und was ist eine Folge der intensivmedizinischen Behandlung, die der Patient benötigt hat? Denn unabhängig von der Corona-Infektion ist eine wochenlange Beatmung eine enorme Belastung für den Körper. Eindeutiger sind Spätfolgen bei Covid-Patienten, die nicht ins Krankenhaus mussten.
Störk: In unserer Studie haben wir sechs Monate als Zeitraum festgelegt. Das ist aber keine wissenschaftlich begründete Zeitangabe, sondern sie erfolgte aus praktischen Erwägungen. Nach einer akuten Erkrankung muss man den Patienten eine gewisse Erholungsphase geben – wenn Einschränkungen auf die Covid-Erkrankung zurückzuführen sind und nach sechs Monaten noch immer existieren, betrachten wir das als Langzeitfolge.
Störk: Ziel ist es, Langzeitfolgen einer Corona-Infektion besser zu verstehen. Bei uns in Würzburg werden dazu zunächst 300 Patienten aus Unterfranken untersucht, die nachweislich an Covid erkrankt waren. Bei ihnen führen wir unter anderem Untersuchungen des Herzens und der Lunge durch, es gibt neurologische Tests, Belastungstests, Abstriche und Blutuntersuchungen sowie Fragebögen, mit denen die psychosoziale Situation und die Verarbeitung von Stress erfragt werden.
Störk: Dazu hat sich in der Würzburger STAAB-Kohortenstudie ein interessantes Indiz ergeben: Patienten, die eher vorsichtig oder ängstlich sind, haben eventuell ein niedrigeres Risiko, an Covid-19 zu erkranken. Vorsicht scheint also zu schützen. Aber: Diese Menschen haben in der Pandemie auch Routine-Arztbesuche häufiger abgesagt. Das ist besorgniserregend, denn Herz-Kreislauf-Erkrankungen bedürfen regelmäßiger Vorsorgeuntersuchungen. Langzeitkomplikationen können sich also nicht nur aus der direkten Covid-19-Infektion ergeben – sondern eventuell indirekt auch dadurch, dass Gesundheitsvorsorge nicht mehr wahrgenommen wird. Das ist ein doppelschneidiges Schwert.